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(GZ-9-2024 - 3. Mai)
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► GZ-Interview mit Cornelia Benesch und Marlene Lippok:

 

servus. Neue Wege in der Bestattungskultur.

 

Eher unbemerkt wird ein Wandel auf unseren Friedhöfen sichtbar. Immer mehr Grabflächen bleiben frei. Der Friedhof als Kulturort und das Thema Lebensende bewegt zwei Frauen aus Augsburg. Die Bayerische GemeindeZeitung hat sie interviewt.

GZ: Sie bezeichnen sich selbst als Botschafterinnen für einen neuen Umgang mit dem zweiten elementaren Erlebnis eines jeden Menschen – dem Tod. Sie wollen einen anderen Umgang mit dem Tod etablieren. Warum ist das notwendig?

Benesch: Unsere Gesellschaft ist interkulturell geworden und unsere Vorstellungen zum eigenen Lebensende damit auch. Wir stellen uns heute andere Fragen als noch unsere Eltern. Es gibt mehr Vielfalt in der Gesellschaft – Weltanschauungen, Bestattungsriten, Religionen, Beziehungsformen – ja, und auch Fragen rund um das Thema Nachhaltigkeit.

Lippok: Menschen haben nach ihrem Tod nicht dieselben Wünsche. Es gibt verschiedene Vorstellungen, welche Bestattungsart die richtige ist oder wie ein Grab gestaltet werden soll . Das alles spiegelt sich auf unseren Friedhöfen. Es gibt Grabfelder für Menschen anderer Religionen oder Kulturen, verschiedene Bestattungsarten, Grabformen und sogenannte Friedwälder.

Hier wird sichtbar, wie sich die Bedürfnisse ändern. Die Friedhofssatzungen sind die alten geblieben. Vor 50 Jahren war noch viel klarer, was nach dem Tod geschieht, weil Vorstellungen einheitlicher waren. Das stellt uns als Gesellschaft vor Herausforderungen. Wir brauchen Mut, Dinge anders zu machen.
Benesch: Und Informationen, das heißt Beispiele darüber, wie es sein kann. Aufklärung.

GZ: Bitte führen Sie aus.

Lippok: Mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Beerdigung und der Grabgestaltung an sich wäre ein guter Anfang. Die Trauerforschung zeigt, dass es unglaublich hilft, selbst aktiv zu werden. Bei einer Bestattung sind wir immer noch eher passive Anwesende. Dabei gibt es auf Friedhöfen viele Arbeitsschritte, in die Angehörige einbezogen werden könnten: Graböffnung- und -Schließung, Sarg zum Grab tragen, Grabhügel anlegen…

Heilsames Abschiednehmen

Benesch: Feste Abläufe verhindern Individualität und lassen Menschen mit all diesen überwältigenden Emotionen hilflos zurück. Genau dieses „Hand anlegen“ erlaubt ein heilsames Abschiednehmen.

GZ: Warum ist der Abschied von den geliebten Menschen so wichtig? Ist nicht tot tot?

Lippok: Das Abschiednehmen ist ein wichtiges Ritual. Damit ein konstruktiver Trauerprozess beginnen kann, muss der Tod zunächst begriffen werden. Und Begreifen kommt von Anfassen. Den Tod zu begreifen, fällt uns viel leichter, wenn wir nochmal Kontakt zur verstorbenen Person hatten. Die Aufbahrung und Abschiednahme ist also für den Trauerprozess sehr wichtig. 

Benesch: Abschiednehmen und Trauer ist uns nicht nur rund um den Tod abhandengekommen; im ganz normalen Leben haben wir ja auch keine Zeit zum Trauern, ständig blicken wir nach vorn. Wir bekommen gerade mal 2 Tage frei. Danach hat der Mensch wieder zu funktionieren.

Abschiede, Brüche im Leben, Abschiede von der eigenen Jugend – ein Innehalten und Trauern ist heute gesellschaftlich nicht akzeptiert. Da ist es nicht verwunderlich, dass wir unsere Toten nicht mehr achtsam versorgen und sie zu Hause aufbahren. Die Haus-Geburt, der Tod daheim und die Abschiednahme im Kreis der Familie sind unmodern geworden. Und dies, obwohl wir uns alle wünschen, solange wie nur irgend möglich daheim zu leben. In der vertrauten Umgebung.

