Laut Carmen Pepiuk, stellvertretende KPV-Landesvorsitzende und KPV-Frauenbeauftragte, sowie Erste Bürgermeisterin der Gemeinde Trabitz, sind in Bayern 10 Prozent der Bürgermeisterinnen weiblich. Von den knapp 2.000 Rathauschefs sind folglich nur 204 Frauen. Dieses „bemerkenswerte Ungleichgewicht“ zeige, dass es noch Raum für Veränderungen gibt.
Vor Ort die Situation lebens- und liebenswert gestalten
Nach Pepiuks Erfahrung gibt es keine schönere Aufgabe, als vor Ort die Situation lebens- und liebenswerter zu gestalten – gemeinsam mit Gemeinderäten, Bürgern und Unternehmen Projekte zu finden, zu entwickeln und umzusetzen. Es erfülle sie mit Freude, Stolz, Dankbarkeit und Demut, ein abgeschlossenes Projekt präsentieren zu dürfen. Positive Erlebnisse wie diese gelte es zu vermitteln.
Kathrin Alte, Erste Bürgermeisterin der Gemeinde Anzing und Sprecherin der parteiübergreifenden „ARGE Frauen führen Kommunen“ des Bayerischen Gemeindetags, betonte: „Mehr Frauen für das spannende Feld der Kommunalpolitik zu gewinnen und damit unsere Dörfer und Städte zu gestalten – das ist und bleibt eine ganz große Aufgabe.“ In ihrer Funktion als ARGE-Leiterin gemeinsam mit der Bürgermeisterkollegin Susanne Hoyer aus Langenbach (Landkreis Freising) werden hauptsächlich die genannten 10 Prozent bayerischen Rathauschefinnen vernetzt.
Das Bürgermeisteramt ist kein Nebenjob
Alte wies darauf hin, dass viele Bürger hohe Ansprüche an die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit des Bürgermeisters hätten, so dass diese mitnichten eine 40 Stunden-Woche absolvierten. Das Bürgermeisteramt sei kein Nebenjob. „Problematisch ist, dass die Arbeitszeiten nicht wirklich geregelt sind und die Work/Life-Balance oftmals zu wünschen übriglässt. Hinzu kommt die häufig nicht vorhandene Wertschätzung unserer Arbeit in der Kommunalpolitik“, machte das Gemeindeoberhaupt deutlich.
Warum also sollte sich nun jemand entscheiden, ein kommunales Mandat anzustreben? „Weil wir gestalten können, weil wir unser unmittelbares Lebensumfeld mitprägen können, weil wir gutes Geld verdienen, Verantwortung tragen dürfen, Chefin einer Verwaltung sind und es auch einfach Spaß macht. Und weil das ein Job ist, der davon lebt, Menschen zu helfen, täglich interessante Begegnungen zu haben und immer unter den unterschiedlichsten Leuten sein zu dürfen“, erklärte Alte. Frauen müssten sich mehr trauen, besser unterstützt werden, die „gläserne Decke“ und die vorhandenen männlichen Netzwerke durchdringen. Darüber hinaus dürfe der Aspekt der familiären Unterstützung nicht vernachlässigt werden.
„Vieles ist in Bewegung und erfordert Flexibilität, eine Eigenschaft, die besonders Frauen mitbringen“, stellte Alte klar. Aus ihrer Sicht müssen sie an dem Thema Einstiegshürden und Versorgung stetig weiterarbeiten, damit dieser Job attraktiver wird und künftig auch bleibt. „Einmal Bürgermeisterin, immer Bürgermeisterin“ gelte heute nicht mehr. Laut Bayerischem Gemeindetag steigt die Zahl der Rathauschefs, die bereits nach einer Amtsperiode wieder aufhören oder abgewählt werden.
