(GZ-17-2022) |
► Positionspapier des Bayerischen Gemeindetags: |
Wie gutes Wohnen gelingen kann |
„Sozialen Sprengstoff“ bieten nach Ansicht des Bayerischen Gemeindetags die steigenden Wohnungspreise im Freistaat. „Wir haben eine Preisspirale, die keine Grenzen mehr kennt“, unterstrich Verbandspräsident Dr. Uwe Brandl und präsentierte deshalb im Rahmen einer Pressekonferenz in Dachau einen Zehn-Punkte-Katalog zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in allen Teilen Bayerns.
V.l. Geschäftsführendes Präsidialmitglied Dr. Franz Dirnberger, Bay. Gemeindetag, Präsident Dr. Uwe Brandl, Bay. Gemeindetag, Oberbürgermeister Florian Hartmann, Stadt Dachau, Erster Bürgermeister Jürgen Roith, Markt Winzer. Bild: Bayerischer Gemeindetag
Das insbesondere an die Bayerische Staatsregierung adressierte Papier wurde von einer Facharbeitsgruppe von Kommunalpraktikern aus Stadt und Land und vor der Sommerpause vom Landesausschuss des Bayerischen Gemeindetags beschlossen. Die ermittelten Forderungen lauten wie folgt:
1. Gemeinwohlorientiertes Bodenrecht schaffen:
Das Bauerwartungsland und die bebaubare Baulücke als bloßes Spekulations- und Anlageobjekt sind völlig normal geworden und in Politik und Gesellschaft tief verankert: Wir brauchen daher eine breite Debatte über ein gemeinwohlorientiertes Bodenrecht.
2. Gemeindliche Bodenvorratspolitik entfesseln:
Ein Grundstück in kommunaler Hand ist in guter Hand, denn genau dann ist die wohnungspolitische Steuerungswirkung der Stadt und Gemeinde am größten. Die Politik ist aufgerufen den Rechtsrahmen so zu setzen, dass kommunale Zugriffsmöglichkeiten am Grundstücksmarkt verbessert werden.
3. Planungsverfahren erleichtern:
Planungsverfahren für die Schaffung von Wohnraum müssen vereinfacht werden. § 13b BauGB ist daher zu erhalten und nachhaltig mit einer Pflicht zur Bauverpflichtung sowie einem Mindestbaurecht weiterzuentwickeln.
4. Konzeptvergaben und Einheimischenmodell vereinfachen:
Auf die richtigen Zielgruppen ausgerichteter und bezahlbarer Wohnraum entsteht regelmäßig dann, wenn Städte und Gemeinden über die Vergabe der Grundstücke entscheiden und steuern können. Der Rechtsrahmen für Konzeptvergaben und Einheimischenmodelle muss deshalb handhabbar bleiben.
5. Wohnungspakt Bayern fortführen:
Der Wohnungspakt Bayern ist ein Erfolgsmodell. Der Pakt ist deshalb auch in Zukunft stark auszustatten und der kommunale Wohnungsbau ist weiter zu stärken.
6. Gemeinden für die Schaffung von Wohnraum belohnen:
Wohnungsbau verursacht Folgekosten. Doch Wohnen muss sich für die Kommune lohnen. Die Weichen in der Kommunalfinanzierung sind daher so zu stellen, dass für die Städte und Gemeinden ein auskömmlicher Anreiz besteht, Wohnraum zu schaffen.
7. Menschen ins Eigentum bringen:
Deutschland hat die niedrigste Wohneigentumsquote in der Europäischen Union. Ein katastrophaler Befund, denn Mietfreiheit ist die beste Altersvorsorge. Die Politik muss die Gründe hierfür ermitteln und ambitioniert gegensteuern.
8. Baunebenkosten und Baustandards auf den Prüfstand stellen:
Die Planungs-, Gestehungs- und Baunebenkosten sind in den vergangenen Jahren explodiert. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Wir benötigen eine Debatte zu Standards und Kosten am Bau. Auch in einem Land der Tüftler und Ingenieure.
