Traurige Beispiele derartiger Gewalttaten waren etwa der Mord an Dr. Walter Lübcke am 2. Juni 2019 oder der Anschlag in Halle an der Saale am 9. Oktober 2019. Herrmann sprach in diesem Zusammenhang von einer „erheblichen Radikalisierung der Szene über das Internet“ und der Entstehung einer digitalen Subkultur. Man habe es hier mit diffusen Personenzusammenschlüssen und aktiven Einzelpersonen zu tun, die vor allem in nichtöffentlichen Bereichen des Internets agieren. Das mache sie so gefährlich. Die Zahl der Rechtsextremisten ist von 2.360 im Jahr 2018 auf 2.570 in 2019 gestiegen. Darunter befinden sich konstant rund 1.000 Gewaltorientierte.
Dezentrale Strukturen
Herrmann zufolge geht der Trend weg von klassischen rechtsextremistischen Parteien oder Gruppierungen hin zu dezentralen Strukturen, vor allem in den sozialen Medien. Mittlerweile umfasst das sogenannte unstrukturierte Personenpotenzial mit 46,6 Prozent rund die Hälfte des gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzials in Bayern. Die größte Herausforderung für die Sicherheitsbehörden bestehe darin, zur Tat entschlossene Personen rechtzeitig zu identifizieren, bevor sie einen Anschlag begehen können.
Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie hätten zudem „Tag-X“-Szenarien bei Rechtsextremisten Hochkonjunktur. Asylbewerber, Migranten und auch jüdische Mitbürger würden auf Basis von hanebüchenen Unterstellungen als vermeintliche Profiteure für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht.
Auch das Personenpotenzial der linksextremistischen Szene in Bayern ist im vergangenen Jahr nach Herrmanns Angaben zum dritten Mal in Folge gestiegen. So gehörten der Szene 2019 rund 3.600 Anhänger an (2018: 3.500). Insbesondere die autonome Szene wächst (2019: 720 Personen, 2018: 675). Die Übergriffe der Szene richteten sich wie im Vorjahr sowohl gegen den Staat und seine Institutionen, als auch gegen Unternehmen, die als „Profiteure des Systems“ gelten.
Eigentümliche Zurückhaltung gegenüber Linksextremen
Zielobjekte waren insbesondere Unternehmen der Immobilienbranche, aber auch Massentransportunternehmen wie die Deutsche Bahn. „Wer Metallschienen und Betonbrocken auf Gleise legt, bringt rücksichtslos Leib und Leben von Menschen in Gefahr“, machte Herrmann deutlich. In Zusammenhang mit der Corona-Pandemie rufe die Szene zu Plünderungen, der absichtlichen Ansteckung von Polizeibeamten und der Zerstörung der Zivilisation auf.
Kampfansage an den Staat
„Während die Taten von Rechtsextremisten in der Öffentlichkeit zu Recht Abscheu hervorrufen, herrscht bei Gewaltausbrüchen von Linksextremisten eine eigentümliche Zurückhaltung“, stellte Herrmann fest. Gewalttätige Übergriffe von Linksextremisten würden nicht gleichermaßen als das wahrgenommen, was sie sind, eine Kampfansage an den Staat, jeden Andersdenkenden oder sonst der Szene unliebsame Personen und die Demokratie an sich. In Teilen der Öffentlichkeit gehöre es mittlerweile zum guten Ton, linksextremistische Gewaltausbrüche als „zivilen Ungehorsam“ gegen einen angeblichen Repressionsstaat zu verharmlosen. Eskalationen im Rahmen von Veranstaltungen würden nicht der Strategie der Linksextremisten, sondern der Einsatzleitung oder schlicht der Polizeipräsenz zugeschrieben.
Kein Platz für ‚No-go-Areas‘
Einige der Relativierer negierten das Gewaltmonopol des Staates und wollten der Polizei die Gewährleistung der Inneren Sicherheit aus den Händen nehmen. Im Klartext bedeute dies, dass nichtstaatliche Instanzen zum Beispiel nach eigenem Gutdünken entscheiden sollen, wer sich wann gefahrlos in einem Stadtteil bewegen darf und wer nicht. „In einer Demokratie“, so Herrmann, „ist aber kein Platz für ‚No-go-Areas‘, jeder Bürger hat das Recht, sich zu jedem Zeitpunkt an jedem öffentlichen Ort aufhalten zu dürfen, unabhängig von seinem Aussehen, Geschlecht, Alter, Religionszugehörigkeit, politischer Einstellung oder Beruf. Der Staat kann nicht auf der einen Seite konsequent die Präsenz rechtsextremistischer Bürgerwehren unterbinden und auf der anderen Seite tatenlos zusehen, wenn Linksextremisten Räume besetzen, die sich jeder rechtsstaatlichen Regelung entziehen.“
„Unsere Demokratie lebt von Regeln und von dem Vertrauen darauf, dass sich alle gesellschaftlichen Akteure an diese Regeln halten. Deshalb sendet das Messen mit zweierlei Maß ein fatales Signal in unsere Gesellschaft“, stellte Bayerns Innenminister fest. In einer Demokratie sei weder Platz für eine offene noch für eine stillschweigende Billigung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung. „Das Gebot des Gewaltverzichts ist für unsere Demokratie bestimmend, kein noch so ‚hehrer Zweck‘“ rechtfertigt ein Abweichen hiervon“, stellte Herrmann klar.
Von Islamisten verschont
Von islamistischen Terroranschlägen ist Deutschland im vergangenen Jahr verschont geblieben, jedoch beweist laut Herrmann ein Blick auf Großbritannien, Norwegen oder Frankreich, dass die Gefahr anhält. Dabei setzen die Täter als Merkmal eines modernen Terrorismus auf Unberechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit. „Es kann jeden treffen, der sich zur falschen Zeit am falschen Ort befindet. Das ist das Ziel der Terroristen und gleichzeitig das besonders Perfide“, befand der Minister. Oftmals handelten Täter im Alleingang, ohne zuvor einer bestimmten Terrororganisation angehört zu haben. Auch hier spiele das Internet eine wichtige Rolle. So habe aufgrund der Corona-Pandemie der „Islamische Staat“ seine Anhänger aufgefordert, diese Krise als Gelegenheit zu nutzen, die westlichen Gesellschaften mit Anschlägen zu destabilisieren.
DK