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(GZ-15/16-2021)
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► Serie „Kommunale Entwicklungspolitik anders denken“:

 

Teil 2: „Werte sind nicht verhandelbar“

 

Unsere Autorin Anja Schuchardt behandelte im Rahmen ihrer Masterarbeit das Thema „Kommunale Entwicklungszusammenarbeit“ und sprach dazu mit Stefan Rößle.

Der GZ-Herausgeber ist Landrat und Landesvorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung (KPV). Inspiriert durch ein Gespräch mit Entwicklungshilfeminister Dr. Gerd Müller im Jahr 2016, das in der Bayerischen GemeindeZeitung veröffentlicht wurde, warb Rößle für den Bau von Schulen in Afrika, Asien und Südamerika. In den Folgejahren wurden allein im Landkreis Donau-Ries über 35 Schulbauprojekte initiiert. Von Dr. Müller wurde er als einer von 22 in das Team der „Botschafter für Kommunale Entwicklungspolitik“ berufen und wirbt deutschlandweit für Kommunale Entwicklungszusammenarbeit und insbesondere für die Gemeinschaftsinitiative „1000 Schulen für unsere Welt“. Im Interview beschreibt er seine persönlichen Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit mit den Partnern im Globalen Süden.

Groß war die Freude im ostafrikanischen Kunkhongo, als Landrat Stefan Rößle zur Einweihung einer seiner persönlich finanzierten Schulen anreiste. Bild: Sabine und Detlef Sponer
Groß war die Freude im ostafrikanischen Kunkhongo, als Landrat Stefan Rößle zur Einweihung einer seiner persönlich finanzierten Schulen anreiste. Bild: Sabine und Detlef Sponer

GZ: Wie setzen Sie als Landrat den interkulturellen Dialog mit den Partnern im Globalen Süden praktisch um?

Rößle: Das Projekt „1000 Schulen für unsere Welt“, das ich federführend begleite, soll eine Hinführung zu dem Thema Entwicklungszusammenarbeit sein, so dass die Kommunen sich prinzipiell damit beschäftigen. Mit diesem Konzept schaffen wir einen Rahmen, der es Kommunen erleichtert, ein konkretes Projekt in einem anderen Land umzusetzen – und zwar speziell den Bau einer Schule. Im Wesentlichen beschränken wir uns darauf, Spenden zu sammeln. Der Kontakt vor Ort findet in der Regel erst statt, wenn die Schule eingeweiht wird. Ich selbst habe nur drei Schuleinweihungen in Namibia, in Mosambik und in Malawi begleitet. Deshalb habe ich nur wenig Einblick in das kulturelle Leben der Menschen dort. Meines Erachtens ist es wichtig, dass wir uns in einen interkulturellen Dialog begeben. Es ist kein Automatismus, dass das, was wir für gut, richtig und wichtig erachten, in den Heimatländern unserer Partner ebenso gesehen wird.

Deutsche Standards sind nicht das Maß aller Dinge

GZ: Welche Unterschiede konnten Sie während Ihrer Reisen im Kontakt mit den Menschen feststellen?

Rößle: Was ich gelernt habe: Wenn wir Entwicklungsprojekte erfolgreich umsetzen wollen, müssen wir Deutsche unsere „deutschen Standards“ etwas außen vorlassen. Wir sind beispielsweise sehr ordnungsliebend. Wenn wir eine Schule sehen, meinen wir: „Die muss jetzt 1:1 so auch in Afrika gebaut werden.“ Wir denken dabei z. B. an erneuerbare Energien, nachhaltige Baumaterialien etc. Dabei ist wichtig: Wir müssen das bauen was vor Ort benötigt wird und gerade nicht unsere Maßstäbe 1:1 anwenden. Die Schule, die wir in Malawi errichtet haben, befindet sich in einer Gegend, in der 98 % der Menschen noch gar keinen Strom haben. Wenn wir da mit dem Anspruch kommen, eine PV-Anlage zu integrieren, überfordern wir die Menschen. Für die Schülerinnen und Schüler ist es zunächst ein Riesenfortschritt, ein Dach über dem Kopf haben, damit sie unabhängig vom Wetter unterrichtet werden können. Ein Grundsatz, den wir ebenso einhalten sollten: Nicht alles fertig hinstellen, so wie wir es gut finden, sondern besser „Hilfe zur Selbsthilfe“ leisten. Die Menschen müssen sich mit dem Projekt identifizieren.

