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(GZ-17-2021)
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► Serie „Kommunale Entwicklungspolitik anders denken“:

 

Teil 3: „Das ist eine Reise für‘s Leben“

 

Unsere Autorin Anja Schuchardt behandelte im Rahmen ihrer Masterarbeit das Thema „Kommunale Entwicklungszusammenarbeit“ und sprach dazu mit Pia Schmitz-Formes von der Stiftung Fly & Help. Seit sechs Jahren verantwortet diese als Projektmanagerin der Stiftung FLY&HELP und als Ansprechpartnerin für die Kommunen deren Schulbauprojekte im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative „1000 Schulen für unsere Welt“ und ist im direkten Kontakt mit den Partnerorganisationen in den Ländern des Globalen Südens. Im Interview erklärt Schmitz-Formes, worauf es in der Zusammenarbeit mit den Partnern in den Entwicklungsländern ankommt und warum sie ihr Herz an Afrika verloren hat.

GZ: Ursprünglich plante die Stiftung Fly & Help 100 Schulbauprojekte in Entwicklungsländern bis zum Jahr 2025 umzusetzen – inzwischen wurde bereits die 500. Schule gebaut, die meisten auf dem afrikanischen Kontinent. Wie haben Sie es geschafft, das Ziel so weit zu übertreffen?

Schmitz-Formes: Das liegt insbesondere an unserem Stiftungsgründer Reiner Meutsch, der Fly & Help ein Gesicht gibt. Durch sein enormes Engagement, sein breites Netzwerk, seine vielen Reisen sowie seine vielseitigen Aktivitäten im Rahmen der Stiftung haben wir in den vergangenen 11 Jahren seit Stiftungsgründung so viele Förderer gewonnen, die uns aktiv begleiten und unterstützen. Im Rahmen z.B. von Vortragsreihen erzählt er von den Schulbauprojekten, geht offen auf die Menschen zu und begeistert sie von seiner Idee – so wie auch im Jahr 2015 Landrat Stefan Rößle.

Dem besonderen Einsatz von Landrat Rößle ist es zu danken, dass wir den Kontakt zu den Kommunen in ganz Deutschland massiv intensivieren konnten. Rößle und Meutsch teilen die Überzeugung, dass Kindern durch Bildung zu einem selbstbestimmten Leben in ihren eigenen Heimatländern verholfen wird. Die Authentizität, die beide verkörpern, begeistert Freunde, öffentliche und private Partner, Unternehmer und auch das Publikum bei den vielseitigen Auftritten von Reiner Meutsch.

100 Prozent der Spenden gehen in die Projekte

100 % der Spendengelder, die Fly & Help erreichen, fließen ohne Abzüge von Verwaltungskosten in die Schulbauprojekte. Die Organisation und Umsetzung jedes einzelnen Schulprojektes erfolgt nach klar definierten Standards. So arbeiten wir mit verschiedenen Partnerorganisationen und Einheimischen direkt vor Ort zusammen, die spezielle Kriterien erfüllen müssen. Zum Beispiel sollten die Schulen möglichst staatlich organisiert sein, damit die Lehrergehälter und die Bereitstellung von Personal nachhaltig sichergestellt sind.

GZ: Wenn Sie zusammen mit einer Kommune den Startschuss zu einem Schulbauprojekt gegeben haben – wie begleiten Sie das Projekt?

Schmitz-Formes: Uns geht es darum, „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu leisten. Wir möchten die Schule mit den Partnern und der Gemeinschaft vor Ort in den Entwicklungsländern zusammen aufbauen, sodass die Menschen sie eigenständig weiterführen können. Die Gemeinde vor Ort von Beginn an aktiv in den Schulbau und Entscheidungsprozesse einzubeziehen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und Eigenverantwortung zu übergeben, ist elementar wichtig. Unser Ziel ist es, nachhaltig den Kindern Bildung zu schenken, das heißt, auch nach 20 Jahren soll die Schule den Kindern ein sicherer Lernort sein. Um das zu erreichen, muss sich die Community vor Ort mit dem Schulbau identifizieren und das gleiche Ziel verfolgen. Das geht nur, wenn alle Seiten sich miteinander eng und vertrauensvoll austauschen und gemeinschaftlich arbeiten.

Arbeit mit Einheimischen

Auch arbeiten wir ausschließlich mit einheimischen Arbeitskräften und Materialien, um gleichzeitig wirtschaftlich die Menschen vor Ort zu unterstützen und Jobs zu schaffen bzw. zu erhalten. Unsere Partner vor Ort haben ein breites Netzwerk und kennen die politische, wirtschaftliche und v.a. bildungspolitische Lage und insbesondere auch die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen. Ihnen ist wichtig, dass sie nicht bevormundet werden.