Lippok: Neben der Tabuisierung des Todes liegt das auch an fehlenden Räumlichkeiten. Was Friedhöfe als Orte für Aufbahrungen so zu bieten haben, ist weit weg von schön und einladend. Es wäre eine wichtige Aufgabe der Städte und Gemeinden, der Verwaltungen der Friedhöfe, hier ansprechende Räume anzubieten.

Nachhaltigkeit und Umweltschutz

Benesch: Auch eine Form von Daseinsfürsorge. Eben am Ende meines Lebens. Ich denke, immer mehr Menschen lehnen die herkömmlichen Angebote der Bestattungen ab. Ein Beispiel: Ich habe mein ganzes Leben versucht nachhaltig, im Einklang mit der Umwelt zu leben. Und bei meiner Bestattung? Da verursache ich mehr Sondermüll mit der Sargausstattung. Der ungenutzte Energieverbrauch im Krematorium, – warum wird diese Wärme nicht weiter genutzt? Die in Deutschland aktuell gängigen Bestattungsarten, Erd- und Feuerbestattung, sind ökologisch höchst fragwürdig.

Mit der sogenannten „Reerdigung“ wurde eine ökologischere Variante zugelassen, die sich in Deutschland aber erst noch ausbreiten muss. Oder: Warum kann ich nicht mit einem Lasten-Fahrrad zum Grab gefahren werden?

GZ: Das Thema Umweltschutz kommt auf dem Friedhof an?

Lippok: Die meisten Friedhofsverwaltungen fangen schon an, sich als ökologisch wertvolle Orte wahrzunehmen und entsprechend zu agieren. Sie legen Bienenblühwiesen an, erlauben Bienenstöcke, Hecken und Insektenhotels.

Benesch: Trotzdem gibt es noch viel zu tun. Zum Beispiel ist es üblich, mehrere Blumenkränze oder Gestecke zu haben. Mit Blumen, die in Monokulturen im Ausland angebaut und dann importiert wurden. Ähnlich ist es mit der Grabbepflanzung.

GZ: Viele Friedhöfe haben offene Grabstellen. Es ist ein hässliches Lückenfeld entstanden.

Lippok: Die sozialen Strukturen haben sich verändert. Weg von der Großfamilie, hin zur Kleinfamilie oder Singlehaushalten. Es gibt weniger Familiengrabstätten, in denen mehrere Generationen ihre letzte Ruhe finden. Zudem hat sich die Kremation samt platzsparender Urnenbestattung in den letzten Jahrzehnten zur häufigsten Bestattungsart entwickelt.

Benesch: Die praktischen Stelen aus Beton können das Bedürfnis nach Zwiesprache über den Tod hinaus nicht stillen. Werden aber dennoch immer beliebter, da sie pragmatisch erscheinen: „Nur keine Umstände.“

Lippok: Wir zeigen Gegenmaßnahmen auf. Friedhöfe können in Richtung kulturelle Öffnung arbeiten. Wir zeigen, warum Friedhöfe wichtige kulturelle Orte sind. Aber dafür müssen Friedhöfe aktiv werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit den Lücken umzugehen: Bestimmte Gräberfelder nicht mehr belegen, sodass langfristig Freiflächen zur Gestaltung entstehen. Friedhöfe sind leider auch politisch nur Randthemen. So verliert diese „uralte Kulturlandschaft“ die Menschen. Dieser Prozess kann und muss aufgehalten werden.

GZ: Wie kann gegengesteuert werden – nicht nur unser Dorf muss schöner werden – auch unser Friedhof muss belebter werden?

Benesch: Wir müssen den Friedhof ganz neu kennen lernen und die erlernte Angst davor verlieren. Friedhöfe werden zudem oft mit Kirche verbunden, obwohl die wenigsten Friedhöfe kirchlich sind. Und weil Kirchen immer weniger Anklang finden, werden auch Friedhöfe abgelehnt. Was dem Friedhof als bedeutungsvollem Ort für eine Gemeinschaft nicht gerecht wird.

