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(GZ-3-2021)
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► dbb Jahrestagung 2021:

 

Öffentlicher Dienst im Krisenmodus

 

Wie wichtig eine effektive und gut vernetzte Verwaltung ist, hat Horst Seehofer zufolge nicht zuletzt die Corona-Krise gezeigt. Auch während der Pandemie sei auf den öffentlichen Dienst Verlass, betonte der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, auf der dbb-Jahrestagung in Berlin, die dieses Jahr im digitalen Format stattfand.

Deutschland sei im Vergleich zu vielen anderen Ländern trotz zuletzt angestiegener Infektionszahlen verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen. Hierzu hätten die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vor Ort, auf den Dienststellen und im Heimbüro einen erheblichen Beitrag geleistet. „Die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ist in der Corona-Pandemie nochmals sehr deutlich geworden“, erklärte Seehofer. Zudem lobte er das im vergangenen Jahr erzielte Tarifergebnis, das auf den Beamtenbereich übertragen werden soll. Es sei das vereinbart worden, was möglich war, um der Wertschätzung des Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gerecht zu werden.

Besonderer Dank an Einsatz- und Sicherheitskräfte

Den Einsatz- und Sicherheitskräften, die sich während der Pandemie neben den ohnehin schon erheblichen Risiken ihrer Einsatztätigkeiten besonderen Infektionsrisiken ausgesetzt sehen, gebühre ein besonderer Dank. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat habe Mittel für die Deutsche Hochschule der Polizei bereitgestellt, um mit einer umfassenden Studie die Berufsmotivation und die Herausforderungen des Polizeialltags untersuchen zu lassen.

Handlungsfähigkeit der Verwaltung

Die Pandemie habe verdeutlicht, dass die Handlungsfähigkeit der Verwaltung auch von einer funktionierenden und flexiblen IT und den entsprechenden organisatorischen und personellen Rahmenbedingungen abhängig sei, stellte Seehofer fest. Bei der IT-Infrastruktur habe man bereits große Fortschritte erzielt. Der unmittelbare Zugang der Bürgerinnen und Bürgern zu digitalen Dienstleistungen wachse ständig und die Ziele des Onlinezugangsgesetzes könnten bis Ende 2022 flächendeckend erreicht werden.

Aus Sicht des dbb Bundesvorsitzenden Ulrich Silberbach leistet der Bund viel für die Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen. „Aber wenn wir alle politischen Ebenen betrachten, sind wir noch lange nicht auf der Erfolgsspur. Im europäischen Vergleich ist Deutschland im hinteren Drittel. Insbesondere die kommunale Ebene ist weit abgekoppelt. Die Länder müssen jetzt Geld in die Hand nehmen und die Kommunen unterstützen“, forderte Silberbach. Er warnte vor einem Flickenteppich bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. „Wir brauchen ein einheitliches Vorgehen. Mein Appell an alle Gebietskörperschaften: Einer macht die Blaupause für die digitale Dienstleistung; die anderen übernehmen das Modell.“

Optimierungsbedarf

Im Panel „Was erwartet die Wirtschaft vom öffentlichen Dienst?“ stellte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, einen Optimierungsbedarf an der Schnittstelle zwischen Staat und Wirtschaft fest. So sei die „öffentliche Verwaltung zu langsam, was die Arbeit der Gesundheitsämter betrifft“. Dies liege vor allem an unzureichender Koordination. Die öffentliche Verwaltung müsse wie die Wirtschaft in der Lage sein, Strukturen innerhalb weniger Wochen anzupassen. „Schneller, als es zum Beispiel eine Verwaltungsvorschrift zulässt“, so Kampeter.

DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg wies die Kritik Kampeters an der mangelnden Flexibilität der öffentlichen Verwaltung in der Corona-Pandemie, insbesondere bezüglich der Arbeit der Gesundheitsämter, entschieden zurück. „Wir haben in den Gesundheitsämtern seit vielen Jahren Personaldefizite beklagt, ohne dass sich jemand dafür interessiert hätte. Die Arbeit ist dort wenig lukrativ, insbesondere die dringend benötigten Ärzte meiden den öffentlichen Gesundheitsdienst. Jetzt, wo die Ämter im Zentrum des allgemeinen Interesses stehen, entsteht hoffentlich Bereitschaft bei der Bezahlung nachzulegen.“

Gegenseitiger Lernprozess

Auch der Hauptgeschäftsführer des DStGB glaubt an einen gegenseitigen Lernprozess. Doch könnte die Kooperation zwischen Wirtschaft und Verwaltung besser laufen. „Es fehlt am Konsens. Viele Unternehmer wissen wenig über die Abläufe in der Verwaltung, und seitens der Verwaltung nehme ich mitunter eine gewisse Wirtschaftsfeindlichkeit wahr, die dazu führt, dass man beim Genehmigungsverfahren schaut, wo überall man noch ein Schippchen Bürgerbeteiligung drauf tun kann“, unterstrich Landsberg.

