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(GZ-11-2021)
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► Stellungnahme Deutsches Netzwerk Evidenz-basierte Medizin e.V. (EbM-Netzwerk):

 

Impfung von Kindern und Jugendlichen gegen SARS-CoV-2 verlangt einen sorgfältigen öffentlichen Diskurs

 

Die Impfung gegen SARS-CoV-2 ist einer der Schlüssel zur Beendigung der COVID-19-Pandemie. Für Erwachsene stehen mehrere zugelassene Impfstoffe zur Verfügung, die einen großen Nutzen für weite Teile der Bevölkerung haben. Der Stellenwert einer Impfung von Kindern und Jugendlichen gegen SARS-CoV-2 hingegen verlangt unbedingt einen sorgfältig geführten öffentlichen Diskurs.

Bundesgesundheitsminister Spahn will bis zum Ende der Sommerferien den 12- bis 18-Jährigen in Deutschland ein SARS-CoV-2 Impfangebot machen (1). Sogar ein vorrangiges Impfangebot solle Kindern und Jugendlichen unterbreitet werden, sobald der Impfstoff für diese Gruppe zugelassen sei, so Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Das seien die Erwachsenen „der jungen Generation schuldig“ (2). Auf dem Ärztetag wurde jüngst angekündigt, die Bundesregierung aufzufordern, unverzüglich eine COVID-19-Impfstrategie für Kinder und Jugendliche zu entwickeln. Das Recht auf Bildung könne nur mit einer rechtzeitigen Impfung gesichert werden (3).

Erstaunlicherweise wird die Notwendigkeit und Begründung einer Impfung bei Kindern und Jugendlichen mehrheitlich nicht in Frage gestellt. Das EbM-Netzwerk sieht eine "Schuldigkeit", und zwar auf Seiten der Politik, der Meinungsbildner und Entscheidungsträger im Gesundheitswesen: nämlich die Bringschuld eines sorgfältigen, verantwortungsbewussten und wissenschaftsbasierten Diskurses über die Evidenz und Evidenzlücken, die Angemessenheit und die ethischen Implikationen der Forderung nach einer Impfung von Kindern und Jugendlichen.

Insbesondere die folgenden Aspekte bleiben sorgsam und faktenbasiert zu erörtern.

Nutzenpotenzial der Impfung für Kinder und Jugendliche

Die bisher vorliegenden Erkenntnisse legen nahe, dass Covid-19 Verläufe bei den symptomatisch werdenden Kindern und Jugendlichen in der Regel mild sind. Sie haben ein sehr geringes Risiko zu sterben oder schwere Verläufe zu erleiden (4).

Dieses Risiko ist in Gruppen von vorerkrankten Kindern und Jugendlichen höher. Welche Kinder und Jugendliche zu diesen vulnerablen Gruppen gehören und wie hoch ihr Risiko für schwere Verläufe ist, muss systematisch untersucht werden.

Schadenpotenzial der Impfung für Kinder und Jugendliche

Die Zwischenergebnisse der noch laufenden, randomisierten kontrollierten Zulassungsstudie, auf welche die FDA ihre Notfallzulassung des mRNA-Impfstoffs von BioNTech/ Pfizer für Jugendliche ab 12 Jahren begründet, sind aktuell noch nicht der Öffentlichkeit zugänglich (5). Weitere Studien zur Impfung von Kindern und Jugendlichen befinden sich mehrheitlich noch in Durchführung. Als Endpunkte sind Impfreaktionen, Antikörperantwort und unerwünschte Ereignisse definiert. Als sekundäre Endpunkte werden in einigen Studien asymptomatische Infektionen und klinisch manifeste Infektionen untersucht. Langzeitstudien stehen (naturgemäß zum jetzigen Zeitpunkt) aus, die auch den allgemeinen Gesundheitszustand und die Gesamtheit der respiratorischen Infekte und deren Krankheitslast erheben sollten.

Auch sehr seltene unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), die erst in der Massenanwendung sichtbar werden, wären sehr bedeutsam. Eine stringente und lückenlose Nachverfolgung der UAW – die bei den Impfungen der Erwachsenen hierzulande nicht verbindlich praktiziert wird – ist unabdinglich einzufordern.

Dieser Aspekt der Impfung benötigt daher eine größtmögliche Aufmerksamkeit, sowohl bei der wissenschaftlichen Evaluation als auch bei der zielgruppengerechten Kommunikation. Eine sorgfältige mediale Aufbereitung nach den Kriterien der evidenzbasierten Gesundheitsinformation von erfahrenen, unabhängigen Institutionen ist hier unverzichtbar.