Risiko Mandat auf Zeit
Ein Bürgermeisteramt sei zwar ein Mandat auf Zeit, aber nach sechs Jahren – aus welchem Grund auch immer – aufhören zu müssen, sei kein Spaß, weder beim beruflichen Wiedereinstieg in den alten Job, noch bei der finanziellen Vorsorge. Erst nach zehn Jahren greife der volle Versorgungsanspruch. „Als qualifizierte Frau (und als Mann) sich auf diesen Weg zu begeben, ist ein Risiko, das nicht jede eingehen will und finanziell auch nicht kann. Daran müssen wir in den kommenden Jahren weiterarbeiten“, so Anzings Gemeindechefin.
Gesamtgesellschaftlich gelte es, die Wertschätzung für Mandatsträger wiederherzustellen und das Miteinander zu stärken. Der Umgangston sei rauer geworden, „auch eine Corona-Folge und eine Folge der Digitalisierung“.
„Beleidigungen, sexistische Anspielungen, Verleumdungen usw. gehören für einige von leider uns zum Alltag“, hob Alte hervor und ergänzte: „Als kleine, aber feine Truppe, sind wir Bürgermeisterinnen keine Randgruppe, sondern die beste Option für die Zukunft unserer Städte und Dörfer. Es ist an uns, selbstbewusst und gut über diesen Traumjob, diese Aufgabe und die Gestaltungsmöglichkeiten zu sprechen. Es ist an uns, jüngeren Frauen zu erklären, warum es wichtig ist, sich für sein Lebensumfeld einzusetzen und für die Menschen, mit denen wir täglich zusammen sind.“
Unter dem Motto „Frauen mit – in – für Europa“ leitete GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel eine Podiumsdiskussion mit Jasmin Ghubbar (Mitglied der Geschäftsleitung und Leiterin Vertrieb in der DSV-Gruppe), Hannelore Langwieser (Vizebürgermeisterin von Mainburg, ehem. stellvertretende Landrätin im Kreis Kelheim, Stadt-, Kreis- und Bezirksrätin), Vigdis Nipperdey (Gemeinderätin in Icking, Bezirksvorsitzende Oberbayern Arbeitskreis Hochschule und Kultur der CSU sowie Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Außenpolitik München) sowie Lioba Schneider, mehrfache Mutter und ehrenamtlich engagiert im Kinderhospiz und bei den Maltesern.
Plädoyer für Europa
Ein Plädoyer für die Europäische Union hielt zunächst Vigdis Nipperdey. In der EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter werde anhand politischer Ziele und Maßnahmen dargelegt, wie bis 2025 messbare Fortschritte auf dem Weg zu einem Europa der Gleichstellung erzielt werden können. So soll eine Europäische Union geschaffen werden, in der Frauen und Männer, Mädchen und Jungen in all ihrer Vielfalt ihr Leben frei gestalten können, die gleichen Chancen haben, gleichberechtigt an unserer Gesellschaft teilhaben und diese führen können. Nipperdey zufolge sind durchaus Entwicklungen zu beobachten, die in die Zukunft weisen. In Führungspositionen zu gelangen, gehe allerdings auch immer wieder einher mit lange währenden, teils stagnierenden Prozessen, und auch Rückschlägen. „Wir müssen einfach weiterkämpfen und uns als Frauen in der EU durchsetzen. Eine EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen reicht nicht. Wir müssen auf allen Etagen weiterkämpfen“, unterstrich Nipperdey.
Diskussion um die Quote
Hannelore Langwieser definiert sich in der Politik nicht als Frau. Sie sei stets strikt gegen eine Quote gewesen, weil es genauso schlechte und unqualifizierte Frauen wie Männer gebe. „Uns hat die Quote immer mehr geschadet als genützt“, betonte Langwieser. „Ob Frau oder Mann: Wir sollten darüber gar nicht so viel reden. Wenn jemand qualifiziert ist, soll er den Job haben. Letztlich seien es doch die zu wenigen Netzwerke, die Frauen daran hindern, voranzukommen. „Wir sollten viel ehrlicher miteinander umgehen und offensiv bekunden, den Job zu wollen. Immer jammern und von Benachteiligung sprechen, bringt uns nicht weiter. Das muss man allerdings lernen“, bekannte die Kommunalpolitikerin.
