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(GZ-20-2023 - 26. Oktober)
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► Landrätetagung in Lindau:

 

Krankenhausreform und Asylpolitik in der Kritik

 

Der Erhalt einer bürgernahen medizinischen Versorgung, das Brennpunktthema Asyl und die enormen Kostensteigerungen im ÖPNV standen im Zentrum der 54. Landrätetagung des Bayerischen Landkreistags in Lindau. Die 71 bayerischen Landräte richteten dabei an die Adresse des Bundes deutliche Botschaften.

Landrat Thomas Karmasin.
Landrat Thomas Karmasin.

„Wir fordern eine sofortige und auskömmliche finanzielle Unterstützung des Bundes für unsere Kliniken, um die sehr hohen Betriebskostendefizite auszugleichen und ungeregelte Insolvenzen zu verhindern“, unterstrich der Präsident des Bayerischen Landkreistags, Landrat Thomas Karmasin (Fürstenfeldbruck). Die Lage vieler Krankenhäuser und ihrer Träger sei dramatisch.

Krankenhäuser unter Druck

„Unsere Krankenhäuser tragen dafür keine Verantwortung. Sie stehen seit Jahren durch die wachsende Schere zwischen Kosten und Erlösen ökonomisch unter Druck. Sie schreiben unter anderem deswegen rote Zahlen, weil die Tarifsteigerungen im Personalbereich von den Kassen nicht refinanziert werden. Hinzu kommen Inflations- und Energiekosten. Wir brauchen eine vollständige Refinanzierung unserer Betriebskosten, ansonsten sind nach der Reform Häuser zu, die unter anderem bedarfsnotwendig gewesen wären“, stellte Karmasin fest.

Angesichts der Personalnot vieler Kliniken bekräftigt der Bayerische Landkreistag die Notwendigkeit einer Krankenhausreform. Jedoch kritisiert der Verband nachdrücklich sowohl das Verfahren als auch die Inhalte der derzeit vorliegenden Entwürfe.

Sträfliche Nachlässigkeit des Bundes

Eine Krankenhausreform, die auf eine bedarfsgerechte, bürgernahe und bezahlbare Versorgung der Bevölkerung zielt, müsse die Rolle der Krankenhäuser im ländlichen Raum für die Notfallversorgung, die Aus- und Weiterbildung des pflegerischen und ärztlichen Personals und die Beantwortung von Versorgungsdefiziten im niedergelassenen fach- und hausärztlichen Bereich mitdenken. Genau das vernachlässige der Bund aber sträflich. Dieser müsse einen Transformationsfonds auflegen, um die Mehrkosten der geplanten Reform zu schultern. Der Freistaat Bayern wiederum müsse endlich seine Krankenhausplanung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Notwendigkeit von Leistungen über Ländergrenzen hinweg weiterentwickeln. Nur so könnten strukturelle Probleme gelöst werden, betonte der Präsident.

Auch bei der Zuordnung der noch zu definierenden bundeseinheitlichen Leistungsgruppen an die Krankenhausstandorte im Rahmen der Krankenhausreform erwarten die Landkreise eine aktive Rolle der Krankenhausplanungsbehörde. Mit Blick auf die Bedeutung des ambulanten Bereichs u.a. zur Senkung der stationären Eingriffe sei ein kommunales Mitspracherecht unabdingbar und keine reine Ländersache, betonte Karmasin und forderte vom Freistaat Bayern, die Förderung der Investitionskosten von derzeit 643,4 Mio. Euro auf 1. Mrd. Euro aufzustocken.

Aufgrund der dramatischen Lage in den bayerischen Landkreisen forderten die Landräte auch eine Umkehr in der Asylpolitik. Seit Monaten warnen sie vor einem Kollabieren des Systems ohne begrenzende und steuernde Maßnahmen durch Berlin und Brüssel. „Die lückenlose Überwachung und Sicherung unserer Grenzen, um dem illegalen Zuzug entscheidend entgegenzuwirken und die konsequente und zeitnahe Rückführung nicht aufenthaltsberechtigter Ausländer müssen Selbstverständlichkeit werden.

Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge sind keine kommunale Angelegenheit, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die vor allem realitäts- und praxisnahe Entscheidungen der übergeordneten politischen Ebenen erfordern. Wir brauchen Einwanderungsstrategien, die auf einer strikten Trennung zwischen Asyl, Flucht und regulärer Migration aufbauen“, hob Karmasin hervor und ergänzte:

„Um kurzfristig Druck aus dem System zu nehmen und die Unterbringungssituation in den Landkreisen zu entspannen, dürfen lediglich Flüchtlinge mit dauerhafter und realistischer Bleibeperspektive in der Fläche ankommen. Asylbewerber, die in Bayern ankommen, und diese nicht haben, müssen bis zu ihrer Anerkennung in vom Bund bereitgestellten Unterkünften untergebracht werden. Dafür muss er dringend mehr Unterbringungskapazitäten in Form von Gemeinschaftsunterkünften schaffen.“

Geldleistungen müssten mit sofortiger Wirkung abgeschafft und auf das rechtlich zulässige Minimum reduziert werden. Alles, was über das „Taschengeld“ (Bundesverfassungsgericht: maximal 182 Euro als Untergrenze zur Abdeckung persönlicher Belange) hinausgeht, solle künftig über eine Bezahlkarte abgewickelt werden. „Der Aufwand beim Übergang auf Sachleistungen ohne Einführung eines Bezahlkarten-Systems ist personell nicht zu stemmen“, erklärte Karmasin. „Zudem muss die Ampelregierung ihre Fehlentscheidung, Ukrainer in das System des Bürgergeldes zu holen und damit bereits wie Bürger zu behandeln, korrigieren. Es ist nicht vertretbar, trotz Flüchtlingsstatus sofort Sozialleistungen zu beziehen.“

Auskömmliche Finanzierung gefordert

Gefordert wurde auch eine Einigung zur auskömmlichen Finanzierung des Deutschlandtickets. Während der Freistaat Bayern mehrfach versichert habe, weitermachen zu wollen, wenn die Kosten zwischen Bund und Ländern geteilt werden, wolle sich Bundesverkehrsminister Wissing aus der Verantwortung stehlen. „Das Ticket steht und fällt mit einer auskömmlichen Finanzierung durch Bund und Länder. Wenn der Bundesverkehrsminister sich nicht bewegt, heißt es für die Bürger: An Silvester ist Schluss. Ein flächendeckendes Deutschlandticket wird es dann nicht mehr geben“, machte der Präsident deutlich.

Bund lehnt Nachschusspflicht ab

„Über Nacht hat der Bund das Deutschlandticket verkündet und die Kommunen vor enorme Herausforderungen gestellt. Binnen kürzester Zeit haben unsere Mitarbeiter Übermenschliches geleistet und die politische Vorgabe in die Praxis umgesetzt. Wenn jetzt die Finanzierungszusage von Bund und Ländern wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt, weil der Bund eine Nachschusspflicht ablehnt, fürchten wir, dass das lieb gewonnene Kind des Bundesverkehrsministers beerdigt werden muss“, fuhr Karmasin fort.

Nach seinen Worten könnten die bayerischen Landkreise mit Blick auf die enormen Kostensteigerungen im ÖPNV und den dringend notwendigen Angebotsausbau nicht zum Ausfallbürgen für den Bund werden. Die kommunalen Eigenbeträge im ÖPNV seien von 2017 bis 2021 um 35,8 Prozent gestiegen. Dabei sei das Jahr 2022 mit der Energiekrise und den Folgen des Ukraine-Krieges noch gar nicht berücksichtigt. Allein die Aufrechterhaltung des bestehenden Angebots stelle vor diesem Hintergrund eine enorme Herausforderung für die Landkreise dar. Zudem seien die kommunalen Haushalte auch anderweitig durch u.a. Krankenhausdefizite und Asylkosten extrem belastet. Damit stünden keine Mittel für freiwillige Leistungen wie dem Defizitausgleich für das Deutschlandticket zur Verfügung.

„Aus Sicht des ländlichen Raums ist es mit den Grundsätzen gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht vereinbar, die Bewohner mit einem guten ÖPNV-Angebot über billige Tickets zu entlasten, ohne das Angebot in bisher unterversorgten Regionen adäquat auszubauen“, stellte Karmasin fest. „Für uns gilt seit jeher die Maxime ‚Angebot vor Tarif‘. Voraussetzung für das Gelingen der Verkehrswende sei der Ausbau des Angebots, so der Landkreistagspräsident abschließend.

DK

 

 

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