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(GZ-8-2022)
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► Energieministerkonferenz von Bund und Ländern:

 

Im Krisenmodus

Ihre Entschlossenheit, die Energiewende konsequent voranzutreiben und die Abhängigkeit von russischen Importen zu reduzieren, bekräftigten die Energieminister von Bund und Ländern bei ihrem jüngsten Treffen unter Vorsitz des niedersächsischen Ministers für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, Olaf Lies.

Olaf Lies. Bild: Nds. Ministerium f. Umwelt, Energie, Bauen u. Klimaschutz
Olaf Lies. Bild: Nds. Ministerium f. Umwelt, Energie, Bauen u. Klimaschutz

Die Bundesregierung wird in Kürze ein Gesetzgebungspaket zur Beschleunigung der Energiewende auf den Weg bringen. Für den Sommer vorgesehene weitere Maßnahmen zur Flächenverfügbarkeit für Wind und zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen bereits im Mai in die Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Thema des Treffens waren außerdem die aktuellen Vorsorgemaßnahmen, die notwendig sind, um die Energieversorgung auch im Falle von Lieferunterbrechungen oder Versorgungsengpässen sicherzustellen. Dabei wurde auch die Entscheidung des BMWK, die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas auszurufen, erörtert.

Dr. Patrick Graichen. Bild: BMWK / Susanne Eriksson
Dr. Patrick Graichen. Bild: BMWK / Susanne Eriksson

Dr. Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, wies darauf hin, dass es derzeit keine Versorgungsengpässe gebe, es aber aufgrund der aktuellen Lage geboten sei, die Vorsorgemaßnahmen zu erhöhen, insbesondere die ausreichende Befüllung der Gasspeicher sicherzustellen, um auf eine etwaige Eskalation seitens Russlands vorbereitet zu sein.

Gas ersetzen durch andere Energiequellen

Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger verlangte vom Bund, „bereits jetzt Gas wo immer möglich durch andere Energiequellen zu ersetzen, um einer möglichen Gasmangellage frühzeitig zu entgegnen“. Die Stromproduktion sollte neben den Erneuerbaren Energien vorrangig mittels Kohlekraftwerke erfolgen, soweit technisch möglich, um Gas zu sparen. „Dafür müssen die Rahmenbedingungen gesetzt und die Kohlevorräte maximal aufgefüllt werden. Wir brauchen sechs bis zwölf Monate Vorratshaltung bei Kohle, die wir weltweit kaufen können und müssen. Strom und Öl müssen gezielt günstiger werden, damit sich der Verbrauch dorthin verlagert“, so Aiwanger.

Hubert Aiwanger. Bild: Bay. Wirtschaftsministerium / R.Kerl
Hubert Aiwanger. Bild: Bay. Wirtschaftsministerium / R.Kerl

Weitere Maßnahmen, die schnell wirksam sind, müssten ergriffen werden: „Biogasanlagen müssen entbürokratisiert und voll ausgelastet sowie Flächenstilllegung in der Landwirtschaft zumindest temporär aufgehoben werden. Denn hier können wir beispielsweise Energiepflanzen zur Stromerzeugung anbauen“, erklärte der Minister. Des Weiteren seien Vorkehrungen zu treffen, um Lkw im Ernstfall umgehend auf einen Betrieb ohne AdBlue umstellen zu können, da auch zur AdBlue-Produktion Gas benötigt wird. „So stellen wir sicher, dass es nicht plötzlich zu Transportengpässen kommt.“

Auch Endverbraucher könnten den Gasverbrauch beim Heizen reduzieren, indem sie so weit wie möglich auf strombetriebene Endgeräte umstellen. Auch dazu muss Strom durch Steuersenkungen günstiger werden: „So sorgen wir dafür, dass alle systemrelevanten Betriebe weiter mit Gas versorgt werden können, bei denen es keine Ersatzlösungen gibt. Ich hoffe aber sehr und rechne damit, dass die Verhandlungen in den kommenden Wochen zu einer vernünftigen Lösung führen werden und es nicht zu einem Gasembargo kommt“, stellte Aiwanger fest. Das Bayerische Wirtschaftsministerium habe bereits seit mehreren Wochen einen eigenen Krisenstab Gasversorgung mit Vertretern der Energieunternehmen, Wirtschaftsverbänden und Industrie eingerichtet.

Sehr ernstes Zeichen

Ministerpräsident Dr. Markus Söder nannte die Ausrufung der Frühwarnstufe im Notfallplan Gas durch die Bundesregierung ein „sehr ernstes Zeichen“. Er forderte den Bund zur Sicherstellung der Energieversorgung auf und plädierte für einen eigenen Krisenstab dazu im Kanzleramt. Außerdem rief Söder erneut dazu auf, Atom- und Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen als bisher geplant. Es wäre geradezu absurd, in einer solchen Situation nun andere Energieträger abzuschalten, warnte der CSU-Vorsitzende und verwies auf drohende massive Einschnitte für die Wirtschaft und Massenarbeitslosigkeit.

Dr. Markus Söder. Bild: Staatskanzlei
Dr. Markus Söder. Bild: Staatskanzlei

Für VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing ist die Feststellung der Frühwarnstufe nach dem Notfallplan Gas „eine richtige und notwendige Entscheidung“ des zuständigen Ministers Habeck. Sie ergänze seine Bemühungen um mehr Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen. Aktuell bestehe noch keine Mangellage. Der Schritt diene aber der rechtzeitigen Vorbereitung auf einen möglichen russischen Lieferstopp und eine dann folgende Unterversorgung. Erforderlich sei nun, im sog. Krisenteam mit Vertretern der Bundesregierung, der Bundesnetzagentur, der Länder und der Branche zusammenzukommen und Vorkehrungen für die bei einem Lieferstopp notwendige Notfallstufe zu treffen. Sie gehe einher mit umfassenden Rechten und Pflichten der Bundesnetzagentur.

