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(GZ-10-2020)
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► Vor 30 Jahren wurde in Würzburg die bayernweit erste Umweltstation gegründet:

 

Zieht endlich die Reißleine!

 

In der Krise entdecken viele Menschen plötzlich ihre Passion für die Natur. Nachdem so vieles flachfällt, etwa Kneipen, Kino und Theater tabu sind, kann ein Vogelkonzert im Wald eine kleine, beglückende „Sensation“ sein. Das macht Anja Knieper, Leiterin der Würzburger Umweltstation, Hoffnung, dass das Umwelt- und Naturbewusstsein wächst. Und damit womöglich auch die Bereitschaft, künftig anders zu leben. Mehr im Einklang mit der Natur. Weniger verschwenderisch.

Die Würzburger Umweltstation geht in ihrem Kern auf das Jahr 1990 zurück. Bild: Pat Christ
Die Würzburger Umweltstation geht in ihrem Kern auf das Jahr 1990 zurück. Bild: Pat Christ

Naturgemäßer zu leben, denken viele Menschen, verlangt persönliche Opfer. Doch genau das ist für Anja Knieper die falsche Einstellung:

„Weniger zu konsumieren, bedeutet nicht zwangsläufig Verzicht.“ Wie Menschen dazu gebracht werden können, in genussvoller Weise Teil der ökologischen Transformation zu werden, dazu wird in der Umweltstation gerade schwerpunktmäßig gearbeitet.

Die Einrichtung selbst kann heuer 30-jähriges Jubiläum feiern. Sie gilt als älteste Umweltstation in Bayern. In den letzten 30 Jahren zog sie immer weitere Kreise. Zu Veranstaltungen wie der „Wildobstbörse“ kommen Menschen von weither – auch aus dem Main-Tauber-Kreis.

Wie stark das Thema „Öko“ boomt, hängt unter anderem von der Quote der Arbeitslosen und der sozialen Lage der Menschen ab. Das, sagt Anja Knieper. lässt sich über die letzten drei Jahrzehnte hinweg gut beobachten.

„Als wir vor 30 Jahren angefangen haben, gab es einen Run auf das Thema ‚Abfalltrennung‘“, erinnert sie sich. Der Gedanke, dass Müll ein Wertstoff ist und recycelt gehört, griff um sich. Kurz nach dem Start der Einrichtung kam die Wende: „Die sozialen Probleme stiegen.“

Der Umweltstation bescherten die Krisenjahre zwischen 1990 und 1992 in puncto Nachfrage eine Talfahrt. In jüngster Zeit war „Öko“ wieder total angesagt: „Dank Fridays for Future.“

Den meisten wurde klar, dass der Klimawandel sehr ernst zu nehmen ist. Dieses Bewusstsein, befürchtet Anja Knieper, könnte krisenbedingt nun wieder schrumpfen. Denn wer jetzt in Kurzarbeit ist oder gar gekündigt wurde, hat andere Sorgen. Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, die darauf hinweisen, dass die Schäden an den Ökosystemen das Risiko von Krankheitsausbrüchen bis hin zu Pandemien steigern. Aus diesem Grund forderte Bundesumweltministerin Svenja Schulze kürzlich auch verpflichtende internationale Bestimmungen zum Schutz unserer Lebensgrundlagen.

Auch Knieper plädiert dafür, endlich die Reißleine zu ziehen und der Zerstörung von Umwelt, Natur und Klima Einhalt zu gebieten. Von der vermeintlich positiven Entwicklung während des Shutdowns, warnt sie, dürfe man sich nicht blenden lassen.

„Die Medien kommunizieren, dass der CO2-Ausstoß deutlich heruntergegangen ist, was etwas oberflächlich denkende Menschen im Moment beruhigen mag“, so die engagierte Umweltschützerin. Doch das sei eine falsche Beruhigung:

„Die Produktion und der Verkehr werden wieder anlaufen, wir werden alles wieder dick hereinholen.“

Wege zur Transformation entwickeln

Wege zur Transformation zu entwickeln, war in jüngster Zeit Thema vieler Meetings in der Umweltstation. Vor allem zwei Arbeitskreise, die sich in der Öko-Bildungsstätte der Stadt Würzburg treffen, arbeiten hierzu intensiv. Das ist zum einen der „Arbeitskreis Konsum“, zum anderen ein Arbeitskreis, in dem sich Schulpsychologen und Leiter von Gymnasien mit Jugendlichen austauschen. Hierbei arbeitet die Umweltstation mit der Initiative „europafels“ zusammen.

Ziel ist es, Schülern die Idee der gesellschaftlichen Transformation nahe zu bringen. Die hier entwickelten Lerneinheiten sollen Schulen aus der ganzen Region zur Verfügung gestellt werden.

Spätestens im September, hofft Knieper, wird die Umweltstation wieder Veranstaltungen anbieten können. Geplant ist für den 26. September unter anderem die 2. Wildobstbörse, die erstmals in und an der Umweltstation stattfinden soll. Hierbei werden Produkte rund um heimische Wildobstarten vorgestellt, unter anderem Brände, Säfte, Marmeladen und Schreibutensilien. An Infoständen und bei Fachvorträgen wird über Wildobst informiert. Noch ist auch ein Tierschutzfestival in Planung. Es soll am 8. August stattfinden. Ob dies realisierbar ist, kann noch nicht abgeschätzt werden.

Knieper: „Aber wir organisieren erst mal weiter, da es einfacher ist, abzusagen, als plötzlich neu zu planen.“

Ging es vor 30 Jahren noch in erster Linie darum, einzelnen Bürgerinnen und Bürgern die „Basics“ des Umgangs mit Abfall beizubringen und in allen Fragen zum Thema Müll zu beraten, steht heute die Arbeit mit Bündnissen und Einrichtungen im Fokus.

Die Umweltstation kooperiert mit vielen ökologisch und transformativ ausgerichteten Initiativen aus der Region, aber auch mit konventionellen Institutionen. Für Anja Knieper ist zum Beispiel die Arbeit mit Senioren wichtig. So wurde unlängst in einem nahegelegenen Seniorenheim eine „Umweltgruppe“ gegründet, an der zwölf Bewohner teilnehmen. Fünf Treffen fanden bisher statt.

Gerade Senioren können viele nützliche Tipps zur Reduzierung des Konsums geben. Wuchsen sie doch in einer Zeit auf, in der es nicht so viele Waren gab. Geschweige denn, dass man das Geld gehabt hätte, Wegwerfprodukte wie „Fast Fashion“ zu kaufen: War etwas gerissen, wurde es geflickt. Anja Knieper wünscht sich diese Zeit in gewisser Weise zurück. Man hatte damals zwar weniger. War jedoch mit dem Wenigen oft sehr zufrieden.

Pat Christ

 

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