Kommunalverbändezurück

(GZ-11-2022)
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► Präsidiumssitzung des Deutschen Landkreistags:

 

Erwartungen an die Bundesregierung

Breiten Raum nahmen bei der Präsidiumssitzung des Deutschen Landkreistags im Altmarkkreis Salzwedel die Themen Flüchtlinge aus der Ukraine, Windkraftausbau und 9 Euro-Ticket ein. Der Verband bekräftigte, dass die Landkreise den Übergang der ukrainischen Flüchtlinge in die Verantwortung der Jobcenter auf Hochtouren vorbereiten.

Um diese anspruchsvolle Aufgabe bewältigen zu können, braucht es laut dem Präsidenten Landrat Reinhard Sager gute Rahmenbedingungen: „Wegen der großen Zahl von mehreren hunderttausend Personen muss der Bundesgesetzgeber eine Übergangsregelung vorsehen. Dabei sollte ein biometrischer Pass ausreichend sein, um sofort ab dem 1. Juni den Zugang in die Regelsysteme zu eröffnen, und zwar ohne eine Schleife über das Asylbewerberleistungsgesetz.“ Sager erneuerte darüber hinaus die kommunale Forderung vor allem an die Länder, die Landkreise von sämtlichen Flüchtlingskosten freizuhalten.

Mit Blick auf den Wechsel der Menschen aus der Ukraine vom Asylbewerberleistungsgesetz in das SGB II „geht es uns um eine sofortige Zuständigkeit der Jobcenter, ohne dass vorher das Asylbewerberleistungsgesetz einschlägig ist. Alles andere wäre Doppelarbeit und den Menschen nur schwer zu erklären. Außerdem sind praktische Fragen zu klären, wie der Transfer von Personendaten, ein pragmatisches Vorgehen bei der Krankenversicherung und eine einfache Antragstellung“, erläuterte der DLT-Chef.

Ausländerzentralregister

Eine grundlegende Schwierigkeit bestehe darin, dass die Vertriebenen nach dem Gesetzentwurf des Bundes erkennungsdienstlich behandelt und im Ausländerzentralregister registriert werden müssten, ehe sie Leistungen der Jobcenter beantragen könnten. „Das ist ein aufwändiger Prozess. In Kombination mit den hohen Fallzahlen gehen wir davon aus, dass es längere Zeit dauern wird, den Übergang in das SGB II umzusetzen.“ Einfacher wäre es laut Sager, die biometrischen Pässe der Ukrainer anzuerkennen: „Das würde das Verfahren beschleunigen und vereinfachen.“ Der Bund müsse entweder für die Registrierung die Daten aus den biometrischen Pässen zulassen oder umgehend erhebliche zusätzliche Kapazitäten zur Registrierung bereitstellen.

Der Präsident bekräftigte zudem, dass im Zuge der immens wachsenden quantitativen Aufgaben der Jobcenter auch deren Mittelausstattung angehoben werden müsse: „Seit Jahren beklagen wir die zu geringen Verwaltungsmittel der Jobcenter. Dieser Umstand wird ab dem 1. Juni besonders spürbar werden, wenn der Wechsel in die Jobcenter beginnt. Einmal mehr wollen wir deshalb unsere Forderung formulieren, die Jobcenter mit auskömmlichen Verwaltungs-, aber auch Eingliederungsmitteln auszustatten.“

Auf die Flüchtlingsfinanzierung in Gänze zu sprechen kommend, forderte Sager, dass die Landkreise als neben den kreisfreien Städten maßgebliche Kostenträger für Sozial- und Integrationsleistungen die Flüchtlingskosten vollständig ersetzt bekommen. Dies reiche von den Geldleistungen für Vertriebene über die Unterbringung bis hin zu Integration, Schule und Kita – „ein großer Bereich, der auf Jahre sehr viel Geld kosten wird“.

Es sei zu begrüßen, so der Präsident, dass der Bund die Länder mit zunächst 2 Mrd. Euro unterstütze. „Zur Fortführung im Jahr 2023 sind Gespräche bereits angekündigt. Darin muss es auch um die langfristigen Integrationskosten gehen. Die Landkreise erwarten jedenfalls von den Ländern eine vollständige und rechtzeitige Kompensation der kommunalen Belastungen ohne Wenn und Aber, die bei der Aufstellung der Kommunalhaushalte für 2023 feststehen muss.“

Rückwirkende Kostenübernahme

Der Verbandschef formulierte seine an die Bundesregierung gerichtete Erwartung, dass der Bund auch weiterhin die Unterkunftskosten anerkannter Flüchtlinge zu 100 % direkt gegenüber den Landkreisen und kreisfreien Städten übernimmt. „Die Beratungen von Bund und Ländern hierzu müssen rasch beginnen. Die Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Scholz hatte eine rückwirkende Kostenübernahme zum 1.1.2022 verabredet. Diese Verabredung muss schnell in die Tat umgesetzt werden.“

Was den Ausbau von Windenergie anbelangt, sollte dieser nach Auffassung des Deutschen Landkreistags konsequent, aber auch umsichtig erfolgen. „Statt des im Koalitionsvertrag vorgesehenen Flächenziels von 2 % der Landesfläche sollten die Länder mit dem Bund verbindliche Energiemengen vereinbaren. So hätten die Länder Freiräume, um unter Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort technologieoffen über die genutzten erneuerbaren Energiearten wie Wind, Sonne, Wasser, Biomasse oder Geothermie zu entscheiden. Das Ziel sollte verabredet werden, nicht aber der Weg dorthin“, unterstrich Sager und stellte klar: „Die Landkreise unterstützen den Ausbau erneuerbarer Energien. Wir brauchen – wie der Ukraine-Krieg zeigt und der Klimawandel seit langem erfordert – viel mehr erneuerbare Energien.“ Allerdings stoße das starre 2 %-Ziel vielerorts auf Widerstand und sei oftmals mit den planerischen Vorstellungen der Kommunen und der Länder nicht zu vereinbaren.

