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(GZ-3-2024 - 1. Februar)
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► Landrat Thomas Karmasin:

 

Haushaltsrede im Kreistag Fürstenfeldbruck

 

Neben Ausführungen zum Haushalt standen folgende Gedanken zur gesamtpolitischen Lage im Zentrum der Haushaltsrede von Landrat Thomas Karmasin im Kreistag Fürstenfeldbruck. Wir zitieren wörtlich aus der Rede des Landkreistagspräsidenten.

„Die moderne Medizin hält eine Vielzahl hochwirksamer Schmerzmittel bereit, die überall preiswert und ohne Schwierigkeiten verfügbar sind. Der Vorteil ist, dass man sich lästige Leiden schnell und einfach vom Hals schaffen kann. Der Nachteil ist, dass man leicht vergisst oder erst gar nicht hinterfragt, warum man eigentlich Schmerzen hatte. Das kann auf Dauer gefährlich sein.

In der Politik passiert derzeit etwas Ähnliches: wir sind – zurecht – in hohem Maße besorgt über Umfrageergebnisse, die eine hohe Zustimmung der Menschen zu radikalen Parteien vorhersagen. Wir überlegen, wie wir diese radikalen Parteien bekämpfen können, durch Protest, womöglich gar durch Verbote. Das kann alles erforderlich sein oder werden, darüber will ich hier nicht sprechen.

Woher kommt die massive Unzufriedenheit und Empörung der Bürger?

Aber sollten wir nicht auch überlegen, woher eigentlich dieser Schmerz kommt? Woher diese plötzliche, breite, massive Unzufriedenheit und Empörung kommt? Wenn Sie jetzt annehmen, ich werde gleich sagen, das habe alles die Ampel-Regierung verursacht, dann muss ich Sie enttäuschen. Das wäre in der Tat viel zu einfach und viel zu kurz gesprungen, auch wenn diese Regierung ein besonderes Talent hat, möglichst viele gegen sich aufzubringen.

Ich will mir nicht anmaßen, überhaupt irgendwo in der politischen Landschaft Schuldige für diesen Zustand auszumachen, zumal eine klassische Grenzziehung auf der Landkarte der Parteien auch gar nicht mehr möglich ist. Wäre es anders, wären diese Grenzen politiktheoretisch dort zu ziehen, wo sie im 19. Jahrhundert entstanden sind, dann wäre eine Partei des Liberalismus und eine Partei eines gemäßigten Sozialismus wohl kaum in einer Regierung zu vereinen. Unterscheidungen sind, wenn auch nicht sehr trennscharf, in der Schwerpunktsetzung zu machen. Während die einen die Notwendigkeit von Verteilung und Versorgung in den Vordergrund rücken, betonen die anderen die Notwendigkeit von Erwerb als Grundlage und Voraussetzung für eben diese Leistungen des Staates. Die Erkenntnis, dass verteilt nur werden kann, was erwirtschaftet wurde, wird seit langer Zeit vernachlässigt, nicht nur von der derzeitigen Bundesregierung, ja überhaupt nicht nur von der Politik.

Kostspielige Anspruchshaltung

Die gesamte Gesellschaft hat sich angewöhnt, für jedes Problem und jeden Wunsch nach dem Staat zu klingeln, wie ein englischer Lord nach dem Butler. Besonders deutlich wurde dies in der Corona Pandemie. Aber auch jetzt ist die Vorstellung, irgendjemand müsse ein beliebiges Problem selbstständig lösen, völlig aus der Welt. Es ist geradezu ein geflügeltes Wort in den Medien geworden, jemand werde mit diesem oder jenem Problem „allein gelassen“. So, als sei der Bürger oder die Bürgerin ein kleines Kind, bei dem der Staat aus dem Zimmer geht und das jetzt hilflos ist.

Diese Anspruchshaltung führt zu einer ganzen Reihe von Folgen: Zum einen kostet der ständige Aufbau von Versorgungsleistungen jedweder Art natürlich Geld. Geld, das bei wichtiger Infrastruktur fehlt. Deshalb sind wir im europäischen Vergleich nahezu überall hintendran: Mobilfunknetz, Breitband, Digitalisierung generell, Bahn!