Vorbereitung auf mögliche Notlage

Ingbert Liebing. Bild: VKU/Chaperon
Ingbert Liebing. Bild: VKU/Chaperon

Liebing zufolge sind sich die Stadtwerke ihrer Verantwortung für die Versorgungslage bewusst und bereiten sich auf eine mögliche Notlage vor. „Niemand wünscht sie sich, aber niemand kann sie zurzeit ausschließen.“ Die Stadtwerke benötigten dafür aber auch klare Kriterien und Rechtssicherheit bei der im Knappheitsfall erforderlichen Priorisierung, wem weiterhin wie viel Gas geliefert werden kann. Möglicherweise sei es für den Fall eines Lieferstopps auch erforderlich, umfangreiche Beschränkungen und Vorgaben für den Gashandel zu verfügen und die kommunalen Energieversorger finanziell abzusichern. Hier seien Bundesregierung und Bundesnetzagentur gefordert.

Kerstin Andreae. Bild: Trutschel/BDEW
Kerstin Andreae. Bild: Trutschel/BDEW

Auch Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, bezeichnet die Ausrufung der Frühwarnstufe als wichtigen Schritt, der nun ermögliche, auch auf formalem Weg Vorsorge für eine eventuell mögliche erhebliche Verschlechterung der Gasversorgungslage zu treffen. Es gehe darum, dass alle von einem möglichen Lieferstopp russischer Gasmengen betroffenen Unternehmen sich jetzt auf diese Situation vorbereiten und so einen wertvollen Beitrag zur Krisenvorsorge leisten können, dass im Sinne der Versorgungssicherheit in Deutschland europaweit einheitlich vorgegangen wird und alle Gasnetzbetreiber und Gasversorgungsunternehmen sich auf die zu ergreifenden Maßnahmen und die erforderlichen Abläufe im Krisenfall vorbereiten und diese rechtlich richtig einordnen können.

Klarer Fahrplan

Obwohl aktuell noch keine Mangellage vorliegt, ist es aus Andreaes Sicht notwendig, dass alle Beteiligten für den Fall einer Lieferunterbrechung einen klaren Fahrplan zu ihren Rechten und Pflichten haben. „Das heißt, wir müssen jetzt die Notfallstufe konkret vorbereiten, denn im Fall einer Lieferunterbrechung muss es schnell gehen. Die Gasversorger werden weiterhin ihre Verantwortung wahrnehmen, die Gasversorgung zu sichern und entsprechende Maßnahmen in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur vorbereiten. Klar ist, die geschützten Kunden, zu denen private Haushalte und soziale Dienste wie Krankenhäuser und Feuerwehr gehören, werden weiter versorgt. Für alle weiteren Kunden, zu denen auch die Industrie gehört, brauchen wir eine Positiv-Liste, die festlegt, welche Industrien und Sektoren weiterhin mit Gas versorgt werden.“

 Dr. Manfred Gößl. Bild: IHK München
Dr. Manfred Gößl. Bild: IHK München

Nach Auffassung von Dr. Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK), unterstreicht das Ausrufen der Frühwarnstufe des Notfallplans Gas die kritische Lage an den Energiemärkten: „Für Bayerns Wirtschaft ist das Versorgungsrisiko groß, da russisches Erdgas eine wichtige Rolle in vielen Industriebetrieben spielt. Angesichts der angespannten Lage ist es vollkommen richtig und notwendig, dass nun ein Krisenstab die Situation täglich beurteilt und weitere Vorbereitungen koordiniert. Wir begrüßen, dass das Bayerische Wirtschaftsministerium im Krisenstab der Bundesregierung vertreten ist.“

Betriebe, die auf Erdgas angewiesen sind, sollten spätestens jetzt Notfallpläne aufstellen, um Schäden an Anlagen und Produktionsgütern durch Erdgas-Lieferstopps so gut wie möglich zu vermeiden. Wichtig sei im Einzelfall auch der offene Austausch mit den Energieversorgern, um Klarheit über vertragliche Regelungen bei möglichen Einschränkungen oder Abschaltungen zu erhalten, so Gößl weiter. Laut einer Studie des BDEW sei das Ausweichen auf andere Energieträger für die meisten Industriebetriebe kurzfristig nicht möglich. Das Substitutionspotenzial für Erdgasanwendungen umfasse nur acht Prozent des gesamten industriellen Erdgasverbrauchs. „Die Industrie würde damit von einem Lieferstopp voll getroffen werden, ohne dass realistische kurzfristige Optionen einer Energieträgersubstitution bestehen“, heißt es in der Studie weiter.

Schnellkredit- und Eigenkapitalprogramme

Der BIHK fordert daher weiter den Einsatz aller Instrumente, um die Energieversorgung zu stabilisieren und das Energieangebot unabhängig von russischen Lieferungen zu erhöhen. Die Bundesregierung müsse auch Schnellkredit- und Eigenkapitalprogramme für besonders betroffene Unternehmen vorbereiten. Diese sind nach Gößls Einschätzung besonders in den energieintensiven Branchen zu finden, wie Zement- und Ziegelfabriken, Metallindustrie, Nahrungsmittelindustrie mit Molkereien, Zucker, Stärke- und Futtermittelherstellern, die komplette chemische Industrie, Glas- und Keramikindustrie und Papierhersteller. In diesen Branchen stehen in Bayern mehr als 200.000 Jobs auf dem Spiel. Die Dominoeffekte durch Produktionsausfälle und massive Preissprünge quer durch alle Sektoren wären verheerend.

DK

 

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