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(GZ-21-2022)
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► In Sachen Blackout-Vermeidung (hoffentlich) alles Roger:

 

Dachauer Doppelhirn gegen Strominfarkt

In Dachau bei München arbeitet stromnetztechnisch gesehen das süddeutsch-bayerische Doppelhirn von Tennet und Bayernwerk. Im 24/7-Mehrschichtbetrieb sorgen die Mitarbeitenden von Tennet und Bayernwerk dafür, dass mit Hilfe hochsensibler Technik der benötigte Strom jederzeit und in erwarteter Qualität zur Verfügung steht, unabhängig von Wetter, Jahreszeit, politischen Verwerfungen, Cyber-Angriffen, Stromerzeugungsschwankungen und geplanten oder ungeplanten Kraftwerksausfällen.

Optisch unscheinbar, dennoch bestmöglich als systemrelevante, kritische Infrastruktur mit Panzerglas, Stacheldraht und Hightech gesichert (deshalb Fotografieren Verboten) residiert die integrierte Netzsteuerungszentrale von Tennet und Bayernwerk auf zwei Ebenen am netztechnischen Traditionsstandort in Dachau.

Schon der ehemalige regionale Energieversorger Isar-Amperwerke hatte dort jahrzehntelang seine Lastverteilung für das regionale Übertragungsnetz.

Heute residiert in Dachau die Schaltleitung für Süddeutschland des deutschen Ablegers des holländischen Staatskonzerns Tennet und die Leitstelle der E.ON-Tochter Bayernwerk. Wie im Newsroom von CNN oder der BBC sitzen die Elektroingenieure auf zwei Ebenen vor den großen, gewölbten Flachbildschirmen und haben laufend alle Netzzustände unter Kontrolle.

Tennet ist als einer der vier exklusiven, deutschen Übertragungsnetzbetreiber verantwortlich für den sicheren Stromfluss auf rund 24.500 System-Kilometern 220.000 / 380.000 Volt Höchstspannungsleitungen und 320.000 / 525.000 Volt HGÜ (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung). Indirekt hängen daran rund 42 Millionen Kunden in den Niederlanden und Deutschland oder rund 13 Millionen Bayern an rund 4.500 Kilometern Höchstspannungsleitungen.

Wie in den Synapsen des Nervensystems werden in Dachau die nationalen Stromversorgungsflüsse mit dem nachgeordneten überregionalen 110.000 Volt Hochspannungsnetz des Bayernwerks gekoppelt, das dann über zwei Spannungsreduzierungsebenen (regionale Mittel- und lokale Niederspannung) die Steckdosen erreicht.

Aber Dachau ist nicht nur Stromnetz-Steuerungszentrale, sondern auch Analyse- und Lagezentrum für die sekundengenaue Stromsituation in Deutschland beziehungsweise Bayern. Für die Stromflüsse in Süddeutschland (Tennet) und den größten Teil Bayerns (Bayernwerk Netz) - ohne Schwaben und Mittelfranken – kontrollieren die beiden Netzbetreiber die Stromein- und ausspeisung in ihren Leitungen. Für die systemrelevante Sicherstellung einer jederzeitigen Stabilität im Stromnetz wird in Dachau auch eine integrierte Systemplanung vorgenommen. Es wird analysiert und gerechnet, Dank Broker-Lizenz für die europäische Strombörse auch bei Netzstabilisierungsbedarf ge- und verkauft. Um einen unerwarteten Stromausfall für die Kunden folgenlos zu gestalten, ist es zentrales Ziel ihrer Arbeit, über die Betriebs- und Infrastruktur-Grundregel n-1 (Normalzustand trotz Ausfall eines Systems) im Bereich von Stromnetzen, Umspannwerken und Kraftwerken die Stromversorgung unbedingt aufrechtzuerhalten.

Angst vor Blackout weitestgehend unbegründet

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch eine weltweit führende Netzverfügbarkeit in Deutschland von knapp 100 Prozent. Tennet und Bayernwerk wollen damit der Öffentlichkeit sagen, dass die Kassandrarufe eines drohenden deutschlandweiten Blackouts wegen Russlandüberfall und (zum Teil hausgemachter) Energiekrise trotz der international bekannten german angst weitestgehend unbegründet sind.

Beide Unternehmen betonen die komplexe, für das öffentliche Leben extrem wichtige Sicherheit des Stromtransportes, weshalb Tennet auf einem kinogeeigneten Großbildschirm die Stromflüsse von und zu den europäischen Nachbarn ständig beobachtet. Das Übertragungsnetz in unserem Land hat kein Alleinstellungsprivileg, sondern ist Teil eines europäischen Ganzen. Für die Netzsteuerung ist es unverzichtbar, rechtzeitig zu erkennen, wo wird wieviel Strom an den Staatsgrenzen importiert und exportiert, wo drohen kurz- aber auch langfristig Stromerzeugungsausfälle, wie stark sind die Übertragungsleitungen belastet, wo muss eingegriffen werden, um das Stromnetz stabil zu halten.

