(GZ-8-2024 - 18. April) |
► Die Situation ist dramatisch: |
Wohnungsbau im freien Fall |
Verbändebündnis fordert beim Wohnungsbau-Tag in Berlin „Ad-hoc-Förderung des Staates“ |
Der Wohnungsbau steckt tief in der Krise. Aktuell fehlten bereits mehr als 800.000 Wohnungen, hoben Vertreter der Baubranche beim Wohnungsbau-Tag in Berlin hervor. Düster ist auch die Prognose zweier aktueller Studien, die auf dem Branchen-Gipfel vorgestellt wurden: Das Wegbrechen des Wohnungsneubaus werde der Volkswirtschaft in diesem Jahr Milliarden-Verluste und dem Staat erhebliche Rückgänge bei den Steuereinnahmen bescheren. Dies sei sozialer Sprengstoff und lasse politische Unzufriedenheit wachsen.
Organisiert wurde die Veranstaltung vom Bündnis Wohnungsbau, in dem sich Verbände der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft mit dem Mieterbund, der IG Bau sowie mit der Mauerstein-Industrie und dem Baustoff-Fachhandel zusammengeschlossen haben. Aus deren Sicht hält aber vor allem fehlender Wohnraum auch dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland zunehmend davon ab, nach Deutschland zu kommen. Dies sei eine fatale Entwicklung.
Verbändebündnis plädiert für sofortige Sonderförderung
Vor diesem Hintergrund fordert das Verbändebündnis die Bundes- und Landespolitik zu einer sofortigen Sonderförderung des Wohnungsneubaus auf. Konkret würden jährlich 23 Milliarden Euro an Subventionen benötigt: 15 Milliarden Euro für 100.000 neue Sozialwohnungen und zusätzlich 8 Milliarden Euro für den Neubau von 60.000 bezahlbaren Wohnungen. Dies geht aus Berechnungen von Wissenschaftlern des Bauforschungsinstituts ARGE (Kiel) in ihrer Studie zum Wohnungsbau-Tag hervor. Es sei dringend notwendig, dieses Geld als „Ad-hoc-Förderung des Staates für den Wohnungsneubau“ bereitzustellen. Außerdem müsse deutlich einfacher gebaut werden. Keine überzogenen Standards und deutlich mehr Förderung – nur so schaffe Deutschland den Weg aus der Wohnungsbau-Krise.
Zu viele Vorschriften
Bauministerin Klara Geywitz lehnte dies umgehend ab: Mit einer Dauersubvention in allen Bereichen werde es nicht gehen, erklärte die Politikerin. Stattdessen brauche es einen Markt, „wo es sich trägt, in den frei finanzierten Wohnungsbau zu investieren“. Deshalb setze die Bundesregierung vor allem auf eine Absenkung der Baustandards. Viele Vorschriften seien nicht nötig, um ein gutes und sicheres Haus zu bauen. Für das schleppende Tempo beim Bürokratieabbau verwies die SPD-Ministerin auf das in vielen Fällen zuständige Justizministerium von Marco Buschmann.
Höhere Zinsen würgen Bauprojekte ab
Nach den Worten von Wirtschaftsminister Robert Habeck ist die dramatisch schlechte Lage am Bau zwar Realität, „die politische Hintergrundmusik“ sei aber, „dass das im Grunde so geplant war“. Die Europäische Zentralbank (EZB) habe im Kampf gegen die Inflation die Zinsen stark erhöht, was zahlreiche Bauprojekte abgewürgt habe. Der Sinn höherer Zinsen sei, dass sich die Wirtschaft abkühlt, erläuterte Habeck, machte aber auch darauf aufmerksam., dass es nun wieder bergauf gehe. Die Inflation sei stark zurückgegangen und auch die Zinsen würden in absehbarer Zeit wieder sinken. „Wir müssen noch ein bisschen durchhalten, und das ist die ehrliche Antwort, die ehrliche Analyse“, stellte der Minister fest. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Ulrich Lange kritisierte dies scharf:
„Durchhalteparolen und Schönrederei müssen endlich enden. Anders als die Regierung behauptet, ist die Talsohle beim Wohnungsbau noch lange nicht durchschritten.“
Erstmals untersuchten Wissenschaftler gezielt und damit isoliert vom restlichen Bausektor die wirtschaftliche Bedeutung des Wohnungsbaus. Das Beratungsunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Econ) ermittelte dabei für die Wohnungsbaubranche eine Bruttowertschöpfung von insgesamt rund 537 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Der Wohnungsbau stecke damit quer durch alle Wirtschaftsbereiche hinter jedem siebten Euro der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Außerdem habe jeder siebte Arbeitsplatz mit dem Wohnungsbau zu tun: Hier sei es im vergangenen Jahr um die Jobs von knapp 6,6 Millionen Menschen gegangen – 2,3 Millionen davon mit einem Arbeitsplatz direkt in der Wohnungsbaubranche. Auch finanzpolitisch hat der Wohnungsbau Gewicht: Hinter ihm steckten im vergangenen Jahr Steuereinnahmen von 141 Milliarden Euro – immerhin 17 Prozent der gesamten Steuereinnahmen in Deutschland.