9. Mobilität von Menschen und Daten erhöhen:
Wohnen im ländlichen Raum Home-Office, mobiles Arbeiten und die Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land liegen im Trend. Unterstützen wir das Wohnen, Leben und Arbeiten auf dem Land anstatt die Ballungsräume zu überhitzen. Für gleichwertige Lebensverhältnisse und gutes Wohnen in allen Teilen Bayerns.
10. Mietrecht, Steuerrecht und Stiftungsrecht wohnraumschaffend denken: Dort, wo Fachrecht der Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum im Wege steht, gehört es auf den Prüfstand. Die Politik ist aufgerufen, insbesondere im Miet-, Steuer-, Erb- und Stiftungsrecht nachzusteuern.
Wohneigentum ist die beste Altersvorsorge
Wie Gemeindetagspräsident Dr. Uwe Brandl erläuterte, sei Wohneigentum die beste Altersvorsorge, gleichzeitig sei Deutschland das Land in Europa mit der geringsten Quote an Hausbesitzern. Das müsse die Politik ändern. Der Verfassungsauftrag sei klar: „Die Städte und Gemeinden spielen bei der Schaffung von bedarfsgerechtem und bezahlbarem – mithin gutem – Wohnraum eine zentrale Rolle. Die Städte und Gemeinden haben Erfahrung, sie haben den Auftrag und sie haben Freude daran, die Lebensbedingungen für die Menschen in ihren Kommunen so gut wie möglich zu gestalten. Wir wollen den Wohnraum schaffen, den die Menschen brauchen, in Stadt und Land. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, hierfür die optimalen Bedingungen zu schaffen. Wir brauchen endlich den Aufbruch und den Mut zu neuen Wegen.“
Bürokratische Hürden
Dass es nach wie vor zu viele bürokratische Hürden gibt, zeigt exemplarisch das sich noch im Rohbau befindliche experimentelle städtische Wohnraumprojekt Am Amperweg 18 in Dachau, das Oberbürgermeister Florian Hartmann bei einer Begehung vorstellte. Im Erdgeschoss wird dort eine Kindertagesstätte errichtet, darauf entstehen 19 kommunale Wohnungen.
Laut Hartmann „ist hier ein Bürokratie-Wahnsinn“ entstanden. Sowohl der Stadt Dachau als auch der Stadt Bau GmbH seien viele Steine in den Weg gelegt worden. Die baulichen Standards seien beträchtlich gewesen und die steuerrechtliche Ausgestaltung unglaublich. So müssten Kindertagesstätten hell sein, was den Einbau zusätzlicher Lichthöfe erfordert. Und da die Wände einer Kita höher sein müssen als die einer Wohnung, ergäben sich neue statische Vorgaben.
3.300 Normen regulieren das Baurecht
„Wohnraum zu schaffen ist eine Aufgabe, die immer komplexer und schwieriger wird“, betonte der Gemeindetagschef: Rund 3.300 Normen regulierten das Baurecht in Deutschland, 600 mehr als noch vor 15 Jahren. Kaum ein Bereich sei so verrechtlicht wie dieser. Grundsätzlich plädierte Brandl dafür, Wohnen, Leben und Arbeiten auf dem Land zu unterstützen, anstatt „die Ballungsräume zu überhitzen“.
