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(GZ-4-2021)
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► Fachkommission Integrationsfähigkeit:

 

Impulse für die Integrationspolitik

„Fachkommission Integrationsfähigkeit“ mit Landrat Stefan Löwl übergab Bericht an Kanzlerin Merkel

 

Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der „unabhängigen Fachkommission der Bundesregierung zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit“ hat Dachaus Landrat Stefan Löwl Kanzlerin Merkel den digitalen Abschlussbericht der Kommission übergeben. Dieser enthält eine Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen, arbeitsmarktpolitischen, gesellschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen für Integration sowie Impulse und Empfehlungen, wie diese weiterentwickelt werden können.

Landrat Stefan Löwl.
Landrat Stefan Löwl.

Der Bericht ist ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag. Landrat Löwl war als einer von 25 (zuletzt 24) Expertinnen und Experten aus verschiedenen wissenschaftlichen, politischen und zivilgesellschaftlichen Bereichen, die sich seit vielen Jahren mit Prozessen der Migration und Integration beschäftigen, durch die Bundesregierung in die Fachkommission berufen worden.

Empirische und / oder wissenschaftliche Wahrnehmung

Als lokaler Verantwortungsträger sei die Arbeit in der Fachkommission interessant und bereichernd gewesen, urteilte der Landkreischef, „zeigte mir aber auch deutlich die Differenzen zwischen der empirischen, wissenschaftlichen Wahrnehmung und den lokal vor Ort zu lösenden Problemen und vielschichtigen Rahmenbedingungen.

Die Herausforderung vor Ort, humanitäre, richtige und rechtmäßige Lösungen auf alle Einzelfälle unter Beachtung der jeweiligen lokalen Situation zu finden, und die generelle Frage der Rolle der Kommunen bei der Integration, auch außerhalb der Großstädte, mit den verschiedenen Interessen- und Ressourcenkonflikten, haben wir bei unserer Arbeit daher intensiv diskutiert.“

Der Fokus der Beratungen lag auf dem Zusammenhang von Migration und Integration sowie den Themenfeldern Sprachförderung, Arbeitsmarktintegration, Bildung, Wohnen und Gesundheit. Auch der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Gefahren durch Rassismus, Rechtsextremismus und Terrorismus werden im Bericht adressiert. Mögliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Integrationspolitik wurden ebenfalls beleuchtet. Der Abschlussbericht enthält folgende 14 Kernbotschaften, die als Impulse für die künftige Integrationspolitik dienen sollen.

1. Deutschland ist ein vielfältiges Einwanderungsland

Deutschland hat sich in Europa zum mit Abstand wichtigsten Zielland für Migration entwickelt; weltweit liegt es nach den USA auf Platz 2. Nach Überzeugung der Fachkommission ist es deshalb erforderlich, ein offenes Selbstverständnis von „Deutschsein“ mit Zugehörigkeitskriterien zu entwickeln, die der Diversität des Einwanderungslandes Deutschland Rechnung tragen. Dies schafft die Grundlage für ein gutes Miteinander. Über die Bedingungen für Einreise und Aufenthalt ist letztlich politisch zu entscheiden.

2. Migration bietet Chancen wenn Integration gelingt

Empfohlen wird eine aktive Migrations- und Integrationspolitik, die die Chancen erkennt und versucht, sie im Interesse der gesamten Bevölkerung auszuschöpfen.

3. Zielkonflikte zwischen Asyl- und Integrationspolitik müssen anerkannt und soweit wie möglich reduziert werden

Ein funktionierendes Asylsystem muss zwischen Personen mit und ohne Schutzbedarf unterscheiden. Folglich sind bei der Ablehnung von Asylanträgen auch Rückführungen notwendig. Dies schließt nicht aus, über die Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung hinaus die Bleibechancen für gut integrierte Schutzsuchende zu befördern. Grundsätzlich empfiehlt die Fachkommission, die in weiten Teilen erfolgreichen Anstrengungen zur Integration von Schutzberechtigten fortzusetzen und weiterzuentwickeln.

4. Integration ist eine Daueraufgabe, die alle betrifft

Es bedarf nicht nur der Teilhabe an Chancen, sondern auch der aktiven Teilnahme an den vielfältigen Möglichkeiten und Aufgaben. Zusammenhalt kann vom Staat nicht verordnet werden; es braucht mehr als die formale Beachtung der Gesetze.

5. Integration bedeutet Teilhabe, Repräsentanz und Anerkennung

Eine chancengleiche Teilhabe zu gewährleisten bedeutet unter anderem darauf hinzuarbeiten, dass Angehörige aller gesellschaftlichen Gruppen entsprechend ihren Qualifikationen und Fähigkeiten auf allen Hierarchieebenen adäquat vertreten sind. In diesem Sinne ist eine Öffnung staatlicher Institutionen zu forcieren, die sich an der gesellschaftlichen Diversität orientiert.

6. Aktive Unterbindung von Diskriminierung und ein respektvoller Umgang miteinander

Dies sind die Voraussetzungen für Teilhabe und Teilnahme Ausgrenzung und Benachteiligung verursachen auch ökonomische Kosten. Negative Erfahrungen im Kontakt mit Behörden oder staatlichem Handeln erschüttern das Vertrauen in den Staat. Diskriminierung ist daher nachhaltig zu bekämpfen.