Ich bin sicher kein Nationalist, schon gar nicht im Urlaub, aber dass man auf der Fahrt nach Rom die Strecke mit dem alten, abgenutzten und unzuverlässigen deutschen Zug kurzhalten muss, dass man spätestens in Bozen in den neuen, sauberen und absolut pünktlichen italienischen Zug umsteigen muss, das schmerzt schon ein bisschen...

Zum anderen muss das Rundumwohlfühlpaket des Staates natürlich administriert werden. Das führt dazu, dass immer mehr Verwaltung aufgebaut wird, die, wie ich bestätigen kann, sehr tüchtig arbeitet, aber natürlich nichts produziert.

Schließlich sinkt die Schwelle des Einzelnen, selbst tätig zu werden, immer weiter. Ein Löwe im Zoo, den der Wärter täglich füttert, verlernt das Jagen. Und er muss rundum geschützt werden, weil er das selbst nicht mehr kann.

Wo immer ein Haus brennen könnte, ein verdorbenes Ei verkauft werden könnte oder auch nur leichtfertig eine persönliche Information bekannt gegeben werden könnte: Überall springt der Staat in Form einer Schar von Bediensteten herbei, die eine Fülle von Regeln vollzieht. Natürlich alles immer zum Schutz des Bürgers, den wir in diesem Zusammenhang gern „Verbraucher oder Verbraucherin“ nennen.

Das ist alles ja gut gemeint und manches ist sogar sinnvoll. Interessanterweise macht es aber die Menschen nicht zufrieden. Aus einem einfachen Grund: Wer in den Genuss sinnvoller oder zumindest für ihn günstiger Leistungen kommt, hält diese längst für selbstverständlich. Wehe nur, wenn sie wieder abgeschafft oder gekürzt werden.

Gigantischer Aufwand der öffentlichen Hand macht niemanden glücklich

Wer nicht in den Genuss kommt oder wer gar von zweifelhaften Regelungen betroffen ist, ärgert sich über viel zu viel Bürokratie und darüber, dass die Verfahren viel zu lange dauern, viel zu aufwändig sind und zu viel kosten. Conclusio: Der gigantische, teure Aufwand, den die öffentliche Hand betreibt und den sie immer weiter aufbläht, macht in Wahrheit niemanden richtig glücklich, sondern im Gegenteil früher oder später alle unzufrieden.

Nun könnte man ja meinen, es wäre geradezu ein Segen, dass in den Kassen der öffentlichen Hand weniger Geld ist. Es werde den Staat ganz automatisch verschlanken, wie so eine Art Fitnesskur oder Zwangsdiät. Soweit sind wir aber noch nicht. Im Moment lässt die Rechtslage es noch zu, dass Bestellungen zulasten fremder Kassen getätigt werden.

Kein Politiker einer höheren Ebene muss auf Wohltaten verzichten, weil es genügend Möglichkeiten gibt, sie durch eine niedrigere Ebene finanzieren zu lassen. In Bayern gibt es dafür inzwischen gewisse Grenzen, weil durch das Konnexitätsprinzip der Staat bezahlen muss, wenn er etwas bestellt. Im Bund ist das anders. Obwohl oder gerade weil es Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen nicht gibt, werden dort fröhlich Leistungen erfunden oder ausgeweitet, die die Kommunen zahlen müssen. Der Bund sagt: ich kenne euch nicht, wendet euch an die Länder, und das Land sagt: tut mir leid, das ist kein Fall der Konnexität, wir konnten leider nicht verhindern, dass der Bund solchen Unsinn beschließt.

Und damit richte ich den Blick auf die kommunalen Kassen: Ich durfte den Finanzausgleich heuer ja federführend mit dem Finanzminister verhandeln. Wir haben nach zähen Verhandlungen am Schluß 130 Millionen mehr für die Kommunen herausholen können als allgemein erwartet wurde.

