Kommunalverbändezurück

(GZ-9-2022)
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► Flüchtlingsfinanzierung:

 

Kommunen müssen planen können

 

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich Millionen Menschen aus dem Land über Polen in Sicherheit gebracht. Inzwischen sind – gemäß der Zahlen der Bundespolizei – rund 363.000 Kriegsflüchtlinge in Deutschland, ein Drittel davon in Bayern, eingetroffen (Stand: 21. April). Bund und Länder haben sich nun auf das weitere Vorgehen verständigt – auch bei der Kostenverteilung. Die Einigung sei eine „gute Grundlage, damit unser Land langfristig zusammenstehen kann“, stellte Bundeskanzler Scholz fest.

Zweifel herrschen dagegen bei den kommunalen Spitzenverbänden, dass die jüngsten Vereinbarungen der 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit dem Bund über die Finanzierung der Ukraine-Flüchtlinge ausreichend sind.

Solide Verabredung nötig

Wie Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages, gegenüber der Funke Mediengruppe erläuterte, konnte leider keine dauerhafte und nachhaltige Verabredung mit dem Bund über die Finanzierung getroffen werden, die über 2022 hinausreicht. Zudem sei die Entscheidung vertagt worden, wie sich der Bund an den Kosten der Integration beteiligt. „Das verursacht Planungsunsicherheit in den Kommunen.“

Bundesgelder reichen nicht - Länder müssen aufstocken

Lewe befürwortete, dass die Geflüchteten aus der Ukraine ab dem 1. Juni 2022 Zugang zur Grundsicherung nach SGB II haben werden. Damit finanziere der Bund die Lebenshaltungskosten, einen Großteil der Unterkunftskosten, die Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesundheitsversorgung. Bisher erhalten die Geflüchteten geringere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Außerdem stelle der Bund im Jahr 2022 insgesamt 2 Milliarden Euro für Länder und Kommunen zur Verfügung.

Diese Summe setzt sich wie folgt zusammen: 500 Millionen Euro helfen den Kommunen bei den Kosten der Unterkunft. Mit weiteren 500 Millionen Euro beteiligt sich der Bund an den im laufenden Jahr bereits in den Ländern entstandenen Kosten. An Kosten, die bei der Integration in Kita oder Schule sowie für Gesundheits- und Pflegekosten anfallen, wird sich der Bund mit einer Milliarde Euro beteiligen.

Aus Lewes Sicht ist klar, „dass die Bundesgelder nicht ausreichen werden, die Aufwendungen etwa für Kinderbetreuung, Schule, Pflege oder Menschen mit Behinderungen auszugleichen. Die Länder müssen die Gelder des Bundes ungeschmälert an die Kommunen weiterleiten und dringend aufstocken.“

Die Länder dürften sich keinen schlanken Fuß machen, so der Städtetagschef. „Sie werden durch den Bund entlastet und müssen ihre dadurch eingesparten Mittel den Kommunen zur Verfügung stellen. Auch die bereits geleisteten Aufwendungen der Städte müssen dabei erstattet werden.“

Fehlende Praxistauglichkeit

Als nicht praxisgerecht wertet der Bayerische Landkreistag den Kompromiss von Bund und Ländern zur Änderung der Unterbringung und Registrierung ukrainischer Geflüchteter. Die Regelung, wonach ukrainische Flüchtlinge künftig nach den Regeln der Sozialgesetzbücher behandelt werden, werde weder den Bedürfnissen der geflüchteten Menschen noch den finanziellen Belastungen für die Landkreise gerecht, kritisierte der Erste Vizepräsident des Bayerischen Landkreistags und Landrat von Fürstenfeldbruck, Thomas Karmasin.

„Bisher sind die Landratsämter für die Unterbringung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge zuständig. Wir haben Unterkünfte angemietet und allen schnellstmöglich ein Dach über dem Kopf besorgt. Künftig sind wir dafür nicht mehr verantwortlich – mit dem Wechsel in das SGB II und SGB XII endet die Unterbringungspflicht der Landkreise und die Geflüchteten müssen aus den Unterkünften ausziehen. Wenn diese Menschen dann vorhersehbar keine Wohnung finden, sind sie ‚obdachlos‘ und müssten streng genommen von den Gemeinden in eigener Verantwortung untergebracht werden. Das will niemand!“, unterstrich Karmasin. Sollten sie dennoch in den von den Landkreisen bereitgestellten Unterkünften wohnen bleiben, müsse der Staat den Landkreisen die Kosten der Unterkunft aber auch vollständig erstatten.

