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(GZ-14-2022)
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► VDV-Jahrestagung in Frankfurt am Main:

 

Mit Digitalisierung und Modernisierung mehr bewegen

„Mehr bewegen: Digitalisierung, Dekarbonisierung, Ausbau“ lautete das Leitmotiv für die VDV-Jahrestagung in Frankfurt am Main. Beim Treffen der Branche mit rund 630 Unternehmen des öffentlichen Personen- und Schienengüterverkehrs einschließlich der Verkehrsverbünde ging es darum, nach vorn zu schauen und die infolge der Covid-Krise zurückgestellten Aufgaben nun mit aller Kraft anzugehen. Deutschland muss unabhängiger werden von Energieimporten aus dem Ausland und bis 2045 klimaneutral sein, bis 2030 muss der Verkehrssektor erhebliche CO2-Einsparungen leisten – mit einem deutlichen Mehr an Bus und Bahn für Personen und Güter.

Einmal mehr rief VDV-Präsident Ingo Wortmann die Politik dazu auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen und die Regionalisierungsmittel noch in diesem Jahr zu erhöhen: „Diese Mittel sind nicht weniger wichtig als die für zeitlich befristete Angebote“, erklärte Wortmann in Anspielung auf das Neun-Euro-Ticket. Die Verkehrsbranche benötige das Geld, um ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und ihr Angebot zu sichern.

„Für mich ist ein guter ÖPNV wichtiger als ein billiger“, unterstrich Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir. Er sprach sich dafür aus, Investitionen in die Infrastruktur und den Betrieb des ÖPNV als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anzupacken. Alle Beteiligten müssten ihren Beitrag zur Finanzierung leisten - vor allem die Politik, aber auch die Fahrgäste. Benötigt werde vor allem der Ausbau der Schiene. 50 Jahre sei das Netz geschrumpft. „Das müssen wir umdrehen.“

„Mit dem Neun-Euro-Ticket ist der ÖPNV dort angekommen, wo er hingehört: in die Mitte der Gesellschaft und ins Zentrum der Verkehrspolitik“, meinte die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Ricarda Lang. Nun müsse geprüft werden, welche Effekte das Ticket nicht nur zur Entlastung der Menschen von den hohen Energiekosten, sondern auch für das Klima habe. „Wenn wir klimapolitische Effekte sehen, müssen wir uns als Ampel überlegen, wie wir an den Erfolg anknüpfen.“ Lang versprach, dass sich ihre Partei dafür stark machen werde, bald die Regionalisierungsmittel zu erhöhen.

Ergänzung des klassischen Linienverkehrs

Ergänzt wird der klassische ÖPNV von immer mehr flexiblen On-Demand-Shuttles, die den klassischen Linienverkehr hierzulande ergänzen. In der Region Rhein-Main realisieren Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und Deutsche Bahn (DB) gemeinsam mit lokalen Partnern seit 2021 das deutschlandweit größte On-Demand-Angebot. 2023 sollen im RMV-Gebiet erste autonome On-Demand-Fahrzeuge auf die Straße kommen und das ÖPNV-Angebot in der Fläche maßgeblich verstärken. Laut Wortmann „hat die Branche seit vielen Jahrzehnten umfassende und gute Erfahrungen mit so genannten Linienbedarfsverkehren wie Rufbussen, etc. Seit einigen Jahren kommen nun immer mehr neue On-Demand-Angebote im ÖPNV hinzu, auch dank der Digitalisierung und der für diese Verkehre verbesserten gesetzlichen Rahmenbedingungen.“

Anfang 2019 waren es noch etwa ein Dutzend solcher neuen Angebote. Zum Ende dieses Jahres sind es mit über 80 Projekten bereits viermal so viele, Tendenz steigend. Diese Entwicklung zeigt, dass die Branche den politischen Auftrag aus der Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes umsetzt: Die Verkehrsunternehmen und Verbünde sind dabei, überall in Deutschland neue Linienbedarfsverkehre anzubieten und bestehende Angebote auszubauen. Es sind aktuell mehr als 400 Fahrzeuge in diesem Bereich unterwegs.

Darüber hinaus zeigt eine aktuelle Branchenumfrage des VDV, dass sich On-Demand-Angebote im ÖPNV überall etablieren, auch außerhalb der Großstädte und Ballungsräume: 47 Prozent aller On-Demand-Verkehre sind demnach im ländlichen Raum und Kleinstädten unterwegs, 26 Prozent in Mittel- und Oberzentren, 14 Prozent im suburbanen und 13 Prozent im urbanen Raum. „Bei den Projekten im ländlichen Raum gibt es dadurch flexible Angebote, wo vorher keine waren. Zudem zeichnet sich ab, dass schwach ausgelastete Linienverkehre dort eher auf On-Demand-Angebote mit mehreren kleineren Fahrzeugen umgestellt werden. So werden effektiv Leerfahrten vermindert und stattdessen die Mobilitätsbedürfnisse unserer Fahrgäste flexibel und mit hohem Komfort bedient“, so Wortmann.

On-Demand-Angebote

Bei den genehmigten Linienbedarfsverkehren handelt es sich in 85 Prozent der Fälle um vollständig neu geschaffene Angebote, die das bestehende ÖPNV-Angebot ergänzen, bei rund 15 Prozent wurden die bestehenden Stadt- und Rufbus-Angebote digital ausgebaut und die Bedienungsgebiete ausgeweitet. Die neuen Offerten sind dabei tariflich fast immer und vollständig in die ÖPNV-Angebots- und Tarifstrukturen integriert. Bei 40 Prozent der On-Demand-Angebote reicht das einfache Verbundticket oder das Abo zur Nutzung, bei 24 Prozent der Angebote ist zusätzlich ein Komfortzuschlag (in der Regel ein Euro) fällig, bei 26 Prozent wird der Tarif gesondert über digitale eTarife abgewickelt.

Geplant ist, dass die deutschlandweiten ersten Fahrzeuge im autonomen Level 4 durch Darmstadt und den Kreis Offenbach fahren. Die Vorbildfunktion für die bundesweite Einführung von On-Demand-Angeboten durch die RMV-Projekte ist auch deshalb so groß, da im Projekt die Großstadt Frankfurt, Landkreise am Rande der Metropole und ländliche Landkreise vertreten sind, also die komplette Vielfalt der Siedlungsstrukturen Deutschlands.

Flexible On-Demand-Angebote sind neben den klassischen Linienverkehren ein wichtiger Hebel für mehr und bedarfsorientierteren ÖPNV. Sie schließen die Lücke zwischen Bahnhof und Haustür – besonders auch am Stadtrand und in ländlichen Regionen. Gemeinsam realisieren die DB-Töchter DB Regio Bus, ioki und CleverShuttle schon heute On-Demand-Angebote in ganz Deutschland. Innerhalb der vergangenen drei Jahre hat die DB mit rund 330 Bedarfsverkehren bundesweit das bestehende Linienbusangebot erweitert und bereits sieben Millionen Fahrgäste befördert.

Die VDV-Branchenumfrage zeigt, dass Flottengrößen und Bediengebietsgrößen im urbanen Raum, in den Mittelzentren und dem ländlichen Raum auf die örtlichen Gegebenheiten zugeschnitten werden und sich stark unterscheiden. Die Branche ist sich dabei bewusst, dass die Herausforderungen bis zu einem bundesweiten Regelbetrieb solcher Angebote enorm sind. So sind On-Demand-Angebote zwar ein Hebel, um den ÖPNV insgesamt für mehr Menschen attraktiver zu gestalten und damit die Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen. Ohne zusätzliche finanzielle Mittel sind sie freilich in den kommenden Jahren nicht wirtschaftlich zu betreiben. Wie VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff abschließend erläuterte, „kann der Ausbau von On-Demand-Verkehren zur Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen in Stadt und Land und zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehrssektor beitragen.“

Finanzielle Herausforderung

Das ÖPNV-Leistungskostengutachten von Roland Berger im Auftrag des VDV habe aber auch deutlich gezeigt, dass der finanzielle Bedarf für die damit verbundene Angebotserweiterung hoch ist: „Bis 2030 brauchten wir rund 3,8 Milliarden Euro zusätzlich, damit On-Demand-Verkehre in Deutschland flächendeckend im Regelbetrieb fahren können. Der Rechtsrahmen bietet mit dem Personenbeförderungsgesetz klare Vorrausetzungen und wird entsprechend erfolgreich von der Branche umgesetzt. Was noch fehlt, sind die finanziellen Voraussetzungen, um die neuen Angebote nachhaltig betreiben zu können.“

DK

 

 

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