Politikzurück

(GZ-23-2021)
gz landespolitik
GZ-Plus-Mitgliedschaft 

► Kinder- und Jugendhilfe:

 

Personalmangel und 2G in der Kritik

 

Die Situation in der Kinder- und Jugendhilfe in Bayern steht vor großen Herausforderungen – das stellten verschiedene Experten im Rahmen einer Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie im Bayerischen Landtag heraus. Neben der hohen Personalfluktuation stand vor allem die bayernweit geltenden Infektionsschutzmaßnahmen, darunter die 2G-Regel, in massiver Kritik. Denn gerade ungeimpften Jugendlichen werde so die Teilhabe verwehrt und der Zugang zur Jugendarbeit eingeschränkt.

Der Personalmangel ist vor allem in sozialen Berufen besonders hoch. Sabine Ahlers-Reimann, Direktorin der Abteilung Kinder- und Jugendhilfe, Ausländer und Integration beim Bayerischen Landkreistag, empfahl deshalb eine Imagekampagne und eine wissenschaftliche Erhebung zu Studiengängen und Ausbildungsangeboten. „Wir müssen mehr Leute ins System bringen“, sagte Michael Eibl, Direktor der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Regensburg. Er betonte, dass die Ausbildung in diesem Bereich deshalb nicht niedrigschwelliger sein solle, sondern höherwertig.

Fluktuation gehört zum Alltag

Personalfluktuation gehöre mittlerweile zum Alltag, sagte Siegmund Hammel, Leiter des Jugendamts Eichstätt und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der oberbayerischen Jugendamtsleitungen. „Den Sozialarbeiter, der eine Familie ein Leben lang begleitet, gibt es nicht mehr.“ „Es wird nicht die eine Lösung geben“, so Sabine Lindau, Vorständin Verbandsvertretung, Integration und Familie bei der Diakonie Bayern. Um den Mangel zu beheben, müsse unter anderem Quereinsteigern der Zugang ermöglicht und das Studium staatlich finanziert werden. Auf heftige Kritik stieß die Mitte November verkündete 15. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung.

Vorgaben wie 3G und 3G plus sind darin nicht mehr enthalten – es gibt nur noch 2G und 2G plus in Bayern. Die 2G-Regel schreibt vor, dass Menschen entweder geimpft oder von Corona genesen sein müssen, um Zutritt zu bestimmten Innenräumen oder Veranstaltungen zu erhalten. Ein negativer Corona-Test von Ungeimpften reicht nicht mehr aus. Kinder bis 12 Jahre und 3 Monate ohne Impfung sind zwar zu 2G zugelassen. Und auch ungeimpften 12- bis 17-jährigen, die in der Schule regelmäßig negativ getestet werden, bleibt der Zutritt zu 2G übergangsweise bis Ende Dezember zur eigenen Ausübung sportlicher, musikalischer oder schauspielerischer Aktivitäten, in der Gastronomie und dem Beherbergungswesen möglich. Dieser letztmalige Übergangszeitraum bis Ende Dezember sollte für eine Impfung genutzt werden.

Doch daraus ergeben sich Konsequenzen, die Matthias Fack, Präsident des Bayerischen Jugendrings BJR, stark kritisierte. Kinder und Jugendliche müssten in ihren Bedürfnissen wahrgenommen werden, forderte er und bemängelt, dass die Anordnung 2G ungeimpften Kindern und Jugendlichen den Zugang zur Jugendarbeit verwehre.

