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(GZ-14-2023 - 20. Juli)
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► Internationale Wissensvermittlung auf Augenhöhe:

 

Die Lehre vom Wasser im Koffer

 

Wie bekommt man das bekannte und zukünftige Wissen um den Grundstoff des Lebens – das Wasser – in einen Koffer, wobei man sich das handliche Gepäckstück ein wenig symbolisch vorstellen muss? Die Antwort bekommt man beim Verein zur Förderung des internationalen Wissensaustauschs e.V. und seinem Vorstandsvorsitzenden, Dr. Christoph Rapp.

Eröffnung des Laborraums. Bild: Markus Heinsdorff
Eröffnung des Laborraums. Bild: Markus Heinsdorff

Seit vielen Jahren engagiert sich Rapp für soziale Projekte in Afrika als Experte für Wasserkraft, Wasserbau und Hydromechanik (Strömungslehre). Mit seinem in München beheimateten Verein soll ein internationaler Wissensaustausch zwischen Deutschland und anderen Ländern gefördert werden und so zu einer positiven Entwicklung und verbesserten Verständigung speziell auch in Richtung Entwicklungs- und Schwellenländern beitragen. Ein Schwerpunktthema ist das Wissen um die nachhaltige Nutzung des Wassers als das Lebenselixier auf der Erde. Ein zentrales Zielgebiet zur Verbreitung des Wissens ist Afrika und im Fall des Wasser-Lehrlabors im Koffer das ostafrikanische Land Tansania.

Gestartet wurde das Projekt zur Lehre vom Wasser im Koffer (neuhochdeutsch: Lab in a Bag) 2016 mit einer Absichtserklärung zwischen dem Arusha Technical College (ATC) im tansanischen Arusha und dem Verein zur Förderung des internationalen Wissensaustauschs e.V.. Mit dem Projektantrag „Lab in a Bag“ der Fachhochschule (FH) Erfurt wurde das Wasser-Lehrlabor im Koffer 2021 in das Programm „Fachbezogene Partnerschaften mit Hochschulen in Entwicklungsländern“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) aufgenommen.

Ziel des Wasserkofferprojekts ist der Aufbau einer erfahrungsbasierten wissenschaftlichen Lehre vor Ort in Wasserbau, Hydraulik und Siedlungswasserwirtschaft für Hochschulen – nicht nur in Entwicklungsländern. Das angestrebte Lehrkonzept basiert auf einem gegenseitigen Erfahrungs- und Wissensaustausch von Theorie und praktischen Erfahrungen sowohl der Lehrenden als auch der Lernenden. Mit einfachen, kostengünstigen und vor allem anschaulichen Experimenten, die die komplexe Welt des Wassers verständlich machen, kostenfreier Onlinezugang zu den Lehrinhalten und begleitender Literatur sollen einen ganzheitlichen Zugang zur Lehre über die existenzielle Ressource Wasser und den Umgang damit ermöglichen.

Um den im Koffer – oder einer Alu-Box – transportierten Experimenten einen Lehrraum zu geben, schufen Vereinsmitglied Markus Heinsdorff, ein mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichneter Künstler, und Benedikt Hartl mit einigen tansanischen Studierenden für Rapps Projekt einen überdimensionalen „nachhaltigen“ Koffer aus einem leider auch in Tansania überreichlich vorhandenen Rohstoff: Plastikmüll. Im Rahmen eines Work-shops, der über ein Stipendium der Berliner Akademie der Künste finanziert wurde, errichteten sie auf dem Campus des ATC mit Hilfe der in Dortmund ansässigen Familienstiftung Wilo-Foundation einen kostengünstigen, überwiegend aus „heimischen“ PET-Flaschen hergestellten Laborraum.

Bayerische Art der Lehre für die Welt

Die Kunst der Lehre ist eine herausfordernde; die Lehre mit dem Wasser-Lehrlabor im Koffer baut auf einem an der Technischen Universität München (TUM) Anfang der 2000-er Jahre von Christoph Rapp entwickelten Lehrkonzept auf. In jahrelanger Weiterentwicklung konnte es sich an verschiedenen Hochschulen in Asien, Lateinamerika und Afrika etablieren.

Das Lehrkonzept beruht auf der Idee, dass eine Entdeckung immer mit einer Beobachtung beginnt. Als eines der besten Beispiele gilt die Geschichte vom Apfel, der wohl Isaac Newton auf den Kopf fiel. Newton, so heißt es, begann über die Gravitation nachzudenken und leitete schließlich die grundlegenden Gesetze der Mechanik ab.

Daher sollte die naturwissenschaftliche Bildung immer mit der Beobachtung bzw. dem Erfassen eines Phänomens beginnen. Das nennt man „erfahrungsbasierte Lehre“. Durch die Vorstellung davon, was passiert, begreift man das Erfahrene und kann daraus eine zusammenhängende Theorie ableiten. Die Erkenntnisse müssen natürlich gründlich und wiederholt hinterfragt werden; auch muss ein permanenter Abgleich von Theorie und Experiment erfolgen.

Schließlich muss das gewonnene Wissen auf unterschiedliche Probleme angewendet werden. Dieser Ansatz wurde in der Hydraulik-Lehre an der TUM umgesetzt. Die dort experimentell gewonnenen Erfahrungen wurden an Hochschulen/Universitäten in Entwicklungsländern in Lehrlaboren aufgebaut und unterstützen dort seither die erfahrungsbasierte Lehre.

Als Ergebnis der internationalen Lehr-Zusammenarbeit entwickelten die Studierenden z.B. experimentell eine mit Hilfe eines 3D-Druckers hergestellte Mini-Pelton-Turbine, die mit Hilfe eines Fahrrad-Dynamos unter anderem die Stromerzeugung aus Wasserkraft im Lab in a Bag veranschaulicht. Den 3D-Drucker hatten ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der FH-Erfurt und ein Masterstudent der Bauhaus-Universität Weimar, der seine Masterarbeit über das Labor im Koffer schrieb, im Gepäck. Der Drucker wurde in einem gemeinsamen Workshop mit Dozenten und Studierenden des ATC aufgebaut und in Betrieb genommen.

Als Begleitliteratur zum TUM- Lehrkonzept wurde 2017 das Buch „Hydraulik für Ingenieure und Naturwissenschaftler – Ein Kurs mit anschaulichen Experimenten und Open Source Codes“ zunächst auf Deutsch veröffentlicht; bereits 2021 folgte die zweite Auflage. Inzwischen wurde das Buch auch ins Englische übersetzt. Finanziert über Mittel des Vereins und mit großzügiger Unterstützung der Cordes & Graefe-Stiftung wird die englische Version des Buchs beim Springer-Verlag bald weltweit kostenlos zum Download zur Verfügung gestellt.

Bis 2025 sollen die Hydraulik- und Wasserbau-Experimente so konzipiert sein, dass sie kostengünstig und in einer Box verpackbar hergestellt und vertrieben werden können; die Beteiligten haben sich vorgenommen, die Entwicklung entsprechender Module im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft bis dahin angestoßen zu haben. Etwa zehn Prozent der open access-Gebühren für das begleitende Lehrbuch muss der Verein noch über Spenden decken.

Weitere Infos:

https://ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC10069938

https://www.knowledgexchange.org

JK

 

 

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