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(GZ-15/16-2022)
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Die Rolle der Stadtwerke in der Digitalisierung

Dr. Henrik Bremer, WIRTSCHAFTSRAT RECHT BREMER WOITAG

„Der Betrieb eines FTTB-Verteilernetzes ist das Herzstück jeder wirtschaftlichen Betätigung eines Infrastruktur-Unternehmens im Rahmen der Digitalisierung“, unterstrich Dr. Henrik Bremer. Dessen Potenzial liege aber nicht nur in der reinen Endkundenversorgung, sondern auch in darauf aufbauenden Geschäftsmodellen wie etwa Smart Grid- und Smart City-Anwendungen, Smart Metering, einem leistungsstarken WLAN im öffentlichen Raum sowie der Anbindung von 5G-Basisstationen.

Bremer zufolge ergeben sich vielfältige Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Breitbandinfrastruktur eines Stadtwerkes. Aktuell sind die Rahmenbedingungen für ein vertieftes Engagement im TK-Bereich selbst bei begrenzten Eigenmitteln besonders günstig: Neben verfügbaren Fördermitteln in Rekordhöhe gebe es eine hohe Bereitschaft zu (privatwirtschaftlichen) Investitionen in den deutschen TK-Markt. Zu beobachten sei auch die Begünstigung von Kooperationsmodellen durch Open Access-Verpflichtungen. „Bei einem Zuwarten ist es umgekehrt ungewiss, wie lange es dauert, bis sich die genannten Trends umkehren, zum Beispiel, sobald das Angebot die Nachfrage deckt“, machte der Rechtsanwalt deutlich.

Mit Blick auf die Ausgangsbedingungen für Stadtwerke auf digitalen Geschäftsfeldern nannte Bremer als Risikofaktoren eine zu geringe Netzgröße, passives Verhalten, den falschen Umgang mit Open Access sowie die zunehmende Möglichkeit einer Überbauung.

„Netze regionaler Eigentümer und Betreiber sind regelmäßig strukturell zu klein. Die Fixkosten des Betriebs erfordern für die Wirtschaftlichkeit eine Bepreisung der Internetprodukte, die häufig nicht konkurrenzfähig ist“, betonte der Anwalt. Dies begründe nachvollziehbare Vorbehalte gegen Open Access, riskiere für kleine Telekommunikationsunternehmen aber spätestens mittelfristig eine nachteilige Regulierung durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) unter §22 Telekommunikationsgesetz (neue Fassung) oder Nebenbestimmungen der Förderbescheide.

Gerade Stadtwerke ohne nennenswertes bisheriges Engagement im TK-Bereich riskierten, bald die Chance digitaler Geschäftsmodelle zu verpassen: Wenn einmal andere flächendeckend die Schlüsselfunktion bei der Grundversorgung mit schnellem Internet übernommen haben, bestünden für Stadtwerke ohne nennenswerte eigene Glasfaserinfrastruktur kaum Betätigungsfelder. Bremer: „Wer noch vor dem Abschluss des Glasfaserausbaus in den TK-Markt einsteigt, dem hilft umgekehrt diese Diversifikation tendenziell auch zur Stabilisierung anderer Sparten der Daseinsvorsorge, die momentan weniger ertragsreich sind und kaum Wachstumspotenziale bieten.“

Auch die fehlende Kompatibilität bisheriger Geschäftsmodelle mit offenen Netzzugängen stelle ein Risiko dar: Breitbandnetze würden aktuell gerade im ländlichen Raum häufig als „Closed Shop“ betrieben. Umsatzerlöse würden fast ausschließlich durch die direkte Versorgung eigener Kunden realisiert, nicht auch durch Durchleitungsentgelte. Häufiger Grund hierfür sei, dass eigene Endkundenpreise wegen zu geringer Skaleneffekte und zu hoher Ausbaukosten in der Vergangenheit nur eingeschränkt wettbewerbsfähig waren. Hinzu komme „die Gefahr eines Aufbrechens faktischer regionaler Glasfaser-Monopole für Breitband-Tarife“.

„Entwickelt ein TK-Unternehmen nicht von sich aus ein Open Access Konzept und bindet es Netzentgelte nicht von vornherein als Ertragsquelle in das eigene Geschäftsmodell ein, stehen die Bedingungen der Netzöffnung letztlich im Ermessen der BNetzA“, erklärte Bremer. Entscheidungen der BNetzA drohten, nach einer Schonfrist in der Aufbauphase neuer Netze zugunsten von Nachfragern nach BSA (Bitstream Access)-Produkten auszugehen, „zumal zu diesen auch die Telekom gehört, die selbst kaum eigene reine Glasfaseranschlüsse betreibt“.

