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(GZ-9-2023)
Gastbeiträge

► Weltweit erstes Experimentierfeld zur Friedhofsentwicklung:

 

Eröffnung Vivorum Campus

 

Ein Beitrag von Tobias Blaurock, Initiative Raum für Trauer

In den letzten Jahrzehnten wurden pflegefreie Grabformen zunehmend nachgefragt. Rasenplattengräber, Kolumbarien und Gemeinschaftsanlagen, Beisetzungswälder und anonyme Beisetzungsformen liegen im Trend. Die eigentliche Funktion des Grabes als Trauerort für Hinterbliebene kommt dabei zu kurz – für die Trauerverarbeitung wichtige Rituale sind heute oft per Satzung verboten. Wo Trauernde ihrer Sehnsucht nicht mehr Ausdruck geben können, finden sie keinen Trost mehr, werden Beisetzungsorte zu trostlosen Orten. Das führt vielerorts zur Suche nach Alternativen – die in dieser Hinsicht aber keine Lösung bieten.

Neue Perspektiven für die Friedhofsentwicklung von Kommunen und alle am Friedhof Tätigen gefordert. Bild: Initiative „Raum für Trauer“
Neue Perspektiven für die Friedhofsentwicklung von Kommunen und alle am Friedhof Tätigen gefordert. Bild: Initiative „Raum für Trauer“

Wissenschaftliche Studien aus Psychologie und Trendforschung bestätigen die Notwendigkeit einer Umkehr. Die Initiative „Raum für Trauer“ machte diese Erkenntnis zum Schlüssel für die Entwicklung erfolgreicher Friedhofskonzepte: Auch pflegefreie Grabformen sollen demnach künftig so gestaltet bzw. ausgewählt werden, dass Handlungsfreiheit für Hinterbliebene besteht. Individuelle Trauerrituale, wie das Ablegen persönlicher Grüße, Blumen oder Gegenstände, sollen direkt am Grab möglich und erlaubt sein. Mit dem Vivorum Campus in Süßen will sie erlebbar machen, dass und wie gut das geht.

Rituale geben Sicherheit

Ideeller Träger der Initiative ist die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (Kassel). Ihr Geschäftsführer Dr. Dirk Pörschmann weiß: „In Lebenskrisen geben Rituale Sicherheit. Nur wenn wir verstanden werden und unserer Sehnsucht Ausdruck geben dürfen, finden wir Trost.“ Viele Hinterbliebene verarbeiten ihre Trauer am besten durch individuelle Handlungen direkt am Grab.

Pöschmann führt weiter aus: „Mit dieser Nähe und Handlungsfreiheit am Grab können Trauernde ihre Beziehung zum Verstorbenen allmählich von einer lebendigen Beziehung zu einer inneren Beziehung wandeln – sie finden Trost.“ Wo das verboten sei, geschehe es, so Pörschmann, meist trotzdem – „und dabei entstehen oft Konflikte, die der Trauerverarbeitung sogar entgegenstehen.“

Auf dem Süßener Friedhof „Stiegelwiesen“ wurden in kommunaler Regie bereits vor Jahren zwei Grabanlagen nach den neuen Erkenntnissen gestaltet. Sie sind längst ausgebucht, eine Erweiterung ist im Bau. Mit einem ca. 6.000 Quadratmeter großen Experimentierfeld zur Friedhofsentwicklung, dem Vivorum Campus, will die Initiative nun Friedhofsträger und -verwalter zur Entwicklung von Grabformen anregen, die die Trauerverarbeitung unterstützen. Der Vivorum Campus soll anhand von Beispielen zeigen, wie leicht sich Pflegefreiheit und persönliche Handlungsmöglichkeit bei Gräbern verbinden lassen. Mit Zonen für Begegnung und Kontemplation wird er weitere für Trauernde wichtige Bereiche enthalten. Für die Planung unter aktiver Einbindung der Verbände der am Friedhof beteiligten Berufe konnte das renommierte Büro für Landschaftsarchitektur Karres en Brands, Hilversum, gewonnen werden.

Der Friedhof hat eine soziale Fürsorgeverantwortung

„Mit dem Vivorum Campus wollen wir vermitteln, wie leicht der örtliche Friedhof innerhalb der Kommunalstruktur als stark wirksames Element der sozialen Fürsorgeverantwortung aktiviert werden kann.

Aufgrund seiner Bedeutung für das gesellschaftliche Wohlergehen muss auch seine Finanzierung zu einer öffentlichen Aufgabe werden.“ schließt Günter Czasny, Gründer der Initiative „Raum für Trauer“. Die Eröffnung findet am 29. Juni 2023 statt.

Hintergrund

Die Initiative „Raum für Trauer“ (www.raum-fuer-trauer.de) stützt sich auf Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Arbeiten zu den Themen Trauer, Trauerverarbeitung und Trost. Diese sind u.a. in dem Buch „Raum für Trauer“ zusammengefasst. Es ist, ebenso wie die „Acht Thesen zur Trauerkultur im Zeitalter der Individualität“ von Matthias Horx, über www.raum-fuer-trauer.de zu beziehen. Die Initiative wurde ins Leben gerufen von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. in Kooperation mit Institutionen, Gewerken, Vereinen und Verbänden der Trauer-, Bestattungs- und Friedhofskultur. Das Familienunternehmen Strassacker, das sich als Kunstgießerei schon seit über 100 Jahren intensiv mit der Trauer- und Erinnerungskultur beschäftigt, hat mit unterschiedlichen Aktionen und Maßnahmen wie auch Forschungsprojekten mit dazu beigetragen, die Initiative zu entwickeln und zu realisieren. Zu den Projekten der Initiative zählt auch die Online-Plattform www.trauer-now.de bzw. @trauernow auf Facebook, Instagram und Twitter.

Tobias Blaurock, Initiative Raum für Trauer

 

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