7. Gängige Begriffe müssen hinterfragt werden

Es ist wichtig, im öffentlichen Diskurs auf eine sensiblere Verwendung von Sprache zu achten – nicht zuletzt, um einer Polarisierung und Politisierung entgegenzuwirken. Die Kommission schlägt unter anderem vor, das Konzept „Migrationshintergrund“ im Rahmen der amtlichen Statistik klarer und zugleich enger als bisher zu definieren.

8. Chancengleichheit in der Bildung ist unabdingbar

Der Staat steht in der Pflicht, eine chancengerechtere Bildung zu gewährleisten. Dazu ist die Qualität der Bildungsangebote weiterzuentwickeln und zu sichern, insbesondere auch im Bereich der Sprachbildung und Sprachförderung. Zudem sollten die Bildungswege länger offengehalten werden.

9. Die Fähigkeiten von Eingewanderten sollten besser genutzt, ihre Kompetenzen gestärkt werden

Alle in Deutschland lebenden Menschen müssen die Basiskompetenzen erwerben können, die für eine aktive Teilhabe und Teilnahme in Gesellschaft und Arbeitsmarkt erforderlich sind. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Sprachförderung, denn gute Deutschkenntnisse sind ein Schlüssel für aktive Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft. Wichtig ist aber auch die gleichberechtigte Förderung des Erwerbs von Schul-, Ausbildungs- und Universitätsabschlüssen in Deutschland.

10. Eine vorausschauende Einwanderungspolitik kann die Integration in den Arbeitsmarkt verbessern

Deutschland steht in der Einwanderungspolitik vor der Herausforderung, dass die Arbeitsmärkte stärker für Personen aus Drittstaaten geöffnet werden müssen, wenn das Erwerbspersonenpotenzial auch nur annähernd stabilisiert werden soll. Der Gesetzgeber hat mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz versucht, dem Rechnung zu tragen.

Die Fachkommission begrüßt insbesondere den Wegfall der Vorrangprüfung und setzt sich dafür ein, die Schwellen für Erwerbsmigration noch weiter zu senken. Zudem muss die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen und die Zertifizierung von durch berufliche Erfahrung erworbenen Qualifikationen erleichtert werden.

Durch eine bedarfsorientierte Steuerung der Arbeitsmigration werden auch die Integrationschancen von eingewanderten Arbeitsmigrantinnen und -migranten deutlich verbessert.

11. Integration erfordert eine nachhaltige Stadtentwicklungs- und eine soziale Wohnungspolitik

Insbesondere in den Ballungsräumen müssen den Kommunen die notwendigen rechtlichen und finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um Wohnraum zu schaffen und Wohnstrukturen zu steuern. Eine weitsichtige Integrationspolitik stärkt Quartiere, die besondere Integrationsleistungen erbringen, und würdigt deren Leistungen für die Stadtgesellschaft.

Die Kommission empfiehlt eine aktive Wohnungs- und Bodenpolitik, die darauf zielt, mehr Wohnraum bereitzustellen, aber zugleich die Bezahlbarkeit von und den Zugang zu Wohnraum priorisiert.

12. Gleiche Gesundheitschancen sind eine Voraussetzung für erfolgreiche Integration

Beim Anspruch auf gesundheitliche Leistungen bestehen für einzelne Migrantengruppen gegenwärtig Beschränkungen. Ziel muss es sein, ihnen vergleichbare Leistungen wie Empfängern von Sozialleistungen zu gewähren. Saisonarbeitskräfte und Schutzsuchende müssen so untergebracht werden, dass sie die Vorgaben der Corona-Schutzverordnung einhalten können.

13. Rassismus, Hasskriminalität und Terrorismus gefährden die Substanz der Gesellschaft

Zur Bekämpfung dieser Phänomene gehören unter anderem ein stärkeres bürgerschaftliches Engagement gegen rassistische und antisemitische Äußerungen und Handlungen im Alltag sowie ein Grundkonsens über die Ablehnung von Gewalt und der Herabwürdigung von Menschen. Hierbei dürfen nicht verschiedene Formen von Extremismus gegeneinander ausgespielt werden; sie alle sind reaktiv zu bekämpfen und präventiv zu vermeiden.

14. Integration ist eine Investition in die Zukunft

Bei der Umsetzung von integrationspolitischen Pflicht- und Daueraufgaben im Sinne einer Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts brauchen die Kommunen Handlungsfähigkeit. Bund und Länder müssen sie darin stärker und vor allem dauerhaft unterstützen.

Dies muss im Rahmen einer geordneten Finanzverfassung erfolgen, die Anreize für eine effiziente Nutzung knapper Ressourcen setzt. Notwendig ist auch eine stärkere Effizienz- und Erfolgskontrolle der Mittelgebenden und -nutzenden.

In diesem Zusammenhang sind Integrationsmaßnahmen auf allen Ebenen verstärkt und wissenschaftlich fundiert zu evaluieren. Wenn all dies gelingt, können Migration und Integration für alle gewinnbringend sein.

DK

 

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