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(GZ-10-2021)
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Europapolitik in Zeiten der Corona-Krise

 

Seine Perspektive auf die Europäische Union stellte Manfred Weber, Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, dem KPV-Landesvorstand und Hauptausschuss in dessen jüngster Sitzung unter der Leitung des Landesvorsitzenden Stefan Rößle dar. Auch wenn die Eindämmung der Corona-Pandemie und deren wirtschaftliche Folgen nach wie vor alles überlagern, stehen der Green Deal, die Digitalisierung sowie die Weiterentwicklung der Europäischen Union immer noch weit oben auf der Agenda der europäischen Politik.

Tagung auf Distanz: Von links Sebastian Franz und Jörg Kunstmann. Bild: GZ
Tagung auf Distanz: Von links Sebastian Franz und Jörg Kunstmann. Bild: GZ

Als herben Rückschlag für Europa, behaftet mit zahlreichen Enttäuschungen, bezeichnete Weber die Impfstoff-Zuteilung im ersten Quartal dieses Jahres. Es sei eine irrige Annahme gewesen, darauf zu vertrauen, dass die westliche Welt sich stützt. Jetzt komme es darauf an, bis zum Sommer jedem Europäer ein Impfangebot zu machen. Inzwischen sei spürbar, „dass die Maschine jetzt rollt“.

Endlich Medikamente

Nach einer Beurteilung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und in Abstimmung mit den EU-Mitgliedstaaten erteilt die Europäische Kommission die Zulassung für COVID-19-Impfstoffe. Mittlerweile hat die Europäische Union Weber zufolge auch angekündigt, Medikamente zur Behandlung von Covid-19 künftig schneller zuzulassen und gemeinsam zu beschaffen. Zudem soll in der EU nach dem Willen des EU-Parlaments künftig ein einheitliches „Covid-19-Zertifikat“ den Nachweis ermöglichen, gegen das Virus geimpft, negativ getestet oder von der Krankheit genesen zu sein.

Standardisiertes Zertifikat

Dieser Beschluss ist für die exportorientierte deutsche Wirtschaft bedeutsam, weil das standardisierte Zertifikat den bürokratischen Aufwand für den sicheren und freien Verkehr in der EU während der Pandemie verringern soll. Noch vor der Sommerpause soll eine Einigung erzielt werden. Aus Webers Sicht „hat das Prozedere viel zu lange gedauert“, habe die Kommission den Vorschlag doch erst vor gut vier Wochen vorgelegt.

Wie der Fraktionsvorsitzende weiter ausführte, „verschieben sich die Weltgewichte derzeit massiv“. Die EU habe im vergangenen Jahr sieben Prozent an Wirtschaftskraft verloren. Zu Zeiten der Eurokrise waren es „lediglich“ fünf Prozent. Länder wie Italien und Spanien hätten 2020 sogar zehn Prozent an Wirtschaftskraft eingebüßt. „Das sind historische Einschnitte“, betonte Weber. Gleichzeitig habe China als Ursprungsland des Virus zwei Prozent an Wirtschaftskraft gewonnen.

„Derzeit decken wir die Krise mit massiven Schulden zu“, fuhr Weber fort. Allein der Freistaat Bayern habe in den vergangenen 14 Monaten sieben Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Auf Bundesebene sind es 240 Milliarden Euro. Auf EU-Ebene werden nun fast 600 Milliarden Euro in die Hand genommen, um die Krise zu kompensieren. Um die Wirtschaft abzufedern, sieht der Europapolitiker aktuell „keine Alternative zur Schuldenaufnahme“.

Konjunkturprogramm

Ende Mai 2020 legte die Europäische Kommission ein Konjunkturprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro zusammen mit einem überarbeiteten Vorschlag für den EU-Haushalt 2021-2027 vor. Mit Hilfe des Wiederaufbauinstruments „Next Generation EU“ sollen die durch die Pandemie verursachten wirtschaftlichen und sozialen Schäden behoben und in eine grüne, digitale, soziale und widerstandsfähigere EU investiert werden. Damit wolle man gestärkt aus der Pandemie hervorgehen, die Wirtschaft neu ausrichten und Arbeitsplätze schaffen.

Anspruchshaltungen zurückschrauben

Strebe man eines Tages wieder ausgeglichene Haushalte an, sei es unumgänglich, in den nächsten Jahren manche Anspruchshaltung zurückzuschrauben, machte Weber deutlich. „Kürzungen in manchen Budgets“ seien dabei nicht auszuschließen. Den Willen hierzu sehe er momentan bei der einen oder anderen Ausgabe hierzulande freilich nicht. Eher werde noch draufgelegt – koste es, was es wolle. Dabei sollte doch klar sein, dass Europa nicht folgen wird, wenn Deutschland es nicht schafft, der Megaverschuldung rechtzeitig ein Ende zu bereiten.

Weber: „Wir sind in einem globalen Wettbewerb, der die Wohlstandsfrage in Bayern in den nächsten zehn Jahren massiv und entscheidend prägen wird. Wie wir als Staat diesen Innovationswettlauf bestreiten, ist eine der großen politischen Fragen.“

Weitere Handelsverträge

Zur Debatte stehe das Thema Wohlstand auch dann, wenn es um den Abschluss weiterer Handelsverträge geht. „Wir verlieren hier jede Kraft“, urteilte Weber. Nach dem erfolgreichen Abschluss von CETA, dem neuen Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, das seit mittlerweile drei Jahren greift, liege derzeit der Mercosur-Handelsvertrag auf dem Tisch. Dieser Vertrag würde vier Milliarden Euro Zölle pro Jahr streichen – so viel wie kein anderes Abkommen der EU. Und doch ist die Vereinbarung mit dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur hochumstritten. Mitgliedstaaten, EU-Parlament und nationale Parlamente müssten zustimmen, damit das Abkommen in Kraft tritt.

Wachstum außerhalb Europas

Weber zufolge „wird das Momentum, offen für den Welthandel zu sein“, nicht fortgeführt. Ihm als „Bayer und Europäer“ mache dies große Sorgen, weil 90 Prozent des Wachstums in den nächsten zehn Jahren außerhalb Europas stattfinden werden. „Sind wir dann nicht mit modernen Handelsverträgen dabei, machen andere die Geschäfte in Afrika und Südamerika. Dabei sind wir stark exportabhängig.“

Mit Blick auf das „große Gesetzgebungsthema“ Digitalisierung beleuchtete der MdEP zunächst den Umgang mit öffentlichen Daten. Europa verfüge hier über einen riesigen Datenschatz (siehe Gesundheitsdaten), der allerdings nicht genutzt werde. Daten sollten laut Weber anonymisiert bereitgestellt werden, um Forschung zu ermöglichen. Schließlich würden sie auch Facebook und Co. zur Verfügung gestellt. „Wir brauchen hier einen Durchbruch. Das ist eine Riesenchance für Europa“, so der Abgeordnete.

Darüber hinaus wäre eine Digitalsteuer nach Webers Dafürhalten nur gerecht. So sollten auch diejenigen ihren Beitrag zum Schuldenabbau leisten, die von Corona wirtschaftlich profitieren. Die 13 größten Online-Plattformen der Welt, allen voran Amazon, verzeichneten 2020 ein Einnahmeplus von 25 Prozent. Im krassen Gegensatz dazu steht das Ausbluten der Einzelhändler in den Innenstädten.

Europäischer Green Deal

„Eine Schlacht gewonnen“ wurde dagegen bereits in punkto Green Deal. Europäischer Rat, EU-Parlament und EU-Kommission einigten sich auf ein EU-Klimagesetz, mit dem nun das rechtliche Fundament für den Europäischen Green Deal gelegt ist. Es bestimmt, dass die EU bis 2050 klimaneutral werden muss, und sieht ein verbindliches Klimaziel bis 2030 vor. Demnach sollen die EU-internen Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Damit muss die Europäische Union ihre Volkswirtschaften auf CO2-freie Industrien, Strom- und Wärmeerzeugung, Elektroautos sowie eine klimafreundliche Bau- und Landwirtschaft umstellen.