Ausbau der Hilfsmöglichkeiten

Für Heranwachsende seien andere Jugendliche wichtig, um sich in der Welt zu positionieren, so Dr. Christian Lüders, Vorsitzender des Bayerischen Landesjugendhilfeausschusses. Das werde mit einer 2G-Regel verhindert. Gerade die Ungeimpften wolle man ja erreichen. Eine Stellungnahme dazu kam aus dem Sozialministerium von Peter Nitschke, zuständig für Jugendarbeit und -politik. Er fügte an, dass auch ungeimpften Jugendlichen immerhin eine gewisse Teilhabe, etwa beim Sport oder Schauspiel, möglich sei. Susann Enders, Sprecherin für Soziales und Familie der Freie Wähler-Landtagsfraktion, forderte einen Ausbau ergänzender Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen der Krisenbewältigung:

„Die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Infektionsgeschehens haben insbesondere Kinder und Jugendliche stark in ihren Sozialkontakten und Kontaktmöglichkeiten zu Gleichaltrigen eingeschränkt. Dabei gilt es die Interessen und Meinungen von Kindern zu erfragen und zu berücksichtigen, um Informationen altersgerecht aufzubereiten und Unterstützungsangebote dem Einzelfall entsprechend anpassen zu können.“

Kritik an Digitalisierung

Neben den Infektionsschutzmaßnahmen schränken auch weitere Aspekte die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ein. So waren sich die Experten einig, dass es bei den Themen Digitalisierung, bei der technischen Ausstattung und der Qualifizierung Nachholbedarf gäbe. Digitale Endgeräte zum Homeschooling seien erst mit Spendengeldern angeschafft worden, berichtete Luca Müller, 1. Vorsitzender des Bayerischen Landesheimrats aus seinen Erfahrungen während der Pandemie. Das WLAN sei nicht stabil gewesen und die Betreuer hätten sich mit der EDV nicht ausgekannt, so der Jugendliche. Zwar habe Corona einen Schub gebracht, doch noch immer werde nicht gesehen, dass die Digitalisierung institutionalisiert werden müsse, so Josef Parstorfer, Geschäftsführer des Sozialpädagogischen Zentrums St. Leonhard in Regensburg.

Corona verstärkt Strukturmängel

Das größte Problem: Wenn Geräte fehlten, könnten Kinder und Jugendliche ihrer Schulpflicht nicht nachkommen, so Dr. Melanie Mönnich, Referentin Kinder, Jugend, Bildung beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Die fehlenden Teilhabemöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler seien enorm. Dass Ungleichheit und Teilhabechancen sich verschlechtert haben, beobachtete auch Elisabeth Ries, Mitglied des Sozialausschusses im Bayerischen Städtetag. Strukturmängel seien durch Corona noch verstärkt worden, sagte auch Professor Mechthild Wolff, die an der Hochschule Landshut den Studiengang Kinder- und Jugendhilfe leitet. Fehlende Beteiligung junger Menschen führe zu einem Gefühl der Marginalisierung.

Die Auswirkungen von Corona-Pandemie und Lockdown auf die Kinder und Jugendlichen seien massiv unterschätzt worden, beteuerte abschließend Holger Kiesel, Behindertenbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung. Kinder und Jugendliche mit Behinderung seien besonders vulnerabel. Er forderte, ihnen mehr Möglichkeiten zu geben, ihre Bedürfnisse zu artikulieren.

In Bezug auf die Reform des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes(KJSG) und des SGB VIII sowie deren Auswirkungen auf Inklusion und das bayerische AGSG wurde der Wunsch nach mehr Klarheit laut: „Der Gesetzgeber lässt uns in der Luftleere hängen“, so Julia Neumann-Redlin, Referentin für Soziales beim Bayerischen Bezirketag. Dabei gäbe es viele Schnittstellen – bei Volljährigkeit etwa zu Leistungen der Eingliederungshilfe oder der Pflege – an denen man ansetzen könne.

Der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Freien Wähler, Johann Häusler, hingegen betonte: „Das KJSG zielt auch außerhalb von Krisenzeiten darauf ab, mit einer modernen Kinder- und Jugendhilfe vor allem diejenigen Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen zu stärken, die besonderen Unterstützungsbedarf haben. Allerdings benötigen wir bessere Präventions- und Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen, Eltern und Familien vor Ort.“

 

 

Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!

 

GemeindeZeitung

Politik

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung