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(GZ-18-2019)
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► Zwangsimpfung:

 

Erste Bruchstellen

 

Die scheinbar so unverbrüchliche politische Phalanx für das sog. Masernschutzgesetz bekommt erste Risse. Laut seiner am 20. September 2019 beschlossenen Stellungnahme lehnt der Bundesrat einzelne Regelungen im Gesetzentwurf der Bundesregierung ab. Auch weitere Initiativen und Organisationen haben längst deutliche Bedenken angemeldet.

Nach Auffassung des Bundesrats muss die Verantwortung für die Nachweiskontrolle über den Impfschutz in Gemeinschaftseinrichtungen richtigerweise beim Einrichtungsträger und nicht bei der Einrichtungsleitung liegen. Ebenfalls problematisch findet er, dass Personen, die keinen Impfnachweis erbringen können, die Aufnahme in eine Gemeinschaftseinrichtung verwehrt werden soll. Hierdurch würden der Zugang zu Bildungseinrichtungen und die damit einhergehende Förderung von Chancengleichheit konterkariert. Die Länder erwarten deshalb, dass diese Regelung im weiteren Gesetzgebungsverfahren überdacht wird.

Bußgeldvorschriften müssen gestrichen werden

Gestrichen werden sollten nach Ansicht des Bundesrates die Bußgeldvorschriften, die die Einrichtungsleitung sanktionieren, wenn sie eine nicht geimpfte Person aufnimmt bzw. das Gesundheitsamt nicht rechtzeitig über einen fehlenden Impfschutz informiert.

Korrekturbedarf

Korrekturbedarf sehen die Länder auch an dem vorgesehenen Acht-Wochen-Zeitraum, innerhalb dessen Asylbewerber in Gemeinschaftseinrichtungen den Impfnachweis liefern müssen: Stattdessen sollte der Nachweis spätestens nach vier Wochen erbracht werden. Gerade in solchen Einrichtungen sei der Masernschutz wichtig, da es in der Vergangenheit zu Masernausbrüchen gekommen sei. Zugleich fordern die Länder, dass die Kosten der Schutzimpfungen für Asylbewerber vom Bund getragen werden, da es um den Gesundheitsschutz der Allgemeinheit geht.

Mehraufwand der Gesundheitsämter

Darüber hinaus kritisiert der Bundesrat, dass der Gesetzentwurf den entstehenden Mehraufwand der Gesundheitsämter nicht ausreichend berücksichtigt. Mit dem bestehenden Personal sei der Aufgabenzuwachs nicht zu bewältigen. Auch hier plädiert er dafür, dass der Bund die Mehrkosten vollständig trägt.

Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung müssen Menschen in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen, Kitas oder auch Asylbewerberheimen künftig gegen Masern geimpft sein. Auch Beschäftigte solcher Einrichtungen oder im medizinischen Bereich müssen nachweisen, dass sie geimpft oder aber gegen die Krankheit immun sind. Die Impfung soll es bei jedem Arzt geben, mit Ausnahme des Zahnarztes.

Eltern, die ihre in Gemeinschaftseinrichtungen betreuten Kinder nicht impfen lassen, droht nach dem Gesetzentwurf ein Bußgeld von bis zu 2.500 Euro. Das Bußgeld kann auch gegen Kindertagesstätten verhängt werden, die nicht geimpfte Kinder zulassen. Nicht geimpftes Personal in Gemeinschaftseinrichtungen oder Bewohner solcher Einrichtungen müssen nach den Neuregelungen ebenfalls mit Bußgeldern rechnen.  Die Stellungnahme des Bundesrates wird nun zunächst an die Bundesregierung weitergeleitet. Sobald sie sich dazu geäußert hat, leitet sie den Gesetzentwurf einschließlich der Stellungnahme des Bundesrates und ihrer Gegenäußerung an den Bundestag zur weiteren Beratung und Entscheidung.

