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(GZ-11-2017)
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► Baye­ri­sche Ge­mein­de Bo­den­mais:  
 
In­tel­li­gen­te Ver­net­zung von Strom und Wärme 
 

12 11 Intelligente

Die ge­werb­li­chen Nutzer des kalten Nah­wär­me­net­zes in Bo­den­mais be­ste­hen aus einer recht bunten Mi­schung. Von der Dorf­bä­cke­rei bis zur Groß­tank­stel­le am Orts­ein­gang reicht die Cha­rak­te­ris­tik der An­schluss­teil­neh­mer. Bild: ra­tio­plan

Baye­ri­sche Ge­mein­de Bo­den­mais mit in­no­va­ti­ver Wär­me­ver­sor­gung für private An­woh­ner wie Ge­wer­be­trei­ben­de

Bislang war die be­schau­li­che nie­der­baye­ri­sche Ge­mein­de Bo­den­mais haupt­säch­lich bekannt als at­trak­ti­ve Tou­ris­ten­re­gi­on – mit gut 900.000 Über­nach­tungs­gäs­ten im Jahr zählt Bo­den­mais sogar zu den be­lieb­tes­ten Tou­ris­ten­re­gio­nen im Baye­ri­schen Wald. Ein wei­te­rer Image­trä­ger ist die orts­an­säs­si­ge Firma Joska, eine der tra­di­ti­ons­reichs­ten Glas­hüt­ten in Deutsch­land und zu­gleich Welt­markt­füh­rer für Kris­tall- und Glas­po­ka­le. Doch seit dem Früh­jahr 2015 verfügt Bo­den­mais nun noch über ein wei­te­res Aus­hän­ge­schild, denn als eine der ersten Ge­mein­den in Deutsch­land verfügt die 3000-See­len-Ort­schaft über ein so ge­nann­tes kaltes Nah­wär­me­netz. 

Das in einer Misch­struk­tur an­ge­leg­te Ge­wer­be­ge­biet hat sich sowohl mit seinen Pri­vat­haus­hal­ten als auch mit den an­säs­si­gen Ge­wer­be­trei­ben­den dazu ent­schlos­sen, seine Wär­me­ver­sor­gung über diese neue, äußerst in­no­va­ti­ve re­ge­ne­ra­ti­ve Tech­no­lo­gie laufen zu lassen. Dabei hat alle An­schluss­teil­neh­mer die enorme Leis­tungs­fä­hig­keit eines „kalten“ Nah­wärm­net­zes über­zeugt, wodurch sich eine klare öko­lo­gi­sche Ziel­set­zung für die zu­künf­ti­ge Wär­me­ver­sor­gung der Ge­wer­be­ge­biets Bo­den­mais de­fi­nie­ren lässt: eine Re­du­zie­rung des En­er­gie­auf­wands um rund 70% - bei gleich­zei­ti­ger CO2-Ein­spa­rung von eben­falls fast 70 %.

Echtes Ver­sor­gungs­netz

Das Ge­wer­be­ge­biet in Bo­den­mais besteht aus einer bunten Misch­struk­tur, was sich ent­spre­chend in der Cha­rak­te­ris­tik der An­schluss­teil­neh­mer an das Nah­wärm­netz wie­der­spie­gelt: So findet sich unter den An­schluss­teil­neh­mern die Dorf­bä­cke­rei, eine Tank­stel­le, die be­lieb­te Piz­ze­ria im Orts­kern genauso wie 12 private Ein- und Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser. Das 4- Sterne Well­ness Hotel „Berg­knap­pen­hof“ ist als nächs­ter An­schluss­teil­neh­mer in Planung. Ins­ge­samt er­streckt sich die autarke En­er­gie­ver­sor­gung der An­schluss­teil­neh­mer über eine Fläche von 50.000 qm.

Um­fang­rei­che Di­men­sio­nie­rung

Die recht um­fang­rei­che Di­men­sio­nie­rung des Nah­wär­me­net­zes in Bo­den­mais war ur­sprüng­lich ei­gent­lich gar nicht so geplant, wie Chris­ti­an Zelzer, In­itia­tor dieser be­son­ders Res­sour­cen scho­nen­den Form der Wär­me­ver­sor­gung sowie Inhaber der orts­an­säs­si­gen Sa­ni­tärund Hei­zungs­fir­ma, verrät. „Am Anfang wollte ich ei­gent­lich nur für mein Wohn­haus und meine ge­werb­li­chen Flächen die En­er­gie­ver­sor­gung über ein Nah­wär­me­netz rea­li­sie­ren. Aber dann hat sich mein Vor­ha­ben – typisch für eine kleine Ge­mein­de wie Bo­den­mais – schnell her­um­ge­spro­chen. Mich haben mit der Zeit immer mehr Nach­barn auf das Konzept an­ge­spro­chen. Und an­schei­nend hat sie das um­welt­freund­li­che und en­er­gie­ef­fi­zi­en­te Konzept über­zeugt, sodass wir heute in Bo­den­mais tat­säch­lich von einem echten Ver­sor­gungs­netz spre­chen können.