GZ: Dieser Grundsatz schließt auch ein, dass die Menschen an Entscheidungen teilhaben. Wie wird das konkret umgesetzt?

Teilhabe an Entscheidungen

Rößle: Das ist nicht immer ganz einfach. Bei den Schulbauprojekten sind nicht wir von den Kommunen vor Ort und begleiten die Baumaßnahmen. Das machen unsere Partner. Sie haben langjährige Erfahrung. Afrika ist ein riesiger Kontinent und die Länder sind sehr verschieden – angefangen bei ihrer Historie bis hin zu den Voraussetzungen. Daher sollte man sich auseinandersetzen mit Land und Leuten und versuchen, die Menschen zu verstehen. Wenn wir erwarten, dass die Menschen mit dem Projekt glücklich sind, dann ist es notwendig zu verstehen und zu akzeptieren, wie sich die Menschen dort entwickelt haben, warum sie bestimmte Eigenschaften haben, wie sie ‚ticken‘, denken und funktionieren. Die Religion, die dort für viele oft wie ein Gesetz ist, steht in der Werteordnung ganz oben. Auch die Ortsvorsteher spielen oftmals eine ganz zentrale, führende Rolle.

Gegenseitige Rücksichtnahme und Kommunikation auf Augenhöhe

GZ: Sind Werte denn verhandelbar?

Rößle: Ich glaube nicht, dass man Werte ohne weiteres „wegverhandeln“ kann. Man sollte versuchen sich gegenseitig zu verstehen und Rücksicht aufeinander zu nehmen. Wenn das in beiden Richtungen erfolgt, kann man auch bei gegensätzlichen Meinungen einen Weg zu einem Kompromiss finden. Einfach ist das definitiv nicht. Es setzt zudem voraus, dass man miteinander kommuniziert und dass man die gleiche Sprache spricht – im übertragenen Sinne natürlich.

GZ: Haben Sie den Eindruck, dass sich eine Art neues Wertesystem entwickelt? Also dass man Teile der einen oder der anderen Kultur übernimmt?

Die Kommunen vor Ort entscheiden selbst ob eine Schule gebaut wird

Rößle: Ich war dreimal in Afrika, in drei ganz verschiedenen Ländern, die auch politisch alle ein bisschen anders funktionieren. Daher kann ich das nicht pauschal beantworten. Erfreulich ist es festzustellen, dass in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Verantwortung auf die Kommunen vor Ort übertragen wurde. Der jeweilige Staat legt schon noch bestimmte Dinge fest – beispielsweise stellt er die Lehrer an und ist für deren Bezahlung verantwortlich. Aber die Regierungen überlassen den Kommunen die Entscheidung, ob überhaupt eine Schule gebaut wird. Für mich war es jedes Mal ein ganz besonderes Erlebnis, wenn ich sehen durfte, wie groß Freude und Dankbarkeit sind, wenn Menschen ein Projekt gemeinsam verwirklichen. Man bekommt ein neues Bewusstsein für den Wert so eines ausgeprägten Gemeinschaftsgefühls. Da können wir viel mitnehmen von Menschen, die deutlich weniger haben als wir.

Schlüsselrolle der Kommunen

GZ: Den Kommunen kommt in der Entwicklungszusammenarbeit immer mehr eine Schlüsselrolle zu – warum lohnt sich das Engagement für Kommunen?

Rößle: Das ist die ganz große Erkenntnis aus dem Projekt „1000 Schulen für unsere Welt“ oder auch aus den anderen Projekten, die wir in unserem Landkreis umsetzen: Die Entwicklungszusammenarbeit funktioniert nicht, wenn unser Land nur Gelder sammelt, verteilt und in den Ländern irgendwelche Projekte umsetzt. Das Ganze muss von den Menschen vor Ort gelebt werden. Nur so gewinnt die Zusammenarbeit Überzeugungskraft und hat die größte Akzeptanz – von beiden Seiten. Es ist vielen Kommunen noch gar nicht bewusst, dass Entwicklungszusammenarbeit zwar vom Gesetz her Aufgabe des Bundes ist, aber funktionieren wird sie nur, wenn sie von den Menschen in den Kommunen gelebt wird.

Anja Schuchardt

 

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