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(GZ-8-2021)
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► Forderungen im Internationalen Münchner Presseclub:

 

„Öffnen mit Testen!“

 

Es gibt Alternativen zum Lockdown, doch der Unmut in der Bevölkerung wächst, dass diese nicht zum Tragen kommen und viele Unternehmen in der aktuellen Situation allein gelassen werden. Anlässlich des bayernweiten Aktionstages „Lasst uns öffnen“ diskutierten im PresseClub München unter Leitung von dessen Vorsitzendem, Dr. Uwe Brückner, Vertreter aus Politik, Wirtschaft und der Bevölkerung über Öffnungsperspektiven und stellten ihre Forderungen an die Regierung.

Unser Bild entstand während der Pressekonferenz im Münchner Presseclub und zeigt von links: Dr. York Otto, Gabriele Sehorz, Hubert Aiwanger und Dr. Uwe Brückner. Bild: Jörn Dreuw
Unser Bild entstand während der Pressekonferenz im Münchner Presseclub und zeigt von links: Dr. York Otto, Gabriele Sehorz, Hubert Aiwanger und Dr. Uwe Brückner. Bild: Jörn Dreuw

„Der Lockdown ist das einfachste Mittel, aber er bringt viele Nebenwirkungen und Kollateralschäden. Dabei geht es schon lange nicht mehr um die finanziellen Schäden, sondern zunehmend um die sozialen und psychischen Folgen. Dass es aktuell keine Perspektiven gibt, macht mich nicht nur traurig, sondern auch wütend.“ Mit diesen eindringlichen Worten eröffnete Susanne Grill, Projektmanagerin Cocoon Hotels und Dozentin an der Tourismusmanagement Hochschule München, die Diskussion im PresseClub München.

Seit 15 Jahren arbeitet Grill in der Hotellerie und Gastronomie und sprach stellvertretend für viele Bürgerinnen und Bürger, deren Unmut über die aktuelle Lage wächst und die den Dialog mit der Politik suchen. Dazu haben sich mittlerweile mehrere Initiativen gebildet, die sich – abseits von Coronaleugnern, Verschwörungstheoretikern oder Rechtsextremen – gegen den anhaltenden Lockdown aussprechen und gemeinsam mit der Politik Lösungen und Wege aus dem Lockdown erarbeiten wollen.

Bayernweiter Aktionstag

„Wir fordern sinnvolle, gerechte, transparente, nachvollziehbare und vor allem wirksame Maßnahmen. Hören Sie auf die Stimme des Volkes“, appellierte Grill an die Podiumsteilnehmer. Die gebürtige Niederbayerin ist Organisatorin des bayernweiten Aktionstages, zu dem sich unter dem Motto „Lasst uns öffnen“ verschiedene Aktionsbündnisse aus dem Freistaat zusammengeschlossen haben, um zwischen fünf Minuten nach 12 und fünf Minuten nach 19 Uhr mit Kundgebungen, Pressekonferenzen und Online-Aktionen auf die aktuellen Missstände aufmerksam zu machen. Dazu zählten sie geschlossene Geschäfte, aber auch die Belastung für Familien beispielsweise durch Homeschooling.

Debatte über Kollateralschäden

„Wir müssen in der Öffentlichkeit vermehrt darüber berichten, welche Kollateralschäden der Lockdown mit sich bringt. Denn wenn dieses Thema in der öffentlichen Debatte einen gewichtigen Platz einnimmt, steigt der Druck auf die Politik zu reagieren“, sagte Florian Post (SPD), der den Münchner Wahlkreis Nord im Deutschen Bundestag vertritt. Post kritisierte zudem, dass allein eine Debatte im Parlament nicht ausreiche, um Entscheidungen der Bundesregierung zu legitimieren.

„Es braucht eine parlamentarische Grundlage, damit Beschlüsse der Regierung bezüglich der Coronaregelungen auch abgeändert werden können. Das ist aktuell nicht möglich.“ 

Tests als „Eintrittskarten“

Hubert Aiwanger, stellvertretender bayrischer Ministerpräsident und Landesvorsitzender der Freien Wähler, bezeichnete die Forderungen der Unternehmen nach Öffnungsperspektiven unter dem Schlagwort #lasstunsöffnen als nachvollziehbar. „Die Wege aus dem Lockdown müssen mehrheitsfähig sein und ich sehe in dem Thema ‚Öffnen mit Tests’ eine mehrheitsfähige Position.“

Er unterstützte die Forderung, dass flächendeckende Tests als Eintrittskarten für Schulen und Restaurants gelten könnten. „Und diesen Weg müssen wir systematisch beschreiten mit Teststationen und der Feststellung von infizierten Personen.“

Kommunale Schnellteststrukturen

Auch in einem Forderungspapier des Bezirksverbandes Oberbayern der Mittelstands-Unionder CSU steht der Ausbau der Schnelltestinfrastruktur im Fokus.

„Solange Impfungen nicht im erforderlichen Maße stattfinden können, müssen zumindest die Testmöglichkeiten deutlich ausgebaut werden. Hier sehe ich den Staat in der Pflicht, möglichst schnell kommunale Schnellteststrukturen zu schaffen. Das kann nicht dem Mittelstand auferlegt werden. Aber auch betriebliche und privatwirtschaftliche Teststrukturen sind zu definieren und staatlich zu fördern, ebenso gilt es neue Testmöglichkeiten sowie fachlich begleitete Webinare zu berücksichtigen“, erläuterte Bezirksvorsitzender Dr. Thomas Geppert.

Unterstützung für Wirtschaft Martin Hagen, MdL und FDP- Landtagsfraktionsvorsitzender, setzt sich im Landtag ebenfalls für Öffnungsperspektiven mit Vernunft ein. Die FDP-Landtagsfraktion hatte im Januar bereits einen Stufenplan vorgelegt.

„Ich teile die Position, dass wir durch die Tests mehr öffentliches Leben zulassen können.“ Zur Unterstützung der Unternehmen forderte Hagen als kurzfristige Maßnahme eine gesetzliche Ausweitung der Möglichkeit des Verlustrücktrags. „Langfristig müssen wir zudem die Rahmenbedingungen für das Wirtschaften verbessern, z. B. durch den Abbau des Solidaritätszuschlags, keine weiteren Steuererhöhung und mehr Bürokratieabbau.“

Runder Tisch gefordert

Über 70 Prozent aller Arbeitsplätze hängen an ihnen – den Selbstständigen, die besonders stark betroffen sind von der aktuellen Situation. „Viele Selbstständige in Bayern kämpfen immer noch mit Herzblut. Gleichzeitig bekomme ich ein Bild gespiegelt, das weh tut. Da geht’s beispielsweise darum, dass angeblich Hygieneschutzmaßnahmen von den Unternehmern nicht eingehalten würden. Dabei haben sie bereits vor Monaten Konzepte ausgearbeitet“, stellte Gabriele Sehorz, Präsidentin des Bundes der Selbstständigen in Bayern (BDS Bayern), fest.

„Wir fordern einen runden Tisch, an dem viele kluge Köpfe sitzen. Denn so können wir gemeinsam mit Sachverstand Strategien entwickeln, wie wir viele Bereiche wieder öffnen können.“

Mehr Chancengleichheit

„Es wird zu wenig darüber berichtet, dass Deutschlands Wirtschaft enorm absackt“, warnte Dr. Yorck Otto, Präsident der Union mittelständischer Unternehmer (UMU). Wirtschaftswissenschaftler seien im Beratungsgremium der Regierung leider nicht gefragt, obwohl der Lockdown die Bundesrepublik Deutschland jede Woche 40 Milliarden Euro koste, kritisierte er.

„Ich bitte um Berücksichtigung, dass die mittelständischen Unternehmen immer noch die größten Steuerzahler sind. Der Staat müsste staatliche Beteiligungen in die Privatwirtschaft zurückführen, um mehr Chancengleichheit zum Schutz der kleinen Unternehmen herzustellen“, forderte Otto.

Der deutsche Mittelstand ist zudem einer der größten Ausbilder und leistet damit einen erheblichen Anteil am deutschen Wirtschaftswachstum. Doch laut Schätzungen müssen 23.500 Unternehmen in diesem Jahr Insolvenz anmelden, weil der Markt ihnen weggebrochen ist. „Wir driften dadurch auch immer mehr ab in die Jugendlosigkeit, da beispielsweise Hotels aktuell keine Auszubildenden übernehmen“, mahnte Otto.

„Soziale Kontrolle ist ausgeschaltet“

„Manche Kinder und Frauen sind durch den Lockdown unsichtbar geworden“, beklagte Romy Stangl, die sich als Aktivistin für Menschenrechte und Vorstandsfrau von One Billion Rising München e.V. für Empowerment von Frauen einsetzt. Laut einer aktuellen Studie seien drei Prozent der Frauen während der Lockdownphase von häuslicher Gewalt betroffen, zitierte Stangl. Zugleich funktioniere die Meldekette – u. a. aufgrund der Schulschließungen – nur noch eingeschränkt, sodass Misshandlungen von Frauen und Kindern immer häufiger unentdeckt bliebe.

„Diese Menschen zu schützen sollte eine politisch humanitäre Aufgabe sein“, sagte Stangl. Außerdem kritisierte sie, dass Kinder auf ihr Dasein als Schüler reduziert werden und andere Bereiche, wie Sportaktivitäten während der Freizeit, vollkommen ausgeblendet werden. Aiwanger gab in diesem Zusammenhang jedoch zu bedenken, dass Kinder und Jugendliche deutlich stärker vom Infektionsgeschehen betroffen seien als andere Bevölkerungsgruppen.

„Deshalb werden wir an Tests nicht vorbeikommen. Dabei stellt sich die Frage, wo diese Tests stattfinden sollen. Rund 20 % der Kinder bekommen von ihren Eltern kein Frühstück – man kann davon ausgehen, dass daher auch immer einige Kinder ohne Tests zur Schule kommen. Deshalb setzen wir uns für das Testen in Teststationen oder in der Schule ein.“

Online-Petition „Testland Bayern“

Zum Ende der Diskussion machte Sehorz auf die Online-Petition „Testland Bayern“ aufmerksam. „Wir wünschen uns, dass ganz Bayern Testland wird und Schnelltests nicht nur in sogenannten ‚Testkommunen’ zur Verfügung stehen.

Wir entwickeln uns aktuell in die Richtung: ‚Wer getestet ist, hat auch wieder mehr Freiheiten’. Der BDS Bayern hat kein Interesse an überstürzten Entscheidungen, aber wir haben jetzt den Einstieg in das Thema bekommen und nun geht’s drum, was wir daraus machen.

Die Landkreise/kreisfreien Städte können zusätzlich zu kommunalen Teststationen mit Apotheken, Ärzten u. a. ein flächendeckendes Netz in den Kommunen bzw. Landkreisen aufbauen. Auch können Arbeitgeber – freiwillig – einen großen Beitrag leisten, wenn sie eigene Teststationen betreiben und an das System der ‚Freibescheinigungen’ angeschlossen sind. Allein hierdurch könnte ein hoher Anteil der Bevölkerung regelmäßig getestet werden“, erklärte Sehorz. Grill formulierte abschließend ein positives

Fazit: „Es gibt Lösungen und wir dürfen Wege aus dem Lockdown nicht weiter herauszögern. Wir werden immer wieder nachjustieren müssen, sodass wir Schritt für Schritt zu einer Normalität zurückkehren, wie wir sie vor der Coronapandemie hatten.“

 

 

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