Stabilität der Netzfrequenz

Und stabil halten heißt, dass der Herzschlag des Stromflusses, die Netzfrequenz, ziemlich genau immer bei 50 Hertz liegen muss. Eine Beeinflussung dieser 50 Halbschwingungen pro Sekunde durch zu viel oder zu wenig Stromeinspeisung kann zu Frequenzschwankungen im Netz führen. Darauf reagiert besonders die digitale Welt außerordentlich empfindlich. Elektronische Steuerungen, vor allem aber auch Computer, steigen aus oder schalten sich schlagartig ab mit möglichen horrenden Folgen für Sicherheit, Wirtschaft und das öffentliche Leben.

Frequenzschwankungen zwischen 49,8 und 50,2 Hertz werden automatisch durch Einsatz sogenannter Regelleistung stabilisiert. Das verursacht inzwischen jährliche Gesamtkosten für Netzengpassmanagementmaßnahmen in Milliarden Euro-Höhe, die vor allem die privaten Haushalte über den Strompreis finanzieren dürfen.

Durch entsprechende Steuerungsmaßnahmen soll die Frequenzspanne maximal zwischen 49,99 und 50,01 Hertz gehalten werden. Das wird durch die schwankende Einspeisung großer Stromerzeugungsmengen aus Wind- und Solarkraftwerken bei parallel befürworteter Abschaltung grundlastfähiger Kraftwerksblöcke immer schwieriger.

Richtig ernst wird es, wenn die Netzfrequenz durch zuviel Strom im Netz unter 49 Hertz sinkt. Dann werden automatisch erste Industriekunden abgeschaltet, und bei 47,5 Herz erfolgt die Netztrennung von Kraftwerken. Und wenn es zappenduster wird: Die Folgen werden in den offiziellen Katastrophenszenarien plastisch beschrieben.

Ein wachsender Erfolgsdruck lastet deshalb auch auf den Bayernwerks- Ingenieuren im Dachauer Netz-Cockpit. Sie sollen sicherstellen, die boomende unberechenbare Stromerzeugung aus Solaranlagen störungsfrei im Netz aufzunehmen. Im Netzgebiet des Bayernwerks sind inzwischen knapp 400.000 Solarstromanlagen angeschlossen Tendenz stark steigend); daneben speisen traditionell 2.137 Wasserkraftwerke Strom ein; bei den Windmühlen sind es bisher „nur“ 679, aber der Druck für deutlich mehr Zubau wächst stetig; und auch die vielen Biomasseanlagen in Bayern drücken ihren Strom ins Netz.

Nur Wasserkraft und Biomasse sind kalkulierbar

Lediglich die Wasserkraft und Biomasse sind in ihrer Einspeisung kalkulierbar und grundlastfähig. Die Stromproduktion aus Sonne und Wind gilt mit dem Hang zu Verniedlichung als volatil, also kaum kalkulierbar und ausschließlich abhängig von der Tageszeit, Jahreszeit und dem Wetterzustand. In Bayern sind derzeit Solaranlagen mit einer Leistung von fünfzehn 1.000-Megawatt-Kernkraftwerksblöcken installiert. Dank Einspeisevorrang muss deren Stromerzeugung zum Beispiel auch an einem sonnigen Pfingstsonntag, wenn die Arbeit weitgehend ruht und kaum Strom verbraucht wird, vom Stromnetz aufgenommen werden. Ein derzeit geübtes erfolgreiches Steuerungsmittel ist die ferngesteuerte Abschaltung (mit Entschädigung) von Solar- und Windkraftanlagen, weshalb es seitens der Erneuerbaren- Energien Lobbyisten Kritik hagelt, dass der Netzausbau und die Netzanbindung neuer Solaranlagen durch die regionalen Netzbetreiber nicht schnell genug geht. Allein beim Bayernwerk stapeln sich in diesem Jahr schon 60.000 Netzanbindungsanträge; vor vier Jahren waren es erst 12.000 Anträge pro Jahr. Allerdings löst das die Verwertung der solaren Überproduktion nicht, denn auf unabsehbare Zeit wird es in Deutschland an geeigneten Speicherkapazitäten für ebendiesen fehlen, nicht zuletzt auch durch die obligatorischen Einsprüche gegen entsprechende Infrastrukturmaßnahmen.

Blackout nicht zu erwarten

Ein großflächiger Blackout ist im Prinzip dennoch nicht zu erwarten, auch wenn die Bedrohungen speziell im Bereich Cyber-Kriminalität signifikant gestiegen sind. Und die Netzbetreiber wollen ja mit allen Mitteln nicht nur technisch einen Blackout verhindern. Durch permanente Notfallsimulations-Trainings und enge ständige Kommunikation mit- und untereinander sowohl im Kreise der nationalen und internationalen Übertragungsnetzbetreiber wie auch mit der nachgelagerten Verteilnetzbetreiberebene wie Bayernwerk und Stadtwerke München, werden die Risiken erheblich reduziert.

JK

 

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