Immerhin 1,5 Millionen davon spüren wir direkt bei unserer Kreisumlage. Ein ordentliches Ergebnis. Klingt gut! Aber im gleichen Moment wurde bekannt, dass alleine der Bezirk Oberbayern 170 Millionen mehr Geld für Sozialausgaben benötigt. Das Missverhältnis zwischen Ansprüchen, die befriedigt werden sollen, und der Finanzausstattung geht immer weiter auseinander. Hinzu kommen ständig weitere, neue Wohltaten, die finanziert und administriert werden müssen.

Auf der untersten Ebene sagen die Gemeinden gern, sie seien die letzten in der Nahrungskette. Sie könnten sich nicht wehren, seien einfach der Umlage des Landkreises ausgeliefert. Das stimmt praktisch weitgehend. Theoretisch nicht ganz, denn sie könnten, wenn auch unter Schmerzen und nicht immer sinnvoll, an der Steuerschraube drehen. Der Landkreis kann nicht einmal das. Er ist der Bezirksumlage ausgesetzt und hat keine Steuerschraube. Er hat nur die Kreisumlage. Trotzdem kann er natürlich seinen Gemeinden nicht jede finanzielle Luft abdrücken. Was haben wir also getan?

Kommunale Spielräume

Wir haben eine Konsolidierungskommission eingesetzt, die ausgelotet hat, welche Spielräume überhaupt bestehen. Allzu üppig sind sie nicht, denn zu den meisten Zahlungen verpflichten uns, wie dargestellt, andere Ebenen. Die Möglichkeiten, die wir durch Steuerung im Rahmen der Pflichtaufgaben haben, haben wir schon freiwillig genutzt. Zum Beispiel ist es erstmals gelungen, den ständigen Anstieg der Jugendhilfe durch Organisationsmaßnahmen zu stoppen. Damit gehören wir zu den Vorreitern!

Bei den Ausgaben, die wir überhaupt nennenswert gestalten können, haben wir uns entschieden, Schwerpunkte zu setzen. Ein klassischer Schwerpunkt ist unser ÖPNV, wo wir Deutschlands Beste bleiben wollen.

Auch unsere Schulen wollen  wir künftig gut ausstatten. Schlimm genug, dass uns bei zwei Projekten auch aufgrund einzelner schlechter Bauleistungen Zeitplan und/oder Kosten durcheinanderkommen. Andere Bereiche müssen wir verschlanken und straffen, auch wenn das da und dort als falsches Signal missverstanden werden kann. Dem Diktat einer erträglichen Kreisumlage folgend habe ich schließlich auch einer kräftigen Beschneidung der Personalkosten zugestimmt.

Nur eines muss klar sein: Es gibt gute Gründe zu sagen, im Moment können wir uns die Sterneküche nicht leisten, lass uns mal eine Zeit lang Leberkäse essen. Aber seitens des Gesetzgebers ein Sternerestaurant zu verordnen und zu erwarten, aber seitens des Kreistags die
Köche nicht einzustellen, wird Probleme geben.

Solidarisch mit den Gemeinden

Im Ergebnis schlagen wir eine Kreisumlage von 50,61 Punkten vor. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen müssen mehr erhöhen. Wir zeigen Solidarität mit unseren Gemeinden, die schwierigen Zeiten entgegengehen.

Mittel- bis langfristig helfen aber nur zwei Dinge, die ich am Anfang beleuchtet habe: Wir müssen politisch erreichen, dass andere ihre Hände aus unseren Kassen nehmen und wir müssen dafür sorgen, dass Erwerb stattfindet. In unserem Landkreis besteht dazu eine riesige Chance auf unserem Fliegerhorst. Auch deshalb unterstützen wir mit so großem Nachdruck die Entwicklung des geplanten Biodroms, das als gigantischer Inkubator für unsere Region wirken wird. Ich freue mich, dass ich da an den richtigen Stellen in Bayern mit anschieben darf.“

 

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