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(GZ-22-2021)
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► Diskussion im Bayerischen Landtag:

 

Wie bleibt Elektrizität bezahlbar?

 

Die durchschnittlichen Strompreise in Bayern werden auch in den kommenden Jahren weiter steigen. Wie kann der Anstieg gebremst und Verbraucher sowie Unternehmer entlastet werden? Darüber diskutierte Experten mit Abgeordneten in einer Anhörung im Ausschuss für Wirtschaft, Landesentwicklung, Energie, Medien und Digitalisierung im Bayerischen Landtag. Die CSU-Landtagsfraktion forderte per Dringlichkeitsantrag im Rahmen des Plenums Klarheit über Reservekapazitäten insbesondere aus Gaskraftwerken.

Die Beschaffungspreise für Erdgas haben sich seit Jahresbeginn verdreifacht, für einen kurzfristigen Erwerb teils sogar verfünffacht. Zudem explodieren die Kosten insbesondere bei fossilen Ressourcen und Kraftstoffen aktuell. Nach Berechnungen der Prognos AG könnte sich der Strompreis in Bayern bis 2030 um durchschnittlich 50 Prozent verteuern. Hauptgründe dafür sind der wachsende Strombedarf sowie die Kosten für die Energiewende. Nach deren Abschluss Mitte der 2030-er Jahre sei aber wieder mit sinkenden Strompreisen zu rechnen, sagte Dr. Almut Kirchner von der Prognos AG voraus. Ohne die Umstellung auf erneuerbare Energien würden die Strompreise aber noch stärker steigen. Diese hätten wegen ihrer vergleichsweise niedrigen Produktionskosten eine „dämpfende Wirkung“. Nötig sei deshalb deren konsequenter Ausbau.

EEG-Umlage und Wohngeld

Um bis dahin die Strompreise für die Kunden bezahlbar zu halten, forderten mehrere Experten die Abschaffung der EEG-Umlage sowie die Absenkung der Stromsteuer auf das von der EU zugelassene Mindestmaß. Allein das entlaste private Haushalte um bis zu fünf Cent je Kilowattstunde, teilte Dr. Thomas Engelke von der „Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.“ mit. Einkommensschwache Haushalte könnten durch höheres Wohngeld oder einen Aufschlag auf andere Sozialleistungen unterstützt werden. Für Geringverdiener ohne Anspruch auf Sozialleistungen müssten andere Hilfen greifen, zum Beispiel bei der Anschaffung stromsparender Haushaltsgeräte.

Keine Verzerrungen durch Fonds

Wirtschaftsvertreter warnten vor Wettbewerbsverzerrungen wegen der hohen Strompreise. So plädierte Dr. Bernhard Langhammer als Sprecher der ChemDelta Bavaria für einen stabilen Industriestrompreis. Die Differenz zum jeweils aktuellen Marktpreis müsse für die Unternehmen zum Beispiel über einen auch staatlich unterstützten Fonds ausgeglichen werden. Ähnlich äußerte sich der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, Bertram Brossardt. Die hohen Strompreise seien eine „echte Belastung für unsere Unternehmen“ und behinderten den Weg in die Klimaneutralität. Vor allem energieintensive Unternehmen bräuchten andere Marktregeln als Mittelständler und private Haushalte. Ansonsten drohe in einigen Regionen Bayerns eine De-Industrialisierung. Dr. Felix Matthes, Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik beim Öko-Institut, riet davon wegen des immensen Subventionsbedarfs ab.

Einfachere Genehmigungsverfahren

Brossardt sprach sich zudem für einen umfassenden Ausbau der erneuerbaren Energien und damit auch der Windkraft in Bayern aus. Die 10H-Abstandsregel sei da wenig hilfreich. Zudem forderte Brossardt einen raschen Ausbau der Stromnetze, um Lieferengpässe zu vermeiden. Dem schloss sich Dr. Ingo Schmidt vom Stromnetzbetreiber TenneT TSO an. Ohne Netzausbau würden immer mehr technische Eingriffe zur Stabilisierung der Netze erforderlich. Sein Unternehmen habe dafür allein 2020 mehr als eine Milliarde Euro aufwenden müssen, was letztlich auch auf den Strompreis durchschlage. Dr. Matthes empfahl der Staatsregierung zur Beschleunigung der Energiewende und des Netzausbaus die Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die erleichterte Bereitstellung der dafür erforderlichen Flächen.

