Kommunalverbändezurück

(GZ-18-2020)
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► Corona und die große Transformation:

 

Perspektiven für ländliche Räume

Sommerkolloquium von Hanns Seidel Stiftung und Akademie Ländlicher Raum

 

Die Krisenmaßnahmen infolge der Corona-Pandemie haben bei der Digitalisierung der Arbeits- und Lebensbereiche einen regelrechten Schub ausgelöst. Plötzlich werden im Vergleich zu den dicht gebauten und bevölkerten Städten die Qualitäten auf dem Land neu bewertet. Die Frage, ob diese Erfahrung auch dauerhaft Perspektiven für ländliche Räume eröffnen könnte, wurde beim Sommerkolloquium von Hanns Seidel Stiftung und Akademie Ländlicher Raum mit Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in München unter Corona-Bedingungen ausführlich erörtert.

Akademiepräsident Prof. Holger Magel forderte eingangs dazu auf, das Momentum der neuen Wertschätzung für den ländlichen Raum zu nutzen. „Wir brauchen endlich Verstetigung und eine durch Corona gar verschärfte Beschäftigung mit der Notwendigkeit und den Bedingungen ländlichen Lebens und Wirtschaftens als Pendant zur ebenfalls unverzichtbaren Stadt. Arbeitsplatz und hohes Einkommen sind natürlich wichtig, sehr wichtig sogar. Allein – sie bedeuten nicht alles, sie bilden Lebensqualität und Wohlergehen nicht völlig ab, was in vielen Statistiken und Jubelannoncen regelmäßig zu kurz kommt“, betonte Magel.

Benötigt werde – ob neu erfunden oder nur wiederbelebt – ein resilienter und Infrastruktur-Staat, der gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern garantiert. „Wir sprechen von der Herstellung räumlicher Gerechtigkeit, die entfernungsunabhängig und unabhängig von der Gnade der familiären Geburt sein muss“, machte Magel deutlich.

„Ländliche Räume sollten nicht als Raum der Defizite wahrgenommen werden. Das Land kann mit Freiheit punkten – mit dem eigenen Garten, Freizeit- und Erholungsangeboten vor Ort und mit Naturerleben“, hob der Landtagsabgeordnete Sandro Kirchner, selbst „überzeugtes Dorfkind, das in die Rhön zurückgekehrt ist“, hervor. Ein gutes Beispiel sei der Landkreis Bad Kissingen, der in einer Image-Kampagne mit dem selbstbewussten Slogan „Hier gehts besser“ auf seine Stärken aufmerksam macht.

Die Pandemie, so Kirchner, habe sich zunächst vor allem als Digitalisierungsschub erwiesen. Im Zuge der Ausgangsbeschränkungen mussten zahlreiche Arbeitnehmer auf das Modell „Homeoffice“ umsteigen. Sie hätten erlebt, dass es auch vorteilhaft sein kann, wenn man nicht täglich zur Arbeit in die Stadt pendeln muss.

Diesen Umstand griff Prof. Dr. Diane Ahrens vom Technologie Campus Grafenau auf, die die bayerischen Modellprojekte zu digitalen Dörfern begleitet. Sie berichtete, dass beispielsweise in der Gemeinde Spiegelau im Bayerischen Wald die Nachfrage nach Coworking Spaces zugenommen hat. Die Idee dahinter ist, dass Arbeitnehmer nicht mehr so weit pendeln müssen, sondern relativ nah an ihrem Wohnort arbeiten können. Dafür werden ihnen gut ausgestattete Arbeits- und Besprechungsräume zur Verfügung gestellt, die sie stunden-, tage- oder wochenweise mieten können.

Dezentrales Arbeiten

Umfragen zeigen Ahrens zufolge, dass dezentrales Arbeiten auch unabhängig von den Umständen der Corona-Pandemie eine Option bleibt: Ein Drittel der Befragten würde dies befürworten, ein Drittel steht dem ablehnend gegenüber, könnte es sich aber unter bestimmten Voraussetzungen vorstellen, während ein Drittel unschlüssig ist.

Ländliche Räume, die mit mehr Grün und weniger Lebenshaltungskosten punkten, könnten gerade für jungen Familien und Senioren attraktiv sein, wenn sie es verstehen, vor allem die für diese Zielgruppen notwendigen Basisangebote mithilfe „smarter Lösungen“ bereit zu halten, unterstrich die Forscherin. Dazu müssten sie Unternehmen, Dienstleister und weitere Akteure als Partner einbinden und gemeinsam strategische Modelle erschließen. Neben „Arbeit 4.0“, Telemedizin und einem bedarfsgerechten Nahversorgungs- und Mobilitätsnetz sei für diese Zielgruppe insbesondere auch an Kinderbetreuung und Tagespflege zu denken.

Unternehmen brauchen Fachkräfte vor Ort und eine leistungsfähige Verwaltung. Daher ist es in ihrem Interesse, dass auch ländliche Regionen bei den digitalen Serviceleistungen mithalten können. Doch bislang funktioniere der analoge Weg für alle noch zu gut, gab Dr. Benedikt Rüchardt vom Verband der Bayerischen Wirtschaft zu bedenken.

Klaus Ulrich, im Bayerischen Wirtschaftsministerium für die Landesentwicklung zuständig, will daher stärker die regionale Ebene adressieren und auf der Grundlage von Erhebungen der spezifischen Versorgungssituation und Bedürfnisse die digitalen Angebote gezielt verbessern. Damit dies gelingt, müssten regionale Knotenpunkte entsprechend gestärkt werden. Eine Überlegung könnte dabei auch sein, die Ämter für Ländliche Entwicklung stärker für Digitalisierung zu nutzen.

Mehr Fläche gefordert

Auch nach Einschätzung von Thomas Schmid, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbandes, sprechen Argumente wie mehr Wohnraum und Freiraum sowie Homeoffice- bzw. Telearbeitsmöglichkeit für die ländlichen Räume, sofern sie über eine gute Digital- und Verkehrsinfrastruktur verfügen. Doch dies impliziert aber auch einen Nebeneffekt, so Schmid: „Profitieren kann der ländliche Raum nur, wenn er mehr Flächen beanspruchen kann.“

Unklar bleibe auch, wie gut sich die Wirtschaft erholt und wie gut es damit auch um die Arbeitslosigkeit bestellt ist. Bislang haben Experten festgestellt, dass vor allem das mittlere Qualifizierungsniveau gelitten hat, also Arbeitnehmer, die in der Produktion (insbesondere Autoindustrie) oder in klassischen Feldern der Tourismusregionen beschäftigt waren. Dabei ist der Anteil hochqualifizierter Jobs in den vergangenen Jahren ohnehin stark gestiegen. Hier sieht Schmid im Vergleich zu den Städten eher Verluste für die ländlichen Räume.

DK

 

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