Nutzen der Impfung für Erwachsene und das Pandemiegeschehen insgesamt

Ob die Impfung von Kindern und Jugendlichen zu einem Nutzen bei der erwachsenen Bevölkerung beiträgt und das Pandemiegeschehen insgesamt dadurch entscheidend besser kontrolliert werden kann, ist unklar. Möglicherweise sind Kinder im Vergleich zu Erwachsenen weniger anfällig für SARS-CoV-2-Infektion und -Übertragung (6,7). Insofern könnte ihre Rolle in der Transmission untergeordnet und somit auch der Effekt des Impfens gegen SARS-CoV-2 auf die Gesundheit der Erwachsenen gering sein.

Derzeit ist die Verfügbarkeit von Vakzinen begrenzt. Der Stellenwert der Impfung von Kindern und Jugendlichen muss auch in Bezug zu der Impfung von Personengruppen mit höherem Risiko und der globalen Impfstoffverfügbarkeit abgewogen werden. Auch virologisch-immunologische Unsicherheiten sind zu berücksichtigen wie ein potenzieller Unterschied zwischen infektionserworbener und Vakzin-erworbener Immunität oder eventuelle epidemiologische Verschiebungen in der Häufigkeit saisonaler Epidemien mit möglicherweise einhergehender erhöhter Gesamtmorbidität durch andere Viruserkrankungen.

Diskutiert wird auch, ob eine natürliche Zirkulation von SARS-CoV-2 bei Kindern zu einem Zeitpunkt, an dem das Risiko für Erwachsene durch Impfungen minimiert worden ist, möglicherweise nachhaltige Vorteile auf Populationsebene bewirken könnte, wenn Infektionen im frühen Lebensalter mit mildem Verlauf zu Infektions-bedingter Immunität führen und Geimpfte re-exponiert werden (6).

Globale Verantwortung als Stimme im Diskurs

Es gilt der globalen Verantwortungsübernahme eines privilegierten Landes gerecht zu werden. Die WHO appelliert eindringlich an die reichen Nationen, den SARS-CoV-2-Impfstoff an ärmere Länder zu spenden, anstatt jetzt damit Kinder zu impfen. Zuvor müssten erst einmal alle Risikopatienten für schwere Verläufe vollständig geimpft sein (8).

Für den geschäftsführenden Vorstand
Dr. Dagmar Lühmann & Prof. Dr. Gabriele Meyer

 

Referenzen

(1) Kritik an Spahns Impfziel für Jugendliche. https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=1&nid=123802&s=Impfen&s=Kinder, Zugriff am 15.05.2021

(2) Giffey für vorrangige Coronaimpfung von Kindern und Jugendlichen. https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=1&nid=123852&s=Impfen&s=Kinder, Zugriff am 15.05.2021

(3) Bundesärztekammer. Corona-Impfstrategie für Kinder und Jugendliche entwickeln (Pressemitteilung vom 05.05.2021).

(4) https://www.bundesaerztekammer.de/presse/pressemitteilungen/news-detail/corona-impfstrategie-fuer-kinder-und-jugendliche-entwickeln/, Zugriff am 15.05.2021

(5) Berner R, Walger P, Simon A, et al. Stellungnahme von DGPI und DGKH zu Hospitalisierung und Sterblichkeit von COVID-19 bei Kindern in Deutschland – Stand April 2021.

(6) https://www.dgkj.de/fileadmin/user_upload/210421_SN_HospitalisierungCOVID.pdf, Zugriff am 17.05.2021

(7) Emergency Use authorization – Mitteilung FDA an Pfizer https://www.fda.gov/media/144412/download, Zugriff am 19.05.2021

(8) Lavine JS, Bjornstad O, Antia R. Vaccination children against SARS-CoV-2. BMJ 2021; 373: n1197Brandal LT, Ofitserova TS, Meijerink H, et al. Minimal transmission of SARS-CoV-2 from paediatric COVID-19 cases in primary schools, Norway, August to November 2020. Euro Surveill 2021; 26 (1): 2002011COVID vaccines: Give doses to COVAX not kids, WHO urges. https://www.dw.com/en/covid-vaccines-give-doses-to-covax-not-kids-who-urges/a-57466344, Zugriff am 18.05.2021

 

 

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