„Gerade weil wir die Klimaziele erreichen wollen“, werde daher ein flexiblerer Ansatz benötigt. „Das geht besser mit einer Gestaltungsfreiheit der Länder und Kommunen. Es sorgt für Akzeptanz, die nicht nur in der Bevölkerung, sondern auf Seiten der Landkreise und Städte ein Schlüssel zum Erfolg der Energiewende ist.“ Die mit dem Ausbau der Windenergie verknüpften Wertschöpfungspotenziale müssten außerdem in den betroffenen ländlichen Räumen selbst realisiert werden, etwa durch den Einsatz von Speichern und der Sektorkopplung.

Auch drohten die mit einem verbindlichen Flächenziel verbundenen planungsrechtlichen Herausforderungen in den Ländern und Kommunen die angestrebte Beschleunigung der Planungsverfahren zu behindern, fuhr Sager fort. „Bei Verfehlen der Flächenziele in den Ländern wäre einem ungesteuerten Ausbau der Windenergie Tür und Tor geöffnet. Das wiederum riskiert die notwendige Akzeptanz und gefährdet auch das Zusammenspiel mit dem ebenso erforderlichen Netzausbau.“

Um weitere Flächen für den Windenergieausbau nutzbar zu machen, sollten darüber hinaus die rechtlichen Voraussetzungen für eine Errichtung auf Flächen entlang von Bundesautobahnen und Bahntrassen weiter vereinfacht werden. „Ebenso ist es notwendig, im Baurecht Windenergieanlagen als Nebenanlagen in Industrie- und Gewerbegebieten für regelmäßig zulässig zu erklären“, so der DLT-Präsident.

Im Zuge dessen müssten gleichfalls die Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter beschleunigt werden. „Dafür braucht es eine Vereinfachung durch den Gesetzgeber. Es geht um Fristverkürzungen und die Straffung der Rechtsschutzmöglichkeiten. Klageverfahren sollten auf die tatsächlichen Betroffenen und eine Instanz beschränkt werden, deren Entscheidung dann abschließend wäre und gegen die nicht weiter monate- und jahrelang vorgegangen werden könnte.“ Auch sollten die Landkreise dauerhaft die Möglichkeit erhalten, im Rahmen von Planungsverfahren digitaler zu werden, vor allem mit Blick auf Beteiligungsprozesse.

Skepsis bei 9-Euro-Ticket

Mit Skepsis betrachtet der Deutsche Landkreistag dagegen die Einführung eines 9 Euro-Monatstickets für den ÖPNV für 90 Tage. Dabei handelt es sich Reinhard Sager zufolge um eine nur mit viel Aufwand umzusetzende politische Entscheidung, die kaum einen nachhaltigen Effekt haben werde. „Besser wäre es gewesen, die dafür auszugebenden Milliarden in die Ertüchtigung des Streckennetzes und eine engere Taktung zu investieren.“

Das 9 Euro-Ticket komme vor allem städtischen Ballungsräumen zugute. „Als Maßnahme zur Rück- und Neugewinnung von ÖPNV-Kunden ist die Tarifsenkung gerade in den ländlichen Räumen kaum geeignet, da sie befristet ist und nicht zu einer Angebotsausweitung führt. Stattdessen müssen wir uns langfristig besser und bedarfsgerechter aufstellen, gerade vor dem Hintergrund klimafreundlicher Angebote, die auf die jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen in Stadt und Land zugeschnitten sind.“

Schnellschuss statt nachhaltiger Strukturen

Auch die Länder und die Verkehrsbranche hatten die vom Bund angekündigte Tarifaktion zunächst kritisch bewertet. „Zwischenzeitlich sieht man dies seitens der Länder aber positiver. Der Grund liegt in der Erwartung, während der Pandemie verlorene Kunden zurückzugewinnen.“ Das lasse sich zwar nachvollziehen, verfestige aber auch den Eindruck eines Schnellschusses in einem Bereich, wo seit geraumer Zeit langfristige Investitionen und nachhaltige Strukturen zur aktiven Gestaltung der Mobilitätswende eingefordert werden. „Die 2,5 Milliarden Euro hätte man weitaus sinnvoller verwenden können“, hob der Präsident hervor.

Positiv bewertete Sager, dass sich der Bund entsprechend der Ankündigung im Koalitionsvertrag auch 2022 zur Hälfte an den Kosten eines Corona-Rettungsschirms zum Ausgleich pandemiebedingter Mindereinnahmen im ÖPNV beteiligen will. Kritisch sieht er, dass der Bund keine Unterstützung hinsichtlich der gestiegenen Preise vor allem für Energie leisten will. „Wir unterstützen daher die Forderung der Verkehrsministerkonferenz für eine weitere Erhöhung der Regionalisierungsmittel um 1,5 Milliarden Euro, um die zwischenzeitliche Erhöhung der Bau-, Energie- und Personalkosten sowie Preissteigerungen infolge des Angriffskriegs auf die Ukraine auszugleichen. Das ist eine richtige und notwendige Maßnahme“, bemerkte Sager abschließend klar.

DK

 

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