In den Bauprozess sind wir aktiv eingebunden, der Baufortschritt wird durch Bild- und Videonachweise dokumentiert und es erfolgt durch Fachkräfte die engmaschige Kontrolle des Baus vor Ort. Auch unsere Spender informieren wir durch regelmäßige Berichterstattungen. Und wenn man dann sieht, unter welchen Bedingungen die Kinder vorher zur Schule gegangen sind – oft waren das völlig marode Strohhütten ohne Türeingang, Fenster und Sitzgelegenheiten – und welche Lernatmosphäre nach dem Bau dort ermöglicht wird, dann sind die Spender sehr begeistert. Zu manchen Schuleröffnungen bieten wir Delegationsreisen an.

GZ: Was lernen die Menschen voneinander, wenn sie im Rahmen der Schulbauprojekte miteinander in Kontakt kommen?

Schmitz-Formes: Das ist eine Reise fürs Leben. Diese Reisen sind einzigartig. Man trägt sie ein Leben lang im Herzen. Wenn man mit den Einheimischen zusammen ist, ihre Kulturen und Werte kennenlernt, die Kinder an den neu gebauten Schulen erlebt, deren Freude und Dankbarkeit, bekommt man eine innere Zufriedenheit und spürt ganz tiefe Demut.

Man lernt sich selbst zurückzustellen und empfindet das Leben mal ganz neu. Aber gleichzeitig entstehen natürlich auch viele Ideen, wie man die Menschen unterstützen möchte. Und da ist es ganz wichtig, dass wir die Menschen vor Ort zu 100 % in alle Ideen miteinbeziehen, uns gemeinsam darüber austauschen und auf Augenhöhe behandeln.

GZ: Was bedeutet das konkret? Wie muss die Zusammenarbeit auf Augenhöhe gestaltet sein?

Schmitz-Formes: So, wie ich behandelt werden möchte, behandle ich auch mein Gegenüber. Das gilt auch für die Kooperation mit allen Verantwortlichen in den Entwicklungsländern. Miteinander gemeinschaftlich agieren, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Nicht unsere europäischen Standards sind hier entscheidend. Vielmehr wird mit der Erfahrung und den Materialien aus den Ländern selbst gearbeitet.

Die Bevölkerung vor Ort sollte immer mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen alle Prozesse gestalten, von Beginn an planen und verantworten alle Beteiligten gleichermaßen. Das schafft Vertrauen und führt letztlich zum erfolgreichen, nachhaltigen Abschluss der Projekte.

Außerdem sind die örtlichen Gemeinden in der Verantwortung, auch zu einem späteren Zeitpunkt anfallende Reparaturarbeiten eigenständig durchzuführen. Durch die gemeinsame Arbeit werden sie automatisch darauf vorbereitet und können eigenständig zukünftig agieren. Jeder lernt durch den anderen und jeder hilft dem anderen gleichwertig. Der Bau erfolgt sowieso immer auf Basis der staatlichen Vorgaben der jeweiligen Länder.

Den politisch Verantwortlichen ist wichtig, dass die Kinder zur Schule gehen. Sie haben auch die Möglichkeit, die Lehrer zu finanzieren und die Schulen dauerhaft zu betreiben. Es fehlen aber oft die finanziellen Mittel, die erforderlichen Schulgebäude zu bauen. Und dafür treten wir ein. Der tatsächliche Aufbau erfolgt aber in gemeinschaftlicher Arbeit mit Bauunternehmen und Materialien aus den Ländern selbst sowie unter Beteiligung der Dorfbevölkerung und der Familien. Nur so identifizieren sie sich mit den Maßnahmen und Hilfen, die ihnen entgegengebracht werden, und für die sie unendlich dankbar sind. Sie möchten sich einbringen und aktiv mitwirken, anfassen und helfen – jeder auf seine Weise.

Mit ‚auf Augenhöhe‘ ist gemeint, nicht belehrend und mit uns vertrauten Mitteln und Wegen den Bauprozess vorgeben, sondern auf Basis der ortsüblichen Bauweisen und Standards in einem permanenten Miteinander. Zum anderen ist die Kommunikation wichtig, sich auszutauschen, miteinander reden und gestalten, voneinander lernen – ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Vorgaben kommen aus den Ländern

Auch der tatsächliche Bedarf wird aus den Ländern vorgegeben, nicht umgekehrt. Oft wünschen wir uns viel mehr Fortschritt und könnten auch mit Spenden das ein oder andere sicher umfangreicher bauen. Zum Beispiel kann ein tiefer Brunnen mit einem Solaraufsatz an einer Schule mehr kurzfristigen Wert bringen, als ggfs. ein ganzes Solardach, damit die Kinder auch abends noch etwas Licht haben und lernen können. Das erleben wir auch im Austausch mit den Kommunen – da sind tolle Ideen, aber die Umsetzung ist manchmal etwas schwierig.