Einen Rechtsanspruch auf Homeoffice lehnte nicht nur Kampeter als nicht praxisgemäß ab. Die Politik müsse nichts regeln, was in den Betrieben bereits gut funktioniere. „Die Arbeit im Homeoffice soll ausgeweitet werden, wenn der Arbeitsplatz und die Tätigkeit dies ermöglichen, aber wir brauchen keinen Rechtsanspruch auf Homeoffice“, bekräftigte Silberbach und auch Landsberg bezweifelte eine entsprechende Notwendigkeit: „Wir sind mit weniger Regeln besser aufgehoben als mit mehr Regeln.“

Welche Rolle der öffentliche Dienst in der deutschen Verfassungsordnung spielt, war Thema des Fachvortrages von Udo Di Fabio. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter nahm insbesondere die Herausforderungen für die Verwaltung als Teil der staatlichen Gewaltenteilung ins Visier. Als tragender Pfeiler unserer Gesellschaft, der die staatliche Gewalt ausübt, sei der öffentliche Dienst Gegenspieler und Servicepartner, weil er sowohl für die Einschränkung grundrechtlicher bürgerlicher Freiheiten als auch die Gewährung staatlicher Leistungsansprüche zuständig ist.

Qualitative Verbesserungen

Qualitative Verbesserungen mahnte Di Fabio für die Personalsituation an. „Die alternde Gesellschaft ist nicht nur ein Problem im Hinblick auf den Nachwuchs im öffentlichen Dienst, sondern sie bewirkt auch eine Zunahme von Aufgaben und eine Bedeutungszunahme öffentlicher Dienstleistungen.“ Das gelte nicht nur für die Altenpflege oder die medizinische Versorgung, sondern auch für die Bereiche der inneren und sozialen Sicherheit.

Der öffentliche Dienst werde nur dann in guter Verfassung bleiben, wenn es gelingt, junge Menschen zu gewinnen und langfristig zu motivieren. „Das bedeutet in einer Gesellschaft, die herkömmliche Rollenbilder aufgegeben oder verändert hat, dass auch der öffentliche Dienst dem nicht nur zeitverzögert irgendwie folgt, sondern proaktiv gestaltet.“

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei im öffentlichen Dienst im Vergleich zu Privatwirtschaft durchaus gut ausgestaltet, aber die Teilzeitbeschäftigung führe insbesondere bei weiblichen Beschäftigten noch immer zu Nachteilen in der Karrierebiografie: „Wer junge Frauen im Dienst fair behandeln will, wird demnach die Bedingungen für Teilzeitarbeit verbessern. Führungsmodelle wie Führen aus der Ferne oder Führen in Teilzeit werden in einer mehr und mehr digitalen Arbeitswelt neue Qualifikationsprofile entstehen lassen und ihren Niederschlag in geänderten Beurteilungskriterien für Führungskräfte finden.“

Di Fabio nahm auch Defizite des öffentlichen Dienstes ins Visier. Wenn Schulen in der Coronakrise viele Monate benötigten, um einen halbwegs akzeptablen Digitalunterricht anzubieten, müsse gefragt werden, warum das so ist. Wenn die Ausstellung eines Personalausweises oder die Zulassung eines PKWs einen viel zu großen Zeitraum erfordere, müsse die Frage gestellt werden, woran es hakt. Manchmal handle es sich um Fehler der Führung der Verwaltung, die politisch in Angriff genommen werden müssten. Gelegentlich zeigten sich aber auch Symptome einer strukturellen Überforderung, die aus einem zum Teil Jahrzehnte erfolgten Zuwachs von Aufgaben resultierten, hob der ehemalige Bundesverfassungsrichter hervor.

Seiner Auffassung nach „muss die demokratische Gesellschaft erkennen, dass das Ansehen des Rechtsstaates immer auch davon abhängt, dass die öffentlichen Aufgaben, das Versprechen der inneren Sicherheit und die Infrastruktur der Daseinsvorsorge auf der einen Seite immer in der Balance zu den personellen und sächlichen Mitteln auf der anderen Seite stehen muss“.

DK

 

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