Blinder Aktionismus und Verkennung der Faktenlage

„Impfen muss freiwillig bleiben“, fordern u.a. der Verein „Ärzte für individuelle Impfentscheidung“, der Deutsche Ethikrat und das „Netzwerk Impfentscheid Deutschland“. Letzteres initiierte vor kurzem am Brandenburger Tor in Berlin eine Demonstration gegen die Einführung einer Zwangsimpfung. Den meisten der etwa 4.000 friedlichen Teilnehmer ging es dabei nicht um eine grundsätzliche Entscheidung gegen das Impfen, sondern darum, dass Impfen eine freiwillige Entscheidung bleiben solle.

Auch der Verein „Ärzte für individuelle Impfentscheidung“ hält das Masernschutzgesetz für nicht erforderlich und bezweifelt, dass eine Impfpflicht zu einer höheren Durchimpfungsrate führt. Der Gesetzentwurf sei blinder Aktionismus, der die Faktenlage völlig verkennt und ignoriert. Eine solche Impfpflicht gehe an den Ursachen der gegenwärtigen Masernausbrüche vorbei, sei unverhältnismäßig und überdies verfassungswidrig.

Die Impfquote von 97 Prozent für die erste Masern-Impfung bei Kindern ist aus Sicht des Ärztegremiums ein klarer Beleg für die Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder gegen Masern impfen zu lassen. Es fehle daher allenfalls an einer Erinnerung zu Beginn der Schulzeit bzw. spätestens in der Pubertät, im Rahmen einer entsprechenden ärztlichen Beratung die zweite Masern-Impfung geben zu lassen. Diese im Gesetzentwurf als „entscheidend“ bezeichnete Masern-Impfung werde in ihrer Bedeutung jedoch überschätzt.

Bessere Beratung nötig

Der Schlüssel zu noch besseren Impfquoten liege auch nach Ansicht zahlreicher Fachleute in der konsequenten und besseren Impfberatung, nicht in staatlichen Zwangsmaßnahmen, betonen die Ärzte. Offizielle Zahlen des in Deutschland für diese Fragen zuständigen Robert Koch-Instituts belegten: In keinem Bundesland kam es in den letzten Jahren zum vielbeschworenen „ständigen Anstieg der Masernzahlen“.

In allen Bundesländern steigen die Durchimpfungsraten für die erste (MCV 1) seit Jahren kontinuierlich an - für immer mehr Eltern ist es eine freiwillige Selbstverständlichkeit, ihre Kinder gegen Masern impfen zu lassen (Kleinere Schwankungen sind bei der Art der Erhebung zu erwarten).

Leichte Schwankungen bei der Durchimpfungsrate für die ohnehin überschätzte, zweite Masernimpfung sind also keinesfalls Ausdruck von Impfverweigerung oder -müdigkeit - sie sind (wenn man die Notwendigkeit einer MCV 2 annimmt) eine Herausforderung für Aufklärung und sorgfältige kinderärztliche Begleitung der Kinder durch das Kindesalter.

In allen Bundesländern sind die Masern seit Jahren vor allem eine Erkrankung älterer Jugendlicher und Erwachsener, die durch keine realistische Impfpflicht erreicht würden. Die durch die aktuell diskutierte Koppelung „KiTa- Impfung“ erfasste Altersgruppe der unter Fünfjährigen spielt in allen Bundesländern eine völlig untergeordnete Rolle bei den Masern.

Auch der Deutsche Ethikrat betrachtet eine allgemeine staatliche Impfpflicht für alle Erwachsenen oder Kinder als „nicht gerechtfertigt“. Stattdessen empfiehlt das Gremium eine Impfpflicht nur für bestimmte Berufsgruppen, etwa im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich - wie etwa Lehrer, Erzieher, Ärzte und Pflegekräfte. Seine Haltung gegen eine Masern-Impfpflicht begründete der Ethikrat unter anderem mit den schon jetzt sehr hohen Impfquoten bei Kleinkindern und Schulkindern.

DK

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