Wohnungsbau ist Binnenkonjunktur-Motor
Außerdem zieht die Studie einen volkswirtschaftlichen Vergleich zwischen der Automobilbranche als „Zugpferd der deutschen Wirtschaft“ und dem Wohnungsbau. Im Fokus dabei: die Bruttowertschöpfung und die Arbeitsplätze. Das Fazit der Wissenschaftler: Beide Branchen leisten einen ähnlich großen Beitrag zur deutschen Wirtschaft. „Volkswirtschaftlich sind beide – Auto- und Wohnungsbau – auf Augenhöhe. Wobei der Wohnungsbau Binnenkonjunktur-Motor ist:
Er produziert in Deutschland und für die Menschen im Land“, so das Verbändebündnis Wohnungsbau. Jetzt komme es darauf an, dass auch die Politik den „Konjunkturmotor Wohnungsbau“ als starkes Zugpferd für die Wirtschaft wiederentdecke.
Rückläufige Investitionen
Die Branche konfrontierte dazu Spitzenpolitiker auf dem Wohnungsbau-Tag mit der provokanten Frage: „Wann wird Deutschland – neben der Auto-Nation – endlich auch wieder eine Wohn-Nation?“ Die Zeichen dafür stehen aktuell allerdings schlecht: Schon drei Jahre in Folge sind die Gesamtinvestitionen in den Wohnungsbau rückläufig. Doch jetzt erwartet das DIW in diesem Jahr beim Wohnungsbauvolumen sogar einen deutlichen nominalen Rückgang von 5,4 Prozent. Allein für den Staat würde das gegenüber dem Vorjahr ein dickes Minus von fast 5 Milliarden Euro bei den Steuereinnahmen bedeuten. Eine Entwicklung, vor der Wirtschaftswissenschaftler warnen.
DIW-Studienleiter Prof. Martin Gornig sieht im Wohnungsbau sogar eine „Achillesferse der deutschen Wirtschaft“, die deutlich angeschlagen sei: „Der Wohnungsbau ist ein wichtiger Enabler für die Wirtschaft, ein ‚Möglichmacher von Beschäftigung‘. Fachkräfte werden gerade in den Ballungsräumen dringend gebraucht. Sie wollen kommen. Aber sie werden nicht kommen, wenn sie keine Wohnung finden, die sie sich leisten können.“ Dazu das Fazit der Branche auf dem Wohnungsbau-Tag: „Es gibt kein Wachstum der Gesamtwirtschaft ohne Wachstum im Wohnungsbau. Passiert jetzt nichts, dann erlebt Deutschland einen Bumerangeffekt der Wohnungsbau-Krise, der die gesamte Wirtschaft empfindlich treffen wird.“
Wohnungsnot eskaliert
Die Wohnungsnot sei wirtschaftlich, aber auch sozial längst ein „politischer Risikofaktor“. Jeder dritte Mieterhaushalt und damit über 7 Millionen Haushalte bundesweit sind nach Angaben des Bündnisses mit ihren Wohnkosten überlastet: Sie seien gezwungen, mehr als 30 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für das Wohnen auszugeben. Jeder sechste Mieterhaushalt (3,1 Millionen Haushalte) zahle über 40 Prozent allein für die Kaltmiete. Die Hälfte davon müsse sogar 50 Prozent oder mehr vom Einkommen fürs Wohnen aufbringen.
