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(GZ-17-2023 - 14. September)
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► Straßenränder als erweiterte Bienen- und Insekten-Habitate:

 

Mehr Lebensraum für Maja und Co.

 

Im Rahmen eines vom Spezialfahrzeughersteller MULAG aus Oppenau im Schwarzwald initiierten Forums trafen sich Wissenschaftler, Straßenbaubehörden und Firmen auf der demopark 2023 in Eisenach. Auf Europas größter Freiland-Messe der grünen Branche präsentierte und diskutierte das hochkarätig besetzte Expertengremium, wie eine ökologisch-nachhaltige Pflege von Straßenbegleitgrün so optimiert werden kann, dass Biene Maja und ihre Insektenverwandtschaft bessere Lebensbedingungen finden kann.

Der nordbadische Fahrzeugspezialist entwickelte den Grünpflegekopf ECO 1200 plus (auch nachrüstbar bei bestehenden Fahrzeugen), um im Rahmen des professionellen Straßenunterhalts ein naturschonendes Mähen der Straßenränder zu ermöglichen. Hierbei kommt ein innovativer Mähkopf mit rotierenden Schneidscheiben zum Einsatz, dem eine mechanische Abstreifvorrichtung vorgeschaltet ist, die die im Gras sitzenden Insekten rechtzeitig aufscheucht und das Aussamen der gemähten Pflanzen verbessert. Zudem wird das Mähgut durch eine optimierte, gezielte Luftführung und einen weitestgehend geschlossenen Boden des Mähkopfes so aufgenommen, dass spürbar weniger Fauna in das Schneidwerk eingesaugt werden. Eine höhere Schnitthöhe von 10 bis 15 cm und der Einsatz von schmalen Tastrollen statt einer Abrollwalze reduziert die Abrollflächen des eingesetzten Fahrzeugs und erlaubt ein ökologisch schonenderes Mähen zum Schutz von Flora und Fauna. Im Nebeneffekt entstehen durch das Absaugen des Mähguts Mager-Grünflächen, die eine sehr gute Grundlage für eine Blüh-Vegetation bilden.

Auswirkungen auf Insekten und Spinnen

Dass MULAG mit seiner ECO 1200-Technik auf dem richtigen Weg zu einem ökologischeren Straßenbetriebsdienst mit einer insekten- und pflanzenschonenden Pflege des Straßenbegleitgrüns ist, konnte Prof. Dr. Oliver Betz vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen wissenschaftlich untermauern. Er präsentierte die Ergebnisse seiner Untersuchungen von 2020 zu den Auswirkungen auf Insekten und Spinnen im grünen Straßenbankett beim Einsatz des ECO 1200 plus (Variante mit dem schonenden Absaugen des Mähguts). Bei den Mähversuchen wurde die Überlebensrate von Insekten und Spinnen beim Einsatz eines konventionellen Schlegelmulchkopfs mit der beim Mähen mit dem ECO 1200 plus verglichen und mit einer Nullvariante (kein Mähen) in Relation gesetzt. Die Ergebnisse waren überzeugend: Beim Einsatz des ECO 1200 plus lag die Überlebensrate je nach Insektengruppe um bis zu 79 Prozent und bei Spinnen um 39 Prozent höher als beim konventionellen Mähen.

Auch Prof. Dr. Johannes Steidle vom Institut für Biologie der Universität Hohenheim, der an den Untersuchungen von Prof. Betz beteiligt war, konnte den Tagungsteilnehmenden bestätigen, dass sich durch entsprechende technische Eigenschaften der Mähmaschinen eine insektenfreundliche Mahd erreichen lässt. Als wesentliche Kriterien betonte er insbesondere das extensive und partielle Mähen, statt eines Radikalschnitts sowie das schonende Entfernen des Mähguts. Zudem nannte er eine größere Schnitthöhe des Mähwerks über dem Boden, die Verringerung der beim Mähen überrollten Fläche, eine geringere Schnittfläche z. B. durch kleinere Messer mit schmaleren Klingen, einen geschlossenen Gehäuseboden und eine optimierte Luftstromführung zur Verringerung der Sogwirkung vom Boden. Er stellte zugleich klar, dass mangels valider Daten über die Wirkungsweise der genannten technischen Möglichkeiten und Maßnahmen aktuell noch ein erheblicher Bedarf an weiteren Untersuchungen besteht.

Grünpflegekonzept für seitliche Grünstreifen

Dr. Heinz Dirnhofer und Harald Claußen, beide von der Landesbaudirektion Bayern, zeigten auf, wie das derzeitige, aktualisierte Grünpflegekonzept für seitliche Grünstreifen an Bundes-, Staats- und Kreisstraßen durch die Staatlichen Bauämter umgesetzt wird. Das Konzept zielt unter anderem auf ein erweitertes Lebensraum- und Nahrungsangebot sowie einen hohen Strukturreichtum und die Biotopvernetzung ab. Dabei sind die seitlichen Grünstreifen in den unmittelbaren Straßenrand (Straßenbankett), die Entwässerungsgräben und die dahinter anschließenden extensiven Flächen aufgeteilt. Die Intensivbereiche müssen aus Verkehrssicherheitsgründen häufiger gemäht beziehungsweise gemulcht werden. Der Extensivbereich kann dagegen naturfreundlicher mit einem abschnittsweisen Mähkonzept bewirtschaftet werden, da dafür auch keine spezifischen Pflegekonzepte vorgeschrieben sind.

Einen interessanten internationalen Blick erlaubten den Tagungsteilnehmenden Erwin Egger und Patrick Kummer aus der Schweiz mit der Präsentation ihrer Praxiserfahrungen und Untersuchungsergebnisse im Bereich der biodiversitätsschonenden Mahd an den dortigen Autobahnen und Nationalstraßen. Sie hoben dabei unter anderem die Faktoren Schnitthöhe, überrollte Fläche und Insektenscheuchen hervor. Auch sollte eine biodiversitätsschonende Mahd eine möglichst geringe Bodenverdichtung verursachen, um die Bodenlebewesen und wiesentypischen Brütenden zu schonen. Eine insgesamt nachhaltige Mahd würde sich aus ihrer Sicht neben der Biodiversität auch durch Sicherheit und Wirtschaftlichkeit auszeichnen. Im Gegensatz zu Deutschland wird in der Schweiz das abgeräumte Mähgut von den Seitenstreifen häufig auch zur Verfütterung genutzt, sofern keine giftigen Pflanzen enthalten sind. Beim Thema Mähgut-Verwertung stellte sich daher heraus, dass im Gegensatz zur Eidgenossenschaft die Vermüllung der deutschen Straßenränder eine Verfütterung an Tiere im Prinzip nicht erlaubt.

Sinnvolle, nachhaltige Verwertung des Mähguts

Dass es im deutschen Mähgut Verwertungsverfahren bis dato hakt, zeigte schließlich Lennart Dittmer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG), auf. Auch wenn es allgemein bewusst ist, dass das Entfernen des Mähguts ein wichtiger Faktor für die lokale Biodiversität ist, tut sich Deutschland aufgrund seiner hausgemachten Gesetzeslage schwer, eine sinnvolle, nachhaltige Verwertung des Mähguts vom Straßenrand zu ermöglichen. Dittmer stellte Ergebnisse aus seiner Machbarkeitsstudie zu „Verwertungsalternativen für Mähgut aus Straßenbegleitgrün“ vor. Er wies darauf hin, dass bei einem konsequenten Abräumen des Mähguts vom Straßenrand extreme Mengen anfallen würden. Daher schlummert das größte Potenzial für eine sinnvolle Verwertung in der Kompostierung, der Trockenvergärung in Biogasanlagen und der gezielten Nutzung als Mulchmaterial zum Beispiel an Obstgehölzen. Auch ging Dittmer der Frage nach, wie hoch die Belastung des Mähguts mit Schwermetallen und gesetzlich relevanten organischen Schadstoffen sowohl im Straßenbankett als auch im Extensivbereich ist. Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass alle in Deutschland gesetzlich relevanten Grenzwerte (wie der Düngemittelverordnung und der Bioabfallverordnung) eingehalten und teilweise sogar sehr weit unterschritten werden. Auch wurde festgestellt, dass der Gehalt an Schwermetallen im Mähgut aus dem straßennahen Bereich (gemessen bis zwei Meter am Straßenrand) im Mittel um 38 Prozent niedriger sind als im straßenfernen Bereich (gemessen in 6-10 Meter Abstand zur Straße). Als relevante Faktoren für die Schadstoffgehalte in Mähgut nannte er zusammenfassend die Häufigkeit der Befahrung, die Entfernung zur Straße und die Mäh- beziehungsweise Abräumtechnik.

Der VDI kündigte an, aktuell die Arbeit an der Entwicklung einer VDI-Richtlinie für „Insektenfreundliche Mähwerke zur Pflege des Straßenbegleitgrüns“ voranzutreiben. Dem VDI geht es dabei um innovationsoffene Mindestanforderungen, die den Erfindergeist keinesfalls einschränken sollen. Vielmehr werden Impulse zu weiteren Entwicklungen von geeigneten Techniken für insektenfreundliches Mähen und Wegschaffen unterstützt.

Das geplante DACH- Forschungsprojekt „Biodiversitätsschonende Mähtechniken für den Unterhalt von Straßenbegleitgrün“ soll eine Marktübersicht über biodiversitätsschonende Mähtechniken, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Effektivität der verschiedenen Mähtechniken und Lösungsansätze, die Entwicklung eines Kriterienkatalogs zur Beurteilung von Mähtechniken nach ökologischen und ökonomischen Kriterien sowie Hinweise für die Hersteller zur Weiterentwicklung ihrer Maschinen schaffen.

Standards dringend benötigt

Auf dem Expertenforum reifte die Erkenntnis, dass dringend Standards für die biodiversitätsschonende Mäh- und Abräumtechnik benötigt werden, sowohl im Hinblick auf aktuelle wissenschaftlich fundierte Mindestanforderungen an eine solche Technik als auch in Bezug auf die Methodik bei den Tests entsprechender Geräte auf die Erfüllung dieser Anforderungen.

Weitere Informationen: www.mulag.com/de/expertenforum-2023

JK

 

Der von der Firma MULAG entwickelte, innovative Grünpflegekopf ECO 1200 plus zum ökologisch schonenden Mähen und Aufnehmen des Schnittguts von Straßen-Grünstreifen, hier beim Einsatz im extensiven Grünstreifen-Bereich. Bild: MULAG
Der von der Firma MULAG entwickelte, innovative Grünpflegekopf ECO 1200 plus zum ökologisch schonenden Mähen und Aufnehmen des Schnittguts von Straßen-Grünstreifen, hier beim Einsatz im extensiven Grünstreifen-Bereich. Bild: MULAG

 

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