Wie Jasmin Ghubbar darlegte, gebe es in der S-Finanzgruppe ein starkes Frauennetzwerk, das bundesweit agiere und sich häufig fachlich austausche. „Das gibt uns viel Unterstützung und Stabilität untereinander.“ Geschlossenheit spiele ebenso eine große Rolle. Vor allem habe man sich der Nachwuchsförderung verschrieben.
Etappenziele im Netzwerk
Das Netzwerk definiere klare Etappenziele bis zur Präsidialebene, die nun auch in die Geschäftsstrategie verankert würden. Ziel des Fünf-Jahres-Plans sei es, Frauen in Vorstandspositionen zu bringen, u. a. durch die Installierung eines offiziellen Stellvertreters. Voraussetzung dafür sei bereits eine Quote in den Gremienbesetzungen. „Im Grunde muss alles messbar sein, auch im Sinne der zu erreichenden SDG-Sustainable Development Goals, deshalb ist eine wie auch immer genannte Quote durchaus eine gerechtfertigte Messgröße“, erläuterte Ghubbar. Darüber hinaus stünden Lobbyarbeit und Mentoringprogramme über alle Regionalverbände hinweg im Fokus. „Wir müssen Teil des Systems sein“, forderte Ghubbar. Wir verfügen zwar nicht über große Budgets, punkten aber mit viel Eigenengagement und Integration in andere Projekte.“
Vollzeitmütter sind notwendig
Ganz andere Schwerpunkte setzt Lioba Schneider, repräsentiert sie doch ein sehr traditionelles, aber auch außergewöhnliches Familienbild. Der Mann verdient das Geld, sie kümmert sich um sieben Kinder. Nach ihrer Beobachtung ist es für eine Frau in Deutschland sehr schwierig, nach der Kinderzeit wieder in den Beruf einzusteigen. „In der Kinderbetreuung müsste viel mehr passieren, damit eine Frau guten Gewissens ihre Kraft woanders investiert.“ Vorreiter bei den Eingliederungsmaßnahmen sei Frankreich: Das Land verfüge über eine qualitativ hochwertige Betreuung, die es ermögliche, die Kinder mit einem sehr viel besseren Gefühl abzugeben. Grundsätzlich sei für ihren Lebensentwurf in der heutigen Gesellschaft zu wenig Platz, monierte Schneider. „Wir Vollzeitmütter sind notwendig, werden aber definitiv nicht wahrgenommen.“
Ergänzend brachten sich Dr. Angelika Niebler, Vorsitzende der CSU-Europagruppe im EU-Parlament und stellvertretende CSU-Parteivorsitzende, Kerstin Stuber, Direktorin Bayerischer Gemeindetag, sowie die digital zugeschalteten Martin Huber, Generalsekretär der CSU, und Innenstaatssekretär Sandro Kirchner in die Diskussion ein.
„Es geht um 50 Prozent der Bevölkerung, aber um etwas zu ändern, brauchen wir die 100 Prozent. Zentrale Voraussetzung für eine zukunftsfähige und faire Gesellschaft ist die Gleichstellung/Gleichberechtigung von Frauen und Männern“, resümierte Moderatorin Constanze von Hassel. Frauen sollten fordern, was ihnen zusteht. „Dies ist sehr schwierig, aber hier können wir alle helfen. Es liegt an uns, Frauen stärker sichtbar zu machen. Denn starke weibliche Vorbilder helfen Mädchen und Frauen, eigene Talente zu entdecken, ihren eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, selbstbewusst ihre Chancen zu ergreifen, sich mutig dem Wettbewerb zu stellen, sich Ziele zu stecken und zu verwirklichen. Und zum Beispiel auch, den Mann oder Partner stärker in die Pflicht zu nehmen und die Familienarbeit gleichberechtigt aufzuteilen.“
DK
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