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(GZ-24-2017)
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► 25 Jahre Europabüro der bayerischen Kommunen:

 

Vom Brexit bis zur regionalen Förderung


Europäische Politik ist in den bayerischen Kommunen längst angekommen

Europabüro der Bayern

Von links: Prof. Dr. jur. Peter M. Huber, Minister a. D., Richter des Bundesverfassungsgerichts, Staatsministerin für Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen, Dr. Beate Merk, Landrat Christian Bernreiter, Deggendorf, Präsident des Bayerischen Landkreistags, Christiane Thömmes, Leiterin Europabüro der bayerischen Kommunen, Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament, Günther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal, Dr. Kurt Gribl, Oberbürgermeister der Stadt Augsburg und Vorsitzender des Bayerischen Städtetags, Bezirketagspräsident Josef Mederer, Erster Bürgermeister Josef Mend, Erster Vizepräsident Bayerischer Gemeindetag, beim 25-jährigen Jubiläum des Europabüros der bayerischen Kommunen in Brüssel. r

Seit 1. September 1992 sprechen die vier bayerischen kommunalen Spitzenverbände und der Bayerische Kommunale Prüfungsverband in Brüssel mit einer Stimme. Gemeinsam mit hochrangiger Prominenz der Brüsseler Szene wie dem Vizepräsidenten der EU-Kommission Valdis Dombrovskis, EU-Kommissar Günther Oettinger, dem Vorsitzenden der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber, dem Generalsekretär des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR), Jiří Buriánek, Prof. Dr. Peter M. Huber, Richter des Bundesverfassungsgerichts, Staatsministerin Dr. Beate Merk und Georg J. Huber, Leiter der Brüsseler Repräsentanz des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, wurde nunmehr dieses Jubiläum gefeiert.

„Unsere Präsidenten haben vor 25 Jahren schon erkannt, dass Europa nicht nur ein politischer Nebenschauplatz werden würde. Seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor 60 Jahren und vor allem auch seit der Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages 1992 hat sich unser Kontinent beispiellos verändert. Unsere Generation und unsere Kinder kennen zum Glück nur den Frieden. Das freizügige Reisen ist für uns völlig „normal“ geworden. Man kann heute arbeiten und studieren, wo man will. Europa ist eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt. Auf dem internationalen Parkett kommt kein Land an uns vorbei. Auch wenn es immer wieder schwierige Momente gab: Die europäische Integration ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte“, so Landrat Christian Berneiter (Deggendorf), Präsident des Bayerischen Landkreistags. Nachdem der Bayerische Landkreistag in diesem Jahr den Vorsitz des Europabüros innehat, hielt er im Namen aller Kommunalen Spitzenverbände die Rede beim Festakt in der Vertretung des Freistaats Bayern bei der EU.

Feier in der Bayerischen Vertretung

Der Freistaat Bayern hat den Kommunen nicht nur ermöglicht, seine Räume für die Feierlichkeiten zu nutzen, sondern arbeitet auch im Alltag auf der fachlichen Ebene eng mit dem Europabüro zusammen. 1999 haben die Kommunalen Spitzenverbände Baden-Württembergs und Sachsens sich entschlossen, ebenfalls Vertretungen zu etablieren und eine Bürogemeinschaft mit dem bayerischen Europabüro zu gründen. Dies ist bislang einzigartig. Es gibt keine weitere Vertretung deutscher kommunaler Spitzenverbände auf Landesebene in Brüssel.

Unersetzlicher Seismograph

„Ob der Bundestag agiert, der Landtag etwas beschließt oder wir Kommunen handeln – in irgendeiner Form ist das europäische Recht immer berührt. Unser Europabüro ist deswegen ein unersetzlicher Seismograph für uns. Er schlägt bei jeder noch so kleinen Bewegung im kommunalen Bereich auf europäischer Ebene sofort aus. Gleichzeitig sorgt er aber auch dafür, dass die Belange der Kommunen auf allen wichtigen Ebenen der EU-Organe – vom Ausschuss der Regionen über das Parlament bis zur Kommission – rechtzeitig platziert werden“, so Bernreiter.

Wichtige Fördertöpfe

Wie wichtig Europa für die bayerischen Kommunen heute ist, zeigt sich insbesondere im Bereich der Förderpolitik. Nach der Wirtschaftskrise hatte auch Deutschland in erheblichem Maße von Geldern aus Brüssel profitiert, um wieder auf die Beine zu kommen. Auch heute fließt der überwiegende Teil des EU-Haushaltes (94 Prozent) nicht in die Verwaltung, sondern in die verschiedensten Fördertöpfe – vom Hochwasserschutz über neue Radwege bis hin zu neuen (ESF-geförderten) Schulklassen.

Brexit schmälert EU-Kassen

So wie in der Bundesrepublik beim Länderfinanzausgleich, gibt es in der EU sogenannte Zahler- und Empfängerländer. Neben Deutschland (mit 13. Mrd. Euro) als größtem Netto-Zahler in der EU, gehört Großbritannien dabei zu den Ländern, die immer mehr bezahlt als empfangen haben. Durch den Brexit wird deswegen am Ende weniger Geld im Gesamttopf sein. Eine Möglichkeit dem entgegenzutreten, wäre ein Abkommen ähnlich jenem mit den sogenannten EFTA-Staaten. Diese zahlen in den Topf ein, damit sie auf den Binnenmarkt kommen. Da die Briten genau dies aber nicht wollten, wird die Brexit wahrscheinlich auch in den bayerischen Kommunen zu spüren sein.