Aktuell leben rund 9,3 Millionen Menschen in Deutschland in überbelegten Wohnungen – und damit 11 Prozent der Bevölkerung. Das geht aus der ARGE-Studie zum Wohnungsbau-Tag hervor. Besonders betroffen seien armutsgefährdete Menschen. Von ihnen lebe mehr als jeder Fünfte auf zu engem Raum. „Durch die Krise im Wohnungsbau eskaliert die Wohnungsnot. Gelingt es nicht, die Krise abzuwenden, folgt den wohnungsbaupolitischen Defiziten ein sozialpolitisches Versagen“, warnt das Bündnis.
„Es ist einfach fatal, dass die Bevölkerung in den relevanten Regionen deutlich schneller wächst als die Anzahl der Wohnungen. Und außerdem ist es – auch schon mit Blick auf die Altersvorsorge – verhängnisvoll, dass sich immer weniger Menschen einen Neubau als Wohneigentum leisten können. Die Folge liegt auf der Hand: Wer sich früher seine eigenen vier Wände anschaffen konnte, drängt heute auf den ohnehin überstrapazierten Mietwohnungsmarkt“, erläuterte ARGE-Studienleiter Prof. Dietmar Walberg.
Kostentreiber auf dem Prüfstand
Neben einer deutlich höheren Förderung für den Wohnungsneubau rief er vor allem auch dazu auf, dass „alle und allen voran der Staat kräftig an den Stellschrauben bei den baulichen Standards drehen“. Zahlreiche Normen, Vorgaben und Auflagen seien „schlichtweg überzogen“, betonte Walberg. Alles, was die Kosten beim Neubau unnötig nach oben treibe, gehöre auf den Prüfstand. „Vieles wird mit High-End-Standards gebaut, weil es sonst keine Förderung gibt, anderes, weil es ökologisch oder mit Blick auf den Wohnkomfort vermeintlich ein Optimum bietet. Hier brauchen wir ein neues Augenmaß für das, was wirklich Sinn macht und auch noch bezahlbar ist“, machte der Institutsleiter deutlich.
Seit 2000 hätten sich die Baukosten im Wohnungsbau pro Quadratmeter um ein 2,5-Faches höher. Preistreiber sei dabei vor allem die Technik in den Gebäuden – von der Heizung über die Lüftung bis zur Sanitär- und Elektrotechnik. Einen enormen Preis-Push habe der Wohnungsbau seit 2020 erlebt: Seitdem gab es einen Anstieg der Baukosten von mehr als 42 Prozent, erklärten die Wissenschaftler der ARGE.
„Unsere Unternehmen sind unter den aktuellen Rahmenbedingungen gezwungen, den Neubau einzustellen, denn er ist nicht mehr bezahlbar – weder für die Bauherren noch für die künftigen Mieter“, stellte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, fest.
„Während der Neubau massiv einbricht, bleibt die Wohnungsnachfrage vor allem mit Blick auf die starke Zuwanderung auf einem hohen Niveau. Die dramatische Lage auf den Wohnungsmärkten wird sich in den kommenden Jahren also weiter zuspitzen.“
Ruf nach Zinsprogramm
Ein wirksames Maßnahmenpaket statt Stückwerk von zu zaghaften Lösungen sei deshalb dringend notwendig, so Gedaschko. „Um der anhaltenden Krise im Wohnungsbau endlich entgegenzuwirken, brauchen wir an erster Stelle ein breit angelegtes Zinsprogramm für den bezahlbaren Wohnungsbau. Ein Zinssatz von einem Prozent könnte die Bautätigkeit enorm ankurbeln. Die daraus entstehenden Steuereinnahmen für den Staat gleichen die Kosten der Zinssubvention wiederum aus. In Kombination mit der günstigeren seriellen und modularen Bauweise können Wohnungsunternehmen dann auch bezahlbare Mieten von 12 Euro pro Quadratmeter garantieren – statt der derzeit notwendigen mindestens 18 Euro pro Quadratmeter, die sich kaum jemand noch leisten kann.“
DK
Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!