GZ: Welche Ideen lassen sich denn nicht so einfach umsetzen?

Schmitz-Formes: Ein Beispiel dazu wäre, dass schon mal der Wunsch nach engerem Kontakt zu den Kindern der Schulen besteht. Skype könnte eine Möglichkeit bieten. Das kann ich absolut nachvollziehen und es ist ja besonders, wenn hiesige Schulkinder die Kinder in Afrika mal online erleben können. In Afrika fehlt aber die Vorstellung dafür, dafür ist die Distanz und die Wertevorstellung eine ganz andere. Ihnen fehlt vollkommen der Bezug zu uns.

Die Schulen liegen in den entlegensten Regionen, oft gibt es keinen Strom und kein Wasser – geschweige denn Computer und auch keine Netzverbindung. Auch sprachlich ist es schwierig, sich zu verständigen. Da gibt es dann Hemmungen auf beiden Seiten der Rechner. So ein regelmäßiger Austausch ist einfach kompliziert und da muss man Verständnis aufbringen und nicht enttäuscht sein. Wenn wir im Vorfeld bei der Besprechung eines Schulprojektes erfahren, dass ein Spender großen Wert auf den direkten Kontakt zur Schule legt, versuchen wir aber natürlich ein entsprechendes Projekt auszuwählen und den Wunsch zu ermöglichen. Garantieren kann man es aber nicht.

Unterschiedliche Werte und Kulturen

GZ: Sie sind jetzt bereits seit sechs Jahren bei Fly & Help. Was treibt Sie an und wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit den Menschen in Afrika – haben Sie beispielsweise Unterschiede im Wertesystem festgestellt?

Schmitz-Formes: Wie schon erwähnt, sind die Unterschiede groß. Wir leben völlig unterschiedliche Werte und Kulturen. Bei uns geht oft nur darum, noch fortschrittlicher zu sein und noch mehr Umsatz zu generieren, alles ist so schnelllebig. Die Uhr tickt wahnsinnig schnell.

In Afrika herrscht das extreme Gegenteil. Da geht es teilweise um das nackte Überleben. Die Sorge der Menschen dort ist, wie sie täglich ihre Familie ernähren können; die Strom- und Wasserversorgung ist vielerorts nicht ausgebaut, ein flächendeckend ausgebautes Gesundheitssystem gibt es nicht, eine funktionierende Infrastruktur auch nicht überall – gerade nicht in den entlegenen Regionen. Bildung ist oft noch ein Luxus, den sich nicht jede Familie für ihre Kinder leisten kann, und trotzdem sind sie dankbar für das was sie haben.

Ihre Lebenseinstellungen, Erwartungen und Zeitrechnung sind ganz anders. So wie wir uns nicht unbedingt in deren Lebensweisen und Haltungen hineinversetzen können, geht es den Menschen in Afrika genauso mit uns. Man muss es erleben, spüren, ganz wichtig ist es, ins Gespräch zu gehen. Zuhören und Hinhören, was ist den Menschen wichtig, was sind ihre Wünsche und Werte. Dadurch bekommt man ein Gespür für ihr Leben in Afrika. Wenn man sich ihnen zuwendet, für sie interessiert, sind sie auch sehr aufgeschlossen und freuen sich unendlich, dass man ihnen – auf Augenhöhe – begegnet. Diese Gespräche sind wunderbar und geben sehr viel Demut. Ich sehe es als unsere Aufgabe, dahingehend auch bei uns Aufklärungsarbeit zu leisten, damit man lernt, sich gegenseitig besser zu verstehen – auch in den Gemeinden, Landkreisen und Städten.

Und ja, es ist tatsächlich so, dass ich durch die Kooperationen mit unseren Projektpartnern, den Schulbau und auf den Reisen mein Herz an Afrika verloren habe. Ich habe eine richtige Leidenschaft für den Kontinent entwickelt und es fasziniert mich, mit welch schlichten Mitteln sie ihr Leben trotz für uns widriger Umstände mit einer Dankbarkeit und Fröhlichkeit gestalten und bewerkstelligen, dass ich jedem empfehlen kann, sich selbst ein persönliches Bild davon zu machen. Es ist eine Reise fürs Leben.

Anja Schuchardt

 

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