„FREE“ sorgt für großen Ärger

Auch die angekündigte Umstellung auf die neue Fachanwendung zur Registerführung, Erfassung und Erstverteilung „FREE“ sorgt für großen Ärger in den bayerischen Landkreisen, führe sie doch zu einem enormen unnötigen bürokratischen Aufwand. Karmasin zufolge „ist es eine Binsenweisheit, dass man nicht mitten im Katastrophenfall die Software wechselt“. Zwar mag es gute Gründe für fachliche Verbesserungen durch „FREE“ geben, jedoch sei der Einführungszeitpunkt der denkbar ungünstigste.

„Wir haben alle Hände voll zu tun, um die Geflüchteten schnellstmöglich zu registrieren, damit sie die ihnen zustehenden Leistungen bekommen können. In dieser hoch belasteten Phase eine neue Software einzuspielen, stellt die Praxisferne der Entscheidungen aus Berlin unter Beweis“, machte der Vizepräsident deutlich. Jeder wisse, welche Herausforderungen eine Softwareumstellung und ein Datentransfer schon zu normalen Zeiten üblicherweise mit sich bringen.

„Und nun sollen sich unsere Ämter gerade jetzt auch noch damit herumschlagen müssen“, brachte Karmasin die Stimmung unter den bayerischen Landrätinnen und Landräten auf den Punkt.

Der Präsident des Bayerischen Gemeindetags, Dr. Uwe Brandl, bezeichnete das Zwei-Milliarden-Euro-Hilfsprogramm als sehr sinnvoll. In sechs Monaten würde man erneut tagen, um zu überprüfen, ob die Summe reicht, weil unklar sei, wie viele Menschen aus der Ukraine kommen. Insgesamt könne die kommunale Seite zufrieden sein, wenngleich im Einzelfall noch Themen nachjustiert werden müssten. Die Probleme seien erkannt worden und entsprechend werde versucht, entgegenzusteuern.

Dass die geflüchteten Ukrainer nunmehr Leistungen nach Hartz 4 erhalten, ist aus Brandls Sicht durchaus praktikabel. So sei sichergestellt, dass der Bund in der Finanzverantwortung steht. Leistungen wie die Gesundheitsvorsorge der Geflüchteten seien mit Hilfe von Hartz 4 leichter umsetzbar.

Keine Privilegierung

Im Vorfeld des Bund-Länder-Treffens hatte bereits Bayerns Innen- und Integrationsminister Joachim Herrmann davor gewarnt, Ukraine-Flüchtlingen künftig ab dem Tag ihrer Ankunft Sozialleistungen wie Hartz-IV-Empfängern zuzugestehen. „Es steht außer Frage, dass wir den Menschen aus der Ukraine schnell und unbürokratisch helfen wollen. Das haben wir durch unser schnelles und solidarisches Handeln auch bewiesen”, erklärte Herrmann. Für eine zusätzliche Privilegierung bestehe jedoch keine Notwendigkeit:

„Ich halte die sogar in Teilen der Bundesregierung diskutierte Gleichstellung mit der Sozialhilfe für vollkommen übertrieben. Wir reden hier bei einer vierköpfigen Familie von über 200 Euro mehr im Monat als für andere Flüchtlinge.”

Eine Angleichung auf Hartz IV-Niveau hält Herrmann nicht nur wegen der finanziellen Mehrbelastung für problematisch: „Das kann auch die Akzeptanz in der Bevölkerung und eine gerechte Verteilung innerhalb Europas gefährden. Gerade diejenigen, die in den anderen EU-Staaten keine persönlichen Beziehungen haben, werden bei derart hohen Sozialleistungen Deutschland vorziehen”, prognostizierte der Minister.

DK

 

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