At­trak­ti­ve För­der­gel­der

Zudem gab es in Bo­den­mais den „glück­li­chen“ Umstand, dass die meisten An­schluss­teil­neh­mer eine ver­al­te­te Öl- oder Gas­hei­zung besaßen und somit sowieso ein An­la­gen­aus­tausch auf dem Pro­gramm stand. Den letzten „Mo­ti­va­ti­ons­schub“ für die Rea­li­sie­rung des kalten Nah­wär­me­net­zes gaben dann die sehr at­trak­ti­ven För­der­gel­der. So konnten in Bo­den­mais gut 35% der Ge­samt­in­ves­ti­tio­nen von 850.000 Euro ein­ge­spart werden, konkret knapp 300.000 Euro.

Kom­pe­ten­tes Un­ter­neh­men

Bei der Suche nach einem kom­pe­ten­ten Pla­nungs­un­ter­neh­men für die pro­fes­sio­nel­le Rea­li­sie­rung des Nah­wär­me­net­zes in Bo­den­mais musste Chris­ti­an Zelzer gar nicht groß in die Ferne schwei­fen. Es bestand schon, auf­grund frü­he­rer er­folg­rei­cher Zu­sam­men­ar­bei­ten, ein guter Kontakt zwi­schen dem Hand­werks­be­trieb Zelzer und dem Un­ter­neh­men ra­tio­therm aus dem ober­baye­ri­schen Dollnstein. ra­tio­therm gilt in Deutsch­land als einer der füh­ren­den Wär­me­spei­cher­spe­zia­lis­ten.

Vor einigen Jahren begann ra­tio­therm über sein Ge­schäfts­feld ra­tio­plan seinen Kunden nun auch um­fas­sen­de Wär­me­kon­zep­te an­zu­bie­ten. Durch den Erfolg des Ge­schäfts­felds ra­tio­plan wurde zum Jah­res­wech­sel die ra­tio­plan GmbH aus­ge­grün­det. Im Fokus stehen bei ra­tio­plan Lö­sun­gen für nach­hal­ti­ge Nah­wär­me­net­ze, vor­ran­gig für größere An­schluss­ein­hei­ten wie Ge­mein­den, Kom­mu­nen oder Ge­wer­be­ge­bie­te. So er­ar­bei­te­te ra­tio­plan auch für be­sag­tes Misch­ge­biet in Bo­den­mais ein um­fas­sen­des Wär­me­ver­sor­gungs­kon­zept – an­ge­fan­gen von der Be­stands­ana­ly­se über die kon­kre­te Kon­fi­gu­ra­ti­on der tech­ni­schen Kom­po­nen­ten bis hin zur ge­sam­ten Re­ge­lungs­tech­nik.

Kaltes Nah­wär­me­netz

Das Konzept für ein kaltes Nah­wär­me­netz ruht im We­sent­li­chen auf zwei Säulen: der Nutzung er­neu­er­ba­rer En­er­gi­en und fle­xi­blen Tem­pe­ra­tu­ren, die sich dem tat­säch­li­chen Ver­brauch an­pas­sen. In einem kon­ven­tio­nel­len Netz stellt die Heiz­zen­tra­le per­ma­nent 70 bis 80°C warmes Wasser bereit. Während der Som­mer­mo­na­te gibt es aber zumeist nicht diesen Bedarf für solch hohe Tem­pe­ra­tu­ren, so dass große Netz­ver­lus­te ent­ste­hen.

Um diese Ver­lus­te zu mi­ni­mie­ren, wird das System im Sommer als so ge­nann­tes „kaltes Netz“ be­trie­ben. Dafür wird die Netz­tem­pe­ra­tur von Mai bis Ende Sep­tem­ber – in Bo­den­mais sogar von April bis Oktober - auf 20 bis 40 °C ab­ge­senkt. Mit einem solchen „kalten“ Be­triebs­mo­dus lässt sich der Wär­me­be­darf der An­schluss­teil­neh­mer in der warmen Jah­res­zeit voll­stän­dig durch er­neu­er­ba­re En­er­gi­en ab­de­cken, in Bo­den­mais durch So­lar­ther­mie-Kol­lek­to­ren an der Au­ßen­fas­sa­de der Heiz­zen­tra­le.

Po­si­ti­ve Vor-Ort­Be­din­gun­gen

Von zen­tra­ler Be­deu­tung für die Um­set­zung eines kalten Nah­wär­me­net­zes in Bo­den­mais war na­tür­lich die po­si­ti­ve Be­wer­tung der Vor-Ort-Be­din­gun­gen durch ra­tio­plan. Sprich eine aus­rei­chen­de Res­sour­ce er­neu­er­ba­rer En­er­gie­quel­len, in diesem Fall Solar und Holz­hei­zung. Dabei war durch das an­gren­zen­de Wald­ge­biet die Be­reit­stel­lung von Hack­schnit­zeln kein Problem, mit denen die 400kW Hack­gut-An­la­ge in der Heiz­zen­tra­le, dem Zentrum des Nah­wär­me­sys­tems, be­trie­ben werden kann. Als Heiz­zen­tra­le fun­giert im Übrigen ein Anbau an das Fir­men­ge­bäu­de der Firma Zelzer. An die Au­ßen­fas­sa­de der Heiz­zen­tra­le wurden dabei über eine Fläche von 110m² besagte So­lar­ther­mie-Kol­lek­to­ren ein­ge­baut.

Mit fast fünf Stunden Son­nen­schein­dau­er pro Tag liegt die Region Bo­den­mais gut 10 % über dem Jah­res­durch­schnitt im Bun­des­ge­biet, so dass eine ef­fi­zi­en­te Aus­las­tung der So­lar­Kol­lek­to­ren ge­währ­leis­tet ist. Die tech­ni­sche Aus­stat­tung der Heiz­zen­tra­le wird kom­plet­tiert durch einen leis­tungs­star­ken Puf­fer­spei­cher mit einem 25.000 Liter Fas­sungs­ver­mö­gen.

Hinzu kommen in der Pe­ri­phe­rie für jeden der bisher 19 an­ge­schlos­se­nen Haus­hal­te bzw. Ge­wer­be­trei­ben­den noch jeweils eine „kleine“ Wär­me­pum­pe als Über­ga­be­sta­ti­on sowie ein Spei­cher mit min­des­tens 500 Liter Fas­sungs­vo­lu­men. Die Wär­me­pum­pen sind dabei jeweils auf ca. 50 % der je­wei­li­gen Ge­bäu­de­heiz­last aus­ge­legt. Alle Kom­po­nen­ten sind über eine Da­ten­lei­tung mit­ein­an­der ver­bun­den und können sich somit – dank einer hoch­kom­ple­xen Re­ge­lungs­leit­tech­nik - über die je­wei­li­ge Wär­me­be­reit­stel­lung und den Bedarf der Ver­brau­cher in­for­mie­ren.

Zwei Phasen

Die Lei­tungs­ver­le­gung geschah in Bo­den­mais in zwei Phasen: Die erste Trasse wurde im Februar 2014 verlegt, die zweite Trasse im Oktober des glei­chen Jahres. Und bereits drei Monate später waren alle Teil­neh­mer an das Wär­me­netz an­ge­schlos­sen. Wobei das kalte Nah­wär­me­netz in Bo­den­mais als offenes System kon­zi­piert ist, was be­deu­tet, dass je­der­zeit neue An­schluss­teil­neh­mer in das System in­te­griert werden können. Ins­ge­samt beläuft sich die Tras­sen­län­ge zur Ein­bin­dung aller Netz­teil­neh­mer auf nur 950 Meter. Diese relativ geringe Tras­sen­län­ge be­deu­tet sehr kurze Rohr­lei­tungs­we­ge und damit eine Mi­ni­mie­rung mög­li­cher Wär­me­ver­lus­te auf dem „Trans­port­weg“. Dadurch kann die Anlage in Bo­den­mais äußerst en­er­gie­ef­fi­zi­ent ar­bei­ten.

Zu einem ersten Fazit nach nun gut 1,5 Jahren Be­triebs­zeit des kalten Nah­wär­me­net­zes meint Chris­ti­an Zelzer: „Ich glaube, ich kann hier guten Ge­wis­sens für alle An­schluss­teil­neh­mer spre­chen, wenn ich sage, dass die Anlage vom ersten Tag an ohne nen­nens­wer­te Stö­run­gen oder Zwi­schen­fäl­le ge­lau­fen ist. Und auch über mehr Geld in der Haus­halts­kas­se kann sich jeder Teil­neh­mer freuen, denn der En­er­gie­ein­spar­ef­fekt liegt für jedes Gebäude – un­ab­hän­gig ob privat oder ge­werb­lich – bei min­des­tens 20%.“

Nach­tei­le aus­ge­gli­chen

Mit diesem Konzept eines „kalten“ bzw. Nied­rig­ener­gie­Nah­wär­me­net­zes wurden in Bo­den­mais gezielt zwei zen­tra­le Nach­tei­le klas­si­scher Nah­wär­me­ver­sor­gung aus­ge­gli­chen: Zum einen die Ver­mei­dung relativ hoher Lei­tungs­ver­lus­te auf­grund starker Tem­pe­ra­tur­dif­fe­ren­zen. Zum anderen der Wegfall der An­schaf­fungs­kos­ten für eine eigene Heiz­an­la­ge für die ein­ge­bun­de­nen An­schluss­teil­neh­mer. Und letzt­end­lich sind alle Be­tei­lig­ten nicht mehr dem un­kal­ku­lier­ba­ren Risiko stei­gen­der En­er­gie­prei­se aus­ge­setzt, da Hack­schnit­zel und Son­nen­stun­den aus­rei­chend vor­han­den.

Das Bei­spiel Bo­den­mais zeigt ein­drucks­voll, wie eine kleine Ge­mein­schaft aus über­zeug­ten und en­ga­gier­ten Bürgern und Un­ter­neh­men einen großen Schritt in Rich­tung nach­hal­ti­ge und autarke En­er­gie­ver­sor­gung ge­gan­gen ist, die si­cher­lich Bei­spiel­cha­rak­ter in der Region haben wird.

RED

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