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(GZ-18-2017)
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► Digitalisierung:
 
Neue Plattformen für Beteiligung und Demokratie?
 

18 2017 hss

Die Veranstalter Prof. Holger Magel, Silke Franke und Prof. Ursula Männle mit den Rednern Franz Josef Pschierer und Markus Blume. 
Bild: Thomas Reiner, HSS

Kolloquium von Bayerischer Akademie Ländlicher Raum und Hanns-Seidel-Stiftung

Wie verändert sich die digitale Gesellschaft? Lassen sich Menschen im digitalen Raum wirklich zu (politischer) Teilhabe gewinnen? Welchen Plan verfolgt die Bayerische Staatsregierung im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung? Mit Fragen wie diesen  befasste sich unter anderem ein gemeinsames Kolloquium der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und der Hanns Seidel Stiftung in München.

„Wenn die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit immer mehr niedergerissen werden, muss meines Erachtens noch viel mehr und zwar offen, kritisch-konstruktiv darüber geredet werden!“, unterstrich Akademie-Präsident Prof. Holger Magel in seiner Einführung. Ob die Digitalisierung zu höherer Lebensqualität beiträgt wie das Ifo Institut für Wirtschaftsforschung verheißt oder gar zu gleichwertigen Lebensbedingungen, bleibe abzuwarten, erklärte Magel und ergänzte: „Es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn eine alle digitalen Möglichkeiten verantwortungsvoll nutzende Aktive Bürgergesellschaft im Sinne der von Alois Glück angemahnten Neuen Verantwortungsgemeinschaft von Staat, Wirtschaft und Bürgern künftig noch selbstbestimmter, demokratischer und wertebewusster ihre Lebensräume entwickeln kann.“

„One opinion, x votes“

Früher, so machte Wirtschaftsstaatssekretär Franz Josef Pschierer deutlich, beschränkte sich die Teilhabe am politischen Prozess darauf, alle paar Jahre Kreuze auf einem Wahlzettel zu machen, in eine Partei einzutreten oder einen Leserbrief schreiben und gespannt zu warten, ob er denn auch abgedruckt wird. All dies sei auch heute noch wichtig und richtig, doch das Internet biete nun weitaus vielfältigere Möglichkeiten, seine Meinung jederzeit und von überall aus kund zu tun, ob über E-Petitionen, Kommentarspalten oder Blogs. Pschierer: „Der Zugang zur Politik ist niederschwelliger geworden“. Eigentlich ein gutes Zeichen für Demokratie.

Gekaufte Likes und Follower

Doch während beim Wählen das Prinzip „one man, one vote“ gilt, heiße es im Internet „one opinion, x votes“. Der Staatssekretär verwies auf die Gefahr, dass die per Likes und Follower präsentierten Bewertungen auch gekauft oder künstlich erzeugt sein könnten. Die „Social Bots“, also Roboter, die eingesetzt werden, um Nachrichten zu verbreiten und politische Trends damit zu manipulieren, würden inzwischen so programmiert, dass sie das menschliche Verhalten immer besser simulieren. Da es schwierig sei, zu erkennen, welchen Wahrheitsgehalt Meldungen haben, könnte damit auch das Vertrauen in die legitime politische Kommunikation im digitalen Raum erodieren, warnte Pschierer. Hier müsse sich die Debattenkultur verbessern: „Wir werden diese technologischen Möglichkeiten nicht verbieten können. Aber wir müssen einen Weg finden, damit umzugehen.“

Gleiche Rechtsgrundsätze

Das Recht auf freie Meinungsäußerung gehört Pschierer zufolge zu den „elementaren Eckpfeilern unserer demokratischen Werteordnung“. In der Internet-Welt müssten daher dieselben Rechtsgrundsätze gelten wie in der realen Welt. Darüber hinaus braucht es seiner Ansicht nach auch mehr „gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit, um aus Medienkompetenz digitale Mündigkeit werden zu lassen“.

Ein mündiger Bürger müsse im digitalen Zeitalter mehr können, als nur Wissen aufzufinden und zu sortieren. Er müsse die Kompetenz erhalten, diese zu durchdringen, zu überprüfen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. „Das ist Grundvoraussetzung dafür, um die enormen Möglichkeiten der Digitalisierung zur Stärkung der Demokratie auch zu nutzen“, so der Staatssekretär.

„Wir wollen uns seitens der Staatsregierung nicht allein auf die Meinungsbildung im Internet verlassen. Wir machen beides: Wir suchen den realen Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürger und binden sie auch online ein“, fuhr der Staatssekretär fort. Bestes Beispiel für den klugen Mix aus Online- und Offline-Kommunikation sei das geplante Bürgergutachten „2030. Bayern, Deine Zukunft“. „Wir nutzen dazu das Jubiläumsjahr 2018 – in dem wir 100 Jahre Freistaat Bayern feiern – um die Menschen zu fragen, wie sie sich das künftige Zusammenleben in Bayern vorstellen“, machte Pschierer deutlich.

Bürgergipfel

Im Frühjahr 2018 soll das Bürgergutachten auf einem Bürgergipfel in München fertiggestellt werden. Teilnehmer der regionalen Konferenzen und ausgewählte Teilnehmer der digitalen Phase werden beschließen, welche online eingebrachten Empfehlungen in das Gutachten aufgenommen werden sollen. Das fertige Gutachten wird anschließend Minis-terpräsident Horst Seehofer überreicht.

Zahlen zur aktuellen Mediennutzung lieferte Dr. Christian Nuernbergk vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU München. Demnach ist die Rezeption politischer Information bislang eher begrenzt – nur 7.4 Prozent kommentieren entsprechende Meldungen. Es gibt nur wenig Interaktionsketten.

