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(GZ-3-2024 - 1. Februar)
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► Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe zum demografischen Wandel:

 

Ruf nach Paradigmenwechsel

 

Der demografische Wandel stellt Staat und Gesellschaft vor immense Herausforderungen. Nach Auffassung der Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe ist ein konstruktiver Umgang mit der Entwicklung notwendig. Dafür seien verschiedene Paradigmenwechsel erforderlich.

„Die Weltbank prognostiziert für die nächsten Jahre einen unverminderten Anstieg des Altersabhängigkeitsquotienten, also der über 65-Jährigen, bezogen auf die Bevölkerung im Erwerbsalter. Damit verschiebt sich tendenziell die Zielrichtung der Staatsausgaben“, stellen die Chefvolkswirte fest. Aufgrund einer höheren Lebenserwartung nehme die Rentenbezugsdauer potenziell zu, was die Thematik weiter verschärfe.

Zwischen 2022 und 2027 gehe die Finanzplanung von einem Anstieg der Rentenversicherungsleistungen des Bundes um rund ein Viertel auf 134,6 Mrd. Euro aus. Gemessen an seinen Einnahmen (ohne Berücksichtigung der Nettokreditaufnahme) liege der Anteil aufgrund der geplanten steigenden Einnahmen auch 2027 noch bei knapp 30 Prozent (2022: 29,6 Prozent).

Problematische Verschiebung der Altersstruktur

Die Probleme, die die Verschiebung der Altersstruktur in Deutschland und anderen Industrieländern mit sich bringt, zeigten sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Durch Renteneintritt seien in den vergangenen Jahren jeweils 800.000 bis 900.000 Personen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, die nur zum Teil durch nachfolgende Generationen ersetzt werden. Beim Thema Fachkräftemangel schlügen die Unternehmen daher Alarm. Die größten Engpässe gebe es demnach aktuell in sozialen und pflegenden bzw. betreuenden Berufen, aber auch im Handwerk und in der IT. Für die Zukunft zeichne sich eine weitere Verschärfung der Knappheit ab: Nach den Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamts werde die Altersgruppe der 65-Jährigen, die absehbar aus dem Erwerbsleben ausscheidet, im Vergleich zu den 20-Jährigen, die an der Schwelle zum Berufsleben stehen, immer größer.

„Bei zunehmender Alterung stellt sich die Frage, ob eine Gesellschaft ihre Innovationskraft und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten kann – insbesondere bei hoher Regulierungsdichte“, heißt es weiter. Mangelnde Anpassung an neue Herausforderungen steigere das Risiko, international abgehängt zu werden und belaste das Wirtschaftswachstum. „Nimmt die aktive Bevölkerung zahlenmäßig ab, könnte eine höhere Produktivität das ausgleichen. Die Entwicklung der letzten Jahre ist hier nicht ermutigend. Allerdings sorgt künstliche Intelligenz (KI) derzeit für intensive Diskussionen und dürfte an Bedeutung gewinnen.“

Mögliche Bremswirkung auf Investitionen

Eine im Alter abnehmende Spartätigkeit könne darüber hinaus eine Bremswirkung auf Investitionen entfalten: Um den Lebensstandard trotz Einkommenseinbußen beim Übergang vom Gehalt auf Rentenbezüge zu halten, werde häufig Vermögen verzehrt, das als Kapital für Investitionen dann nicht zur Verfügung steht. Da die einkommensstarken Länder jedoch insgesamt mit einer alternden Gesellschaft konfrontiert sind, werde die Lösung kaum in einer Entlastung durch Kapitalimporte liegen, vermuten die Finanzexperten.

Die öffentliche Verschuldung in Deutschland sei im EU-Vergleich moderat (66 Prozent zu 84 Prozent des BIP). Krisenbekämpfung und Wachstumseinbußen hätten jedoch ihre Spuren hinterlassen und der jüngste Anstieg der Kapitalmarktzinsen verteuere den Schuldendienst. Der Sparkurs sollte eine Priorität bleiben, um Spielraum für zukunftsorientierte Ausgaben zu schaffen, heißt es.

Neuland „Aktienrente“

Neuland betrete die Bundesregierung mit der „Aktienrente“, in die 2023 zunächst 10 Mrd. Euro aus Krediten fließen sollen. Basis hierfür sei die „Stiftung Generationenkapital“. Erstmals soll so eine kapitalmarktbasierte Komponente das Umlagesystem ergänzen und ab ca. 2037 den Staat entlasten. Mit Blick auf skandinavische Länder, wo die Altersvorsorge seit Jahren Fondskomponenten enthält, ist die Einbeziehung des Kapitalmarkts als weitere Säule im deutschen Rentensystem aus Sicht der Chefvolkswirte „eine sinnvolle Ergänzung, wenn sie ausreichend mit Kapital ausgestattet wird. Zudem muss geklärt werden, inwieweit ein solcher Fonds zusammen mit der Kreditwirtschaft gemanagt werden kann. Ob der vom Finanzminister für die kommenden Jahre anvisierte dreistellige Milliardenbetrag ausreicht, um eine nennenswerte Entlastung zu bringen, ist fraglich.“

Längeres Arbeiten attraktiv machen

Am Arbeitsmarkt stelle sich die Frage, ob die zur Verfügung stehenden Ressourcen effizient genutzt werden. Dabei biete die Aktivierung Älterer ein großes Arbeitskräftereservoir. „Eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters über die aktuell laufenden Maßnahmen hinaus könnte sich allerdings als kontraproduktiv erweisen und zu Ausweichreaktionen führen, zumal das Rentenalter im europäischen Vergleich bereits hoch ist“, geben die Finanzexperten zu bedenken. „Erfolgreicher dürften Anreizsysteme, Flexibilität und individuelle Lösungen sein, die längeres Arbeiten zu einer eigenen Entscheidung und damit attraktiv machen.“

Chancen lägen auch in der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Dies sei allerdings keine Einbahnstraße, denn der Fachkräftemangel stelle mittlerweile ein internationales Problem dar und bewirke auch eine Abwanderung von Fachkräften (Brain Drain). Die erfolgreiche Anwerbung sei daher in Kombination mit der Standortattraktivität insgesamt zu sehen.

Insgesamt gilt es nach Einschätzung der Chefvolkswirte, stärker die Chancen zu nutzen und nicht nur die Bedrohungen zu sehen. „Beispiele wie der wachsende Einsatz von Quereinsteigern in Mangelberufen, die Wiedereinstellung pensionierter Fachkräfte und der Entfall von Zuverdienstgrenzen bei Altersrenten seit 1. Januar 2023 schaffen Flexibilität und zeigen, dass die Anforderungen des demografischen Wandels Bewegung in feste Strukturen bringen. Wenig Bewegung ist allerdings bei der ablehnenden Haltung der Bevölkerung gegenüber einer staatlich verordneten längeren Wochen- oder Lebensarbeitszeit zu erwarten. Wer (wieder-)gewählt werden will, dürfte bei diesem Thema Zurückhaltung üben.“

Für eine gelingende Anpassung an den demografischen Wandel werde noch der ein oder andere Paradigmenwechsel notwendig sein. Dazu zähle ein Kulturwandel hin zu einem generell positiven Verständnis von Arbeit. „Ist das auf der eigenen Stelle nicht möglich, dürfte rascher als in früheren Zeiten gewechselt werden. Dies erfordert auch bei den Unternehmen mehr Flexibilität.“ Die frühzeitige Suche nach kreativen Lösungen helfe, unausgereifte Notlösungen zu vermeiden.

DK

 

 

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