„Der Gemeindetag weist zurecht darauf hin, dass mehr gebaut werden muss. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Landrat kenne ich die Aufgaben der Gemeinden und auch die Herausforderungen, die sie bewältigen müssen. Dabei können sie sich jederzeit auf die Staatsregierung verlassen“, äußerte sich Bauminister Christian Bernreiter in einer Mitteilung seines Ministeriums. „Uns allen ist es ein Anliegen, dass es nicht nur genügend bezahlbaren Wohnraum gibt, sondern dass die Menschen auch in ihren Heimatgemeinden bleiben und sich dort Wohneigentum schaffen können. Für all das nehmen wir gerne sehr viel Geld in die Hand, das hier gut investiert ist.“
Zuschüsse aus dem Bauministerium
So stehen zum Beispiel allein in diesem Jahr für die Programme der Wohnraumförderung insgesamt gut 864 Millionen Euro zur Verfügung. Im Kommunalen Wohnraumförderungsprogramm haben insbesondere kleinere Städte und Gemeinden die Möglichkeit, selbst vor Ort bedarfsgerechten Wohnraum zu schaffen. Dies unterstützt das Bauministerium mit einem Zuschuss in Höhe von 30 Prozent der Gesamtkosten und einem ergänzenden Darlehen von bis zu weiteren 60 Prozent. Der Erwerb von Grundstücken oder leerstehenden Gebäuden kann also mit bis zu 90 Prozent mitgefördert werden.
„Wir wollen aber gerade auch Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen dabei unterstützen, für die Zukunft vorzusorgen und ein Eigenheim zu erwerben. Dafür gibt es attraktive Förderdarlehen, einen Zuschuss für Familien in Höhe von 5.000 Euro pro Kind und einen ergänzenden Zuschuss in Höhe von zehn Prozent der Kosten, wenn gebrauchte Immobilien erworben werden“, hob Bernreiter hervor.
Handlungsspielraum für die Gemeinden
Seit vergangenem Jahr sei zudem die neue Bayerische Bauordnung in Kraft, die das Bauen einfacher, schneller und kostengünstiger mache. Außerdem werde den Gemeinden deutlich mehr Handlungsspielraum verschafft, weil sie viele Vorgaben flexibel anpassen und regeln können. „Allerdings muss auch der Bund seinen Pflichten nachkommen“, forderte Bernreiter. Er sei für das Baugesetzbuch zuständig und müsse die Planungsverfahren vereinfachen. Bayern nutze bereits jetzt alle Flexibilisierungen, die das Bundesrecht erlaubt. Aktuell ermögliche der Paragraph 13b des Baugesetzbuches, dass schnell neue Flächen für zusätzlichen Wohnraum ausgewiesen werden können. „Wir werden deswegen genau beobachten, wie die Ampel-Koalition bei der geplanten Abschaffung dieses Paragraphen vorgeht und, wenn nötig, mit eigenen Vorschlägen gegensteuern“, unterstrich der Minister.
Gemeinden brauchen Entwicklungsmöglichkeiten
Da das Bauministerium auch den Ansatz des Gemeindetags für mehr Flexibilität in der Wohn- und Arbeitswelt und für gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land unterstütze, habe es bei der LEP-Fortschreibung die Forderung des Verbandes begrüßt, dass alle Gemeinden unabhängig von Ihrer Anbindung und vorhandener Infrastruktur Entwicklungsmöglichkeiten haben müssen. „Viele Menschen zieht es aufs Land, weil sie dort mehr Lebensqualität finden und es mittlerweile kein Problem mehr ist, dies auch mit alternativen Arbeitsmodellen zu verbinden. Die Städte und Gemeinden verfügen über wertvolle innerörtliche Flächen, die sich sehr gut für die Entwicklung innovativer Quartiere anhand von Zukunftsthemen wie Wohnen, Arbeiten, Mobilität und Digitalisierung eignen. Deswegen haben wir das neue Modellprojekt „Landstadt Bayern“ gestartet, um das Beste aus Stadt und Land zusammenzubringen, so Bernreiter.
Als „dringendst notwendig“ erachtet die wohnungspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Natascha Kohnen eine soziale Bodenpolitik für den Freistaat. Dazu gehöre die Umsetzung des Baulandmobilisierungsgesetzes in Bayern. Auf diese Instrumente wie Baugebote und Vorkaufsrechte warteten die Kommunen seit mehr als einem Jahr. Die Staatsregierung müsse hier endlich politisch gestalten, statt den Kommunen Handschellen anzulegen, forderte Kohnen. „Die SPD will außerdem eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik auch in der Bayerischen Verfassung verankern, was die Staatsregierung bisher ablehnt.“
DK
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