Markus Blume, Vorsitzender der CSU-Grundsatzkommission und stellvertretender CSU-Generalsekretär, sieht die Politik in der Pflicht sicherzustellen, „dass aus den digitalen Disruptionen keine politischen Disruptionen werden“. Die Digitalisierung sei nicht per se gut oder schlecht, müsse aber gestaltet werden. Aufklärung, Befähigung und die Debatte um eine digitale Ethik sind für Blume ebenso unerlässlich wie eine digitale Ordnung, die Chancen nutzt, aber auch Grenzen setzt.

Wie verändert die Digitalisierung die Gesellschaft? Mit dieser Frage setzte sich der bekannte Astrophysiker und Naturphilosoph Prof. Dr. Harald Lesch auseinander. „Digitalisierung ist nicht per se gut oder schlecht“, so Lesch, aber man müsse sich vor Augen führen, dass das System Internet andere Ziele verfolge als die Nutzer. Es gelte, Vorsicht walten zu lassen und eine Antwort auf die täglich unzähligen Cyber-Angriffe bereitzuhalten. Infrastrukturelle Einrichtungen wie zum Beispiel die Stromversorgung seien durch eine zunehmende Vernetzung und Digitalisierung hoch gefährdet.

Dr. Franz Dirnberger, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Bayerischen Gemeindetags, kann sich gut vorstellen, dass die Digitalisierung eine gewisse Teilhabe am kommunalen Leben ermöglicht. Bürger könnten Rathaussitzungen via live-stream verfolgen, egal wo sie gerade sind. Andererseits könne das (vor)schnelle Posten von Nachrichten auch fragwürdig sein, wenn es zu einer „Twitterisierung der Politik“ oder zu einem „Informations-Tsunami“ ausartet. Für Dirnberger wäre es wichtig, Kindern und Jugendlichen bereits in der Schule beizubringen, was Demokratie bedeutet und wie eine Gemeinde funktioniert.

Projekt „Digitales Dorf“

Mit dem Projekt „Digitales Dorf“ will die Bayerische Staatsregierung die Digitalisierung im ländlichen Raum fördern. Mit der Steinwald-Allianz und dem Verbund Spiegelau-Frauenau wurden zwei Regionen mit insgesamt 18 Gemeinden ausgewählt, die im sogenannten Raum mit besonderem Handlungsbedarf liegen und die über die Integrierte Ländliche Entwicklung (ILE) bereits über eine Organisationsstruktur verfügen. Ziel ist nun, die Potentiale der Digitalisierung in handgreifliche Projekte umzusetzen. Denkbare Themenfelder sind z.B. Schule und Bildung, Pflege und Telemedizin, Coworking und Nachbarschaftshilfe, Rufbusse und Lieferservices sowie das digitale Rathaus.

Die Idee der mobilen Nahversorgung präsentierte Erbendorfs Bürgermeister Hans Donko, Vorsitzender der Steinwald-Allianz. Der Verbund entwickelt derzeit gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut eine digitale Plattform, die Verbraucher, Direktvermarkter, ein Verkaufsfahrzeug und einen Dorfladen miteinander vernetzt. „Ein rollendes Verkaufsfahrzeug ist nur eines von vielen Beispielen, wie der ländliche Raum dem dramatischen Rückgang vor allem kleiner Nahversorgungseinrichtungen entgegen wirken kann und wir hoffen, dass unser Modellvorhaben von der Bevölkerung angenommen wird und finanziell tragfähig ist“, betonte Donko. Aktuell arbeite man an einem Betreiber- und Geschäftsmodell und frage die Bürger bei Veranstaltungen in den Gemeinden konkret um ihre Meinung und Ideen.

Neue Beteiligungsformate

Weitere vorgestellte Beispiele befassten sich mit neuen Beteiligungsformaten, insbesondere digitalen Nachbarschaftsplattformen, digitalen Unternehmensnetzwerken und einer App, die Interessierte in einer Art Schnitzeljagd durch eine Gemeinde führt und das kulturelle Erbe der Region erlebbar macht.

QR-Tour beispielsweise ist eine neue Art von App – eine Wanderung kombiniert mit einem innovativen multimedialen Erlebnis. Konkret bietet die QR-Tour App Besuchern aller Altersgruppen kostenlos eine zeitgemäße Form der Schnitzeljagd, um Geschichte, Geschichten und Menschen in Bad Berneck und Goldkronach zu entdecken. Erstellt hat dieses neue, innovative Tourismus-Projekt ein Team aus Künstlern, Autoren und Programmierern.

Der Verein Künstlerkolonie Fichtelgebirge wiederum ist nach den Worten von Sabine Gollner, Gründerin und Vorsitzende der KÜKO, eine Plattform für Kreativschaffende, die seit mehreren Jahren das Ziel verfolgt, die Innenentwicklung in Verbindung mit einer kreativwirtschaftlichen Entwicklung in der Region voranzubringen.

KüKo schaffe Verständnis da-für, dass die wachsende kreative Branche auch auf dem Land zuhause sein und wichtige Impulse für regionale Entwicklung geben kann. Sowohl vorhandene Initiativen als auch neue potenzielle Nutzer und Nutzergemeinschaften, die den genannten Zielen Rechnung tragen, könnten das Projekt unterstützen. Geplant sei eine Kooperation z. B. mit dem Leerstandsmanagementprojekt Frei.Raum.Leben Fichtelgebirge.

Laut Gollner ist die öffentliche Hand aufgefordert, mehr Modellprojekte – in ausgewiesenen Land- und Stadtentwicklungszonen – in Auftrag zu geben, um Orte zu stimulieren und um gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Kreativbranche in der  Region zu erhöhen.

DK

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