Lippok: Ja! Mit ganz niederschwelligen Angeboten, wie Friedhofsführungen, Kulturveranstaltungen, Aufenthaltsorte schaffen… eine schattige Sitzgruppe. Der Friedhof ist ein Kulturgut, eine Begegnungsstätte könnte er sein. Vielen Kommunen ist dies nicht bewusst oder sie haben keine entsprechenden Konzepte.

Angst vor dem Tod

GZ: Frau Lippok, Sie bieten auch Unterrichtseinheiten zu Sterben, Tod und Trauer für Kindergärten und Schulen an. Das könnte auch direkt auf dem Friedhof ablaufen.

Lippok: Sterben, Tod und Trauer sind in der Gesellschaft tabuisiert. Kinder übernehmen das Tabu. Sie merken intuitiv, dass es sich um kein ‚normales‘ Thema handelt, wenn sie neugierig Fragen stellen und speichern ab: Hoppla, hier ist Gefahr. Die Angst vor dem Tod gehört zu den zehn häufigsten Ängsten von Kindern. Es konnte nachgewiesen werden, dass diese Angst durch Angebote zu diesem Thema deutlich abgebaut werden kann. Kinder brauchen Informationen, es hilft es ihnen zu wissen, was passiert, wenn jemand gestorben ist, und wie sie mit Trauer umgehen können.

Die Wurzeln kennen

Benesch: Da setzt meine Mission ein: Die Frage nach dem Erinnern. Was erinnern wir von den Mitgliedern unserer Familie? Sehr kleine Kinder fragen oft nach einer Bestattung „und wann kommt Oma/Opa dann wieder?“ Größere sollten die Geschichte ihrer Familie kennen, um die berühmten „Wurzeln“ ausbilden zu können. Erinnerungsarbeit schließt sich an Trauer an und führt den Heilungsprozess weiter.

Herbst 2024: Veranstaltung in Augsburg

GZ: Sie planen eine Messe für all die Themen rund um eine Bestattung im Oktober 2024 – die servus. Wer soll sich angesprochen fühlen?

Benesch: Eigentlich alle. Große, Kleine, Alte, Middleager und Junge. Der Tod gehört zu unserem Leben dazu. Viele kommen erst mit dem Bestattungswesen in Berührung, wenn es einen konkreten Todesfall gibt. Wenn wir in einer emotionalen Ausnahmesituation sind, ist es zu spät, sich zu informieren. Und was hat sich die oder der Tote eigentlich gewünscht?

Lippok: Bei einer Bestattung können wir viele Entscheidungen treffen, die unseren Trauerprozess nachhaltig beeinflussen. Nur wer sich vorher schon einmal Gedanken gemacht hat und weiß, was alles möglich ist, kann gute Entscheidungen treffen. Genau diese Möglichkeit wollen wir den Messebesucherinnen und -besuchern rund um Augsburg ermöglichen. In einer lockeren Atmosphäre wollen wir Einblick in die höchst unterschiedlichen Aspekte rund um das eigene Lebensende geben. Der Tod ist ein unglaublich spannendes Thema, leider beschäftigen sich die meisten Menschen viel zu wenig damit.

Die Interviewpartnerinnen

Marlene Lippok, Kulturwissenschaftlerin, Trauerbegleiterin und Autorin „Der Tod und Ich“. www.endlichkeitswerkstatt.de

Marlene Lippok. Bild: Lippok
Marlene Lippok. Bild: Lippok

Cornelia Benesch, Diplom- Journalistin, Bestatterin, Bewahrerin der Erinnerungen. „Ein Leben hat so viel Fülle und unfassbare Wendungen erlebt. Es ist ein unglaublicher Verlust für eine Familie, diese Geschichten nicht zu bewahren und weiterzugeben. Gerade in diesen Umbruchszeiten“. www.dolorundamor.de

Cornelia Benesch mit einer druckfrischen Chronik. Bild: Benesch
Cornelia Benesch mit einer druckfrischen Chronik. Bild: Benesch

 

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