Mit Blick auf Risiko 4 „profitieren kleinere TK-Unternehmen mit Glasfasernetzen aktuell noch davon, dass es für größere Carrier derzeit am Markt andernorts günstigere Wachstumschancen gibt als in Gestalt eines Überbaus ihrer Infrastruktur oder der Durchleitung durch diese“. Die damit einhergehende Schonfrist sei zeitlich begrenzt: „Sobald die Marktanteile im unterversorgten Bereich abgesteckt sind, beginnt der Wettbewerb um die bereits über Glasfaseranschlüsse versorgten Kunden“, stellte Bremer fest.

Als Lösungsansätze für Stadtwerke nannte er die Kooperation mit einem „Senior Partner“ (Kostensenkung durch „SharedServices“; Erhalt von Mitbestimmungsrechten; Synergien für andere Geschäftszweige wie z.B. Lade-
säuleninfrastruktur) bzw. eine eigene Expansion mit „Junior Partnern“. Hier sei die Teilnahme an Förderausschreibungen auch außerhalb des eigenen Stadtgebiets möglich, z. B. als Joint Venture mit anderen Stadtwerken unter Mitnutzung vorhandener Infrastruktur. Neben der eigenwirtschaftlichen Nachverdichtung entlang geförderter Trassen bestehe die Chance, neue Kunden in fremden Netzen durch Kooperation mit dortigen Betreibern zur Durchleitung zu gewinnen. Auch könne die Netzauslastung durch ein eigenes Open Access-Angebot erhöht werden.

Die Bereitschaft, in den nächsten Jahren gezielt (vernünftige) Investitionsrisiken einzugehen, ausreichend eigene Ressourcen (auch personell), ein gut ausgebautes eigenes FTTB-Verteilernetz zumindest im eigenen Stadtgebiet, idealerweise Rückenwind aus Kommunalverwaltung und Gemeinde-/Stadtrat sowie gute Beziehungen ins Umland stellten Gründe für eine eigene Expansion mit „Junior Partnern“ dar, so der Rechtsanwalt. Bei beschränkten eigenen Ressourcen zur Bewältigung einer großflächigen Expansion und einer „Risikoaversion hinsichtlich der Ausweitung der Geschäftsaktivitäten im TK-Bereich“ sei jedoch die Kooperation mit einem „Senior Partner“ empfehlenswert.

Wie Bremer darlegte, „dürfte angesichts der Fülle an verfügbaren Fördermitteln, Investitionen und günstigen Darlehen im Markt fehlendes Kapital dagegen kein Hindernis für eine der beiden Varianten darstellen“. Erwartbares Ergebnis bei beiden Ansätzen ist aus seiner Sicht „die tragfähige Teilhabe an der Wertschöpfung in der Breitbandversorgung und auf weiteren digitalen Geschäftsfeldern“.

Die erfolgreiche Betätigung von Stadtwerken auf digitalen Geschäftsfeldern zeigte Bremer schließlich am Beispiel wilhelm.tel auf. Der Eigenbetrieb Stadtwerke Norderstedt bündelt unmittelbar die Strom-, Gas- sowie Wassersparte. 1999 gründeten die Stadtwerke Norderstedt die wilhelm.tel GmbH als TK-Tochtergesellschaft im Konzern. Die TK-Sparte spielte 2006 noch eine untergeordnete Rolle und erwirtschaftete weniger als 20 Prozent der konzernweiten Umsätze.

2020 ging der Konzernüberschuss der Stadtwerke Norderstedt zu 95 Prozent auf Gewinne der wilhelm.tel GmbH zurück. Umsatzerlöse und der Jahresüberschuss der TK-Sparte haben sich binnen 14 Jahren vervielfacht. Somit entwickelte sich die TK-Sparte vom Beiboot zum Zugpferd der Stadtwerke Norderstedt.

DK

 

Dr. Henrik Bremer, WIRTSCHAFTSRAT RECHT BREMER WOITAG
Dr. Henrik Bremer, WIRTSCHAFTSRAT RECHT BREMER WOITAG

 

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