Keine Abhängigkeit von Stromkosten

Im Gegensatz zu den anderen Fachleuten lehnte Swantje Fiedler vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft eine Absenkung der Strompreise ab. Aus ihrer Sicht sei dieser in Deutschland nicht zu teuer. Bezogen auf das Durchschnittseinkommen lägen bei Privatkunden die monatlichen Kosten für den Strombezug im europäischen Mittelfeld. Für einkommensschwache Haushalte brauche es aber Hilfen. Auch die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie hänge - von wenigen Branchen abgesehen - nicht von der Höhe der Stromkosten ab, so Fiedler. Energieintensive Branchen genössen schon heute Ausnahmeregelungen. Eine pauschale Strompreissenkung sei auch aus ökologischer Sicht der falsche Weg. Fossil erzeugter Strom müsse eher verteuert, regenerativ hergestellter verbilligt werden, meinte Fiedler. Aktuell werden etwa 17 Prozent des deutschen Energieverbrauchs durch Erneuerbare gedeckt.

Freie Wähler fordern EU-Industriestrompreis

Um die Kosten dauerhaft zu senken, forderte Rainer Ludwig, energiepolitischer Sprecher der FREIE WÄHLER Landtagsfraktion einen europäischen Industriestrompreis: „Wir müssen verhindern, dass bayerische Spitzenunternehmen ihren Standort durch wettbewerbsschädliche Vorgaben ins Ausland verlagern müssen. Insbesondere die staatlich erwirkten Bestandteile der Energiepreise müssen reduziert werden, um eine spürbare Entlastung für Wirtschaftskonzerne zu gewährleisten.“ Eine Senkung der Stromsteuer auf das EU-rechtlich zulässige Mindestniveau sei dabei dringend erforderlich. Zudem müsse eine zeitnahe Abschaffung der EEG-Umlage erfolgen. „Klimaschutz und Wohlstand dürfen nicht im Gegensatz stehen. Stattdessen gilt es Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen – und das stets unter dem Aspekt der sozialen Verträglichkeit. Vor dem Hintergrund des Pariser Klimaabkommens ist deshalb ein ambitionierter Ausbau erneuerbarer Energien unumgänglich – denn sie sind der Schlüssel zu mehr Klimaschutz“, so Ludwig.

FDP plädiert für grundlegende Reform

Der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag, Albert Duin, plädierte für eine grundlegende Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Strom, um die Geldbeutel der Verbraucher zu entlasten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern: „Aktuell setzt sich der Strompreis zu rund 51 Prozent aus Steuern, Abgaben und Umlagen sowie zu 25 Prozent aus Netzentgelten zusammen. Die tatsächliche Strombeschaffung und der Vertrieb machen also nur ein Viertel des Preises aus. Die geplante Senkung oder Abschaffung der EEG-Umlage auf Bundesebene kann hier nur ein erster Schritt sein.“ Um die Kosten der Netzstabilität zu senken, müssten in Zukunft zudem Infrastrukturprojekte wie die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung-Leitungen (HGÜ) so schnell wie möglich genehmigt und realisiert werden.

Kritik an Staatsregierung

Die SPD-Wirtschaftsexpertin Annette Karl forderte einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und den Strompreis für private Haushalte zu senken – was allerdings nur durch steuerliche Finanzierung der Ausnahmen bei der EEG-Umlage für energieintensive Industrien gelingen könne. „Wichtig ist, dass Energie bezahlbar bleibt. Langfristig wird die Energiewende zu einer Reduzierung der Kosten führen - wenn sie endlich angepackt wird. Mit einer Ausbauoffensive der erneuerbaren Energien würden die Kosten gesenkt und die Bürgerinnen und Bürger entlastet." In der Aktuellen Stunde am 11. November im Plenum forderte die SPD-Landtagsfraktion daher einen Booster für die Energiewende und den Ausbau der Windkraft. SPD-Fraktionschef Florian von Brunn kritisierte: „Söder versucht derzeit, die Verantwortung für Strompreise und Stromversorgung auf Berlin zu schieben. Dabei liegt das Energie-Versagen bei ihm und seinem Wirtschaftsminister."

Klarheit über Reservekapazitäten

Um sicherzustellen, dass es mit der zunehmenden Umstellung auf erneuerbare Energien nicht zu Stromausfällen in Bayern kommt, forderte die CSU-Landtagsfraktion Klarheit über Reservekapazitäten insbesondere aus Gaskraftwerken. Per Dringlichkeitsantrag wird die Staatsregierung aufgefordert zu prüfen, ob das bereits zugesicherte Kontingent von 2 Gigawatt aus Gaskraft gesichert ist. Dieses Südkontingent soll laut Planungen des Bundes die Länder Bayern und Baden-Württemberg mit Strom aus Gaskraft absichern. Im Dringlichkeitsantrag wird zudem Klarheit zur Frage gefordert, ob zusätzliche Reservekapazitäten für Bayern notwendig sind. Die Experten der Anhörung im Wirtschaftsausschuss betrachteten 50 Gigawatt deutschlandweit als erforderlich.

Anja Schuchardt

 

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