Sparen bei den Kommunen

Die EU ist derzeit dabei zu überlegen, wo man sparen kann. Betroffen könnten die Städtepartnerschaften im Kulturbereich sein, aber auch die Landkreise über LEADER. Über LEADER wurde der ländliche Raum in den letzten Jahren gut gefördert (im Förderzeitraum 2014 bis 2020 ca. 111 Mio. Euro für Bayern). Zwar kann man heute noch nicht genau abschätzen, wie hart der Brexit die bayerischen Landkreise treffen wird. Alle politischen Kräfte müssen sich aber gemeinsam mobilisieren, um den Schaden für den ländlichen Raum zu minimieren.

Auch Ansätze zukünftig nur noch bestimmte Bereiche zu fördern, lehnen die bayerischen Kommunen ab. Die Europäische Kommission denkt derzeit unter anderem darüber nach, nur solche Projekte zu fördern, die einen besonderen europäischen Mehrwert haben. Wie dieser Mehrwert durch die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Europäischen Rat genau definiert sein soll, ist noch offen.

Obwohl die Europäische Union einen entscheidenden Einfluss auf das Leben der Menschen in den bayerischen Landkreisen nimmt, wird sie bei vielen noch nicht ausreichend als entscheidende Komponentewahrgenommen. Ob es aber um die Einheimischen-Modelle beim Bauen geht oder den Öffentlichen Personennahverkehr – sie spricht immer mit.

Kommunale Selbstverwaltung ein hohes Gut

Und die Kommunen halten dagegen. So konnte beispielsweise durch eine Ausnahme von der sogenannten Konzessionsrichtlinie gesichert werden, dass die Wasserversorgung in öffentlicher Hand bleibt und durch eine Liberalisierung der Ausschreibung nicht von finanziellen Interessen bestimmt wird. „Nicht alle örtlichen Fragen müssen durch die EU geregelt werden, denn die Gemeinden mit ihrem Selbstverwaltungsrecht wissen am besten, was vor Ort getan werden muss. Entsprechend fordern wir Kommunen auch mehr Subsidiarität, Föderalismus und Beteiligung der lokalen Ebene sowie Effizienz und Verhältnismäßigkeit in unserer Positionierung“, so Christian Bernreiter.

Für viele unserer Bürger ist die Europäische Union, wenn es über das freie Reisen und Arbeiten hinausgeht, zu abstrakt und zu komplex. „Politik soll aber nicht verunsichern, sondern Dinge greifbar und praxistauglich machen. Wir fordern schon lange, dass die Förderbestimmungen und -verfahren einfacher werden müssen!“, so Bernreiter.

Diskussionsprozess zur Zukunft Europas

Mit den Erklärungen des Europäischen Rates von Bratislava und Rom sowie mit dem Weißbuch der Kommission, aber auch durch die Rede von EU-Kommissionspräsident Juncker, wurde ein umfassender Diskussionsprozess zur Zukunft Europas eingeläutet. „Bis zu den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament in 2019 gibt es ein Zeitfenster, in dem wir alle – ob kleine oder große Kommunen – gefordert sind, uns zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort Gedanken zu machen, wie eine Vision unseres gemeinsamen Europas aussieht und was wir tun können, damit das europäische Einigungswerk nicht in Existenzgefahr kommt.“

Mit der ‚Pulse of Europe‘-Bewegung haben die Menschen gezeigt, wie wichtig ihnen Europa ist. „Wir brauchen eine bessere EU, die die Menschen vor Ort mitnimmt und sie überzeugt. Als Kommunalpolitiker ist es unsere ureigene Verpflichtung, für ein Fortkommen unserer Bürger einzutreten. Und das bedeutet auch, sich nicht nur in München oder Berlin aktiv zu beteiligen, sondern auch in Brüssel“ forderte Bernreiter.

Eine Zahl aus dem Weißbuch hat ihn besonders beeindruckt: Im Jahr 1900 lebte rund ein Viertel der Weltbevölkerung in Europa, 2060 werden es weniger als 5 % sein. Keiner der europäischen Mitgliedstaaten wird dann noch einen Anteil von mehr als 1 % der Weltbevölkerung ausmachen. Und auch der wirtschaftliche Einfluss Europas geht zurück, da andere große Volkswirtschaften wie China und Indien rasant wachsen.

Mit einer Stimme sprechen

Es wird also für Europa immer wichtiger, mit einer Stimme zu sprechen und ein kollektives Gewicht in die Waagschale zu werfen.

„Viele Themen, die uns bewegen, können wirksam nur noch gemeinschaftlich geregelt werden. Das betrifft insbesondere Fragen der Sicherheit, Migration, Schutz der Außengrenzen und des Klimas. Hier müssen wir einen Weg finden, gemeinsam zu schnelleren und praktikablen Ergebnissen auf europäischer Ebene zu kommen. Die kommunale Ebene ist bereit, hierzu einen Beitrag zu leisten, denn Europa fängt in den Kommunen an“, so Christian Bernreiter zu seiner Einschätzung europäischer Politik. 

RED

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