Nach Webers Einschätzung wurden damit „Ambition und Vernunft“ bestätigt und nicht die Ideologie der Grünen und Linken. Diese hatten 65 Prozent weniger gefordert. Um das neue, ambitioniertere 2030-Klimaziel umzusetzen, wird die EU-Kommission im Juni eine Reihe von Legislativvorschlägen zur Anpassung der bestehenden EU-Klima- und Energiegesetzgebung vorlegen.

Weber wünscht sich „Vernunft vor Ideologie“ bei der Transformation der Autoindustrie. Ausdrücklich sprach er sich gegen ein Verbot von Verbrennungsmotoren aus; dies wäre „ein schwerer Schaden für die deutsche und europäische Autoindustrie“. Nach einer Studie des Münchner ifo-Instituts gingen so allein hierzulande über 220.000 Arbeitsplätze verloren, verbunden mit erheblichen Folgen gerade für die mittelständisch geprägte Zulieferbranche.

Zwar wolle Europa der erste Kontinent sein, der ohne klimaschädliche Gase auskommt. Dabei müsse die Balance zwischen Ökologie und Ökonomie geschaffen werden. In punkto Regulation der Autoindustrie bedeute dies, dass der Gesetzgeber die Daumenschrauben zwar anziehen müsse, damit sich die Konzerne bemühen und innovative Lösungen schaffen, aber auch nicht zu stark überdrehen dürfe, damit keine Arbeitsplätze verloren gehen und andere Produktionsstandorte in China oder den USA profitieren. Wichtig sei der Dialog zwischen wirtschaftlicher und ökologischer Position.

Im Hinblick auf die geplante Anhebung des EU-Treibhausgasreduktionsziels gerät der Gebäudebereich verstärkt ins Visier der EU. Die Kommission hat ihre Strategie für eine „Renovierungswelle“ zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden in Europa veröffentlicht. Eine Renovierungsquote in den nächsten zehn Jahren soll sich mindestens verdoppeln und so die Lebensqualität der Menschen verbessern, die Treibhausgasemissionen in Europa verringern und die Digitalisierung fördern. Auch hier sprach sich Weber gegen Regulatorik und Vorgabequoten aus und plädierte stattdessen für eine Steuerung über den CO2-Preis.

„Politische Spannungen und zunehmende wirtschaftliche Divergenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und aggressive Wettbewerber wie China und Russland fordern die Gemeinschaft in ihrem Kern heraus. Diesen Herausforderungen müssen wir uns stellen“, bilanzierte Weber.

Die Antwort könne nur eine Stärkung Europas sein: „Wir müssen die EU in den Bereichen zukunftsfest machen, in denen ein konkreter Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger entsteht. Das gilt vor allem für Klimaschutz, Digitalisierung, Binnenmarkt, aber auch für bestimmte Bereiche der Gesundheitspolitik.“

Soziale Balance

Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf erachtet es der CSU-Politiker als sinnvoll, sich der sozialen Balance zuzuwenden. Die Corona-Pandemie habe dazu geführt, dass die Reichen massiv an Wohlstand gewannen. Andererseits seien zunehmend prekäre Verhältnisse zu beklagen. Die Kluft zwischen Arm und Reich werde größer.

Grundsätzlich rief Weber CDU und CSU dazu auf, sich im Bundestagswahlkampf von den Grünen beispielsweise beim Thema Klimaschutz abzugrenzen. Einen reinen Klimaschutzwahlkampf zu betreiben, wäre aus seiner Sicht fatal. „Ehrlichkeit und Mut“ laute die Maxime. Der Bürger müsse darüber aufgeklärt werden, dass die nächsten zehn Jahre massive Veränderungen auf ihn zukommen.

KPV-Landesvorsitzender Stefan Rößle teilte diese Meinung. Die CSU brauche den „Mut zur Abgrenzung, zur Auseinandersetzung, zur Debatte und zur Ehrlichkeit“. Wichtig sei ein „Markenkern“. In das KPV-Positionspapier zur Bundestagswahl werden Rößle zufolge unter anderem die Themen Digitale Offensive, Verkehr und Mobilität, Kommunalfinanzen, Soziales, gleichwertige Lebensverhältnisse, Gesundheit sowie Wohnungspolitik einfließen.

DK

 

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