Aus den Kommunenzurück

(GZ-1/2-2023)
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► Eigentlich Aufgabe des Staates:

 

Kampf gegen wachsende Not

Bei manchen Tafeln hat sich die Zahl der Nutzer seit 2019 mehr als verdoppelt

Täglich melden Betriebe, dass sie inzwischen eine sehr schwierige Finanzsituation haben. Vielen Kommunen geht es schlecht. Und immer mehr Bürgern. Letzteres führt bei den Tafeln in Main-Spessart zu wachsenden Kundenzahlen. „Bei uns sind gerade 399 Haushalte mit 548 Erwachsenen und 390 Kindern gemeldet“, sagt Michael Donath, Projektleiter der Tafel in Lohr. 2020 wandten sich erst 302 Haushalte mit 757 Mitgliedern an die Tafel. Das bedeutet einen Zuwachs von fast 25 Prozent in zwei Jahren.

Ohne die Tafeln wäre gesellschaftliche Teilhabe für viele Menschen nicht einmal ansatzweise möglich. Denn das staatlicherseits gewährleistete Existenzminimum reicht nicht aus. „Für uns bedeutet es allerdings inzwischen einen riesigen Aufwand, unser Angebot aufrechtzuerhalten, wir benötigen rund 80.000 Euro im Jahr“, sagt Michael Donath. Schließlich sind auch Tafel-Läden mit höheren Kosten für Miete, den Fuhrpark sowie für Energie konfrontiert. Zum Glück werde die Lohrer Tafel von der Bevölkerung und von Sponsoren gut unterstützt. Darum gelang es auch heuer wieder, alle Kunden zu Weihnachten mit einem Drei-Gänge-Menü zu beglücken.

Fehlsichtige Politik

Die Tafel versucht, zu verhindern, dass Menschen, die arm sind, bettelarm werden. „Gegen die Not selbst können wir nichts tun“, sagt Donath. Dass die Not so groß ist, liege an einer „vollkommen fehlsichtigen“ Politik. Es müsste viel mehr in Bildung investiert werden: „Außerdem gehören prekäre Arbeitsverhältnisse abgeschafft.“ Michael Donath kritisiert den Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde. Davon könne man nicht leben. Auch der Hartz IV-Regelsatz sei viel zu niedrig. Wer soll damit über die Runden kommen? Dass es die Tafel-Läden gibt, sei für die Betroffenen gut: „Aber dass wir Tafel-Läden brauchen, ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.“

Vor knapp 30 Jahren, als sich die ersten Tafeln gründeten, mag es noch eine relativ einfache Aufgabe gewesen zu sein, Menschen zu versorgen, die nicht genug Geld haben, um den ganzen Monat über im Supermarkt einzukaufen. Der aktuelle Ansturm auf die Tafel-Läden sorgt jedoch für große Probleme, berichtet auch Klaus Roos vom Vorstand des Tafel-Ladens in Marktheidenfeld. Hier werden 212 Erwachsene und 163 Kinder unterstützt – mehr als doppelt so viele wie 2019. „Für Ehrenamtliche ist es eine Herausforderung, an den Ausgabetagen acht Stunden auf den Beinen zu sein, um die Waren herzurichten und auszugeben, und zwar im Stehen und mit Maske“, so Roos.

Eigentlich Aufgabe des Staates

Menschen, die keine Arbeit finden oder die nicht mehr arbeiten können und deshalb Transferleistungen beziehen, sind laut Roos „vom täglichen Überlebenskampf in Beschlag genommen“. Das betreffe nicht zuletzt ältere Frauen, die alleine leben: „Manche sagen, ohne die Tafel würden sie nicht über die Runden kommen.“ Bedenklich findet der Marktheidenfelder, dass die Tafel ungewollt eine soziale Aufgabe übernimmt, für die eigentlich der Staat zuständig ist. „Es ist nicht in unserem Sinne, dass durch unseren Einsatz für die Bedürftigen die eigentlich notwendigen Sozialreformen ausgeblendet oder verzögert werden“, betont er.

Zur Tafel geht man nicht aus Jux und Tollerei. Ganz im Gegenteil. „Vor allem älteren Kundinnen und Kunden sowie vielen Flüchtlingen aus der Ukraine ist es peinlich, dass sie die Dienste der Tafel in Anspruch nehmen müssen“, sagt Thomas Karg vom Bayerischen Roten Kreuz (BRK) in Main-Spessart, das einen Tafel-Laden in Gemünden betreibt. Auch hier explodierten die Zahlen. 412 Bürger, davon 112 Kinder, kaufen bei der BRK-Tafel ein. Das bedeutet einen Anstieg von 75 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019.

Wegen der Politik, die auch nach Ansicht von Alida Mungenast von der Tafel in Karlstadt den Kern des Problems darstellt, wird die Armut wohl weiterwachsen. Mungenast versorgt mit ihrem Team 320 Personen. Ob es in Karlstadt auch im kommenden Jahr noch einen Tafel-Laden unter der Leitung von Alida Mungenast geben wird, ist im Augenblick fraglich. „Wir müssen aus unserem derzeitigen Laden ausziehen und haben noch keine bezahlbare Bleibe gefunden“, berichtet die Vereinsvorsitzende. Im Moment sei die Prognose für 2023 nicht „rosig“. Und zwar weder für die bedürftigen Menschen im Landkreis, noch für die Tafel selbst.

Rund 60.000 Bürger engagieren sich derzeit deutschlandweit ehrenamtlich für die Tafel. Sie sammeln überschüssige Lebensmittel im Handel und bei Herstellern ein und verteilen diese über Ausgabestellen an Bedürftige. Kunden der Tafel-Läden sind Menschen in Einkommensarmut, etwa ALG-II- und Sozialgeldempfänger, Spätaussiedler, Migranten und Rentner. Deutschlandweit leben derzeit mehrere Millionen Menschen in Einkommensarmut oder sind von ihr bedroht.

Pat Christ

 

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