Aus den Kommunenzurück

(GZ-9-2019)
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► Gemeinde Schwaigen-Grafenau:

 

„Wachstum beißt sich mit Klimaschutz“

 

Der Klimawandel ist spürbar

In der oberbayerischen Gemeinde Schwaigen-Grafenaschau versucht man alles, um sich auf das wandelnde Klima einzustellen. Und das mit gutem Grund. „Wir bekommen den Klimawandel bereits zu spüren“, sagt Hubert Mangold (parteilos), Bürgermeister der 624 Einwohner zählenden Gemeinde im Kreis Garmisch-Partenkirchen und Vorsitzender des Beirats für Energie und Klimaschutz der Zugspitzregion. So hatte die Gemeinde 2016 den größten Murenabgang, der je in Bayern registriert wurde.

„Letztes Jahr kam es zu zwei Starkregenereignissen“, berichtet Mangold. Einmal gingen 40 Liter innerhalb von zwölf Minuten nieder. Beim zweiten Mal waren es 80 Liter in 25 Minuten. Dazwischen lagen lediglich zehn Tage: „Das war noch nie da gewesen.“ Für Mangold ist es keine Frage, dass sich das Klima wandelt: „Und wir sind eine der am stärksten betroffenen Gemeinden.“ Weil der Bürgermeister gegensteuern möchte, beteiligte er sich auch in diesem Jahr an der Veranstaltungsreihe „Klimafrühling Oberland“.

Umfangreiches Programm

Über 100 Veranstaltungen zu den Themen „Klimaschutz“ und „Nachhaltiges Handeln“ standen auf dem Programm. Es gab Vorträge, Diskussionen, Filmvorführungen, Exkursionen und Ausstellungen. Eine der Hauptveranstaltungen organisierte Mangold in seiner eigenen Gemeinde: In Grafenaschau wurde unter anderem darüber diskutiert, was der Klimawandel für den Katastrophen- schutz bedeutet. „Also wie etwa die Rettung funktionieren kann, wenn es zu längeren Stromausfällen kommt“, erläutert er. Dies geschah erst im Februar in Berlin-Köpenick. Über 30 Stunden war der Strom weg.

In vielen Projekten wird in Schwaigen-Grafenaschau versucht, stärker als bisher im Einklang mit der Umwelt zu leben. So gibt es einen Dorfladen, der als Unternehmergesellschaft betrieben wird. Die Bürgerinnen und Bürger können seither zu Fuß oder mit dem Rad einkaufen. Autofahrten zum Discounter entfallen, was Klima und Umwelt entlastet. Der Dorfladen dient aber auch als Treff. Diese Funktion ist für Mangold ebenfalls wichtig. Menschen müssten sich wieder mehr begegnen können, sagt er, müssten sich über Probleme austauschen und gemeinsam beginnen, an Lösungen zu arbeiten.

Mittelfristiges Ziel der Gemeinde ist es, zu einem großen Teil energieautark zu werden. Aus diesem Grund engagiert sich Schwaigen-Grafenaschau auch als Stifterkommune in der Initiative „Energiewende Oberland – Bürgerstiftung für Erneuerbare Energie und Energieeinsparung“. Deren Ziel ist es, bis 2035 Energieautarkie zu erreichen. Wirklichkeit würde dieses Ziel durch energieeffiziente Haushalte mit Niedrigenergiehäusern oder sanierten Gebäuden, eine vernetzte, dezentrale Energieversorgung und gemeinsame Energieprojekte von Bürgern und Kommunen.

Energienutzungsplan in Arbeit

„Wir in Grafenaschau arbeiten gerade an einem Energienutzungsplan“, verrät Mangold. So soll es künftig Kraft-Wärme-Kopplung geben. Außerdem will die Kommune das Potential moderner Speichertechniken für erneuerbaren Strom ausloten. Dafür gab es bereits Unterstützung durch die Hochschule München: Fünf Studenten erarbeiteten im Sommer- semester 2017 eine Studie für ein Energiekonzept der Gemeinde.

Zu schaffen macht Hubert Mangold, dass die vielen kleinen, lokalen Bemühungen um Umweltund Klimaschutz nur allzu oft durch die große Politik bedroht oder gar zunichte gemacht werden. „Wirtschaftswachstum und Klimaschutz passen zum Beispiel einfach nicht zusammen“, sagt der kritische Kommunalpolitiker: „Man kann einfach nicht noch mehr exportieren und importieren.“ Der dafür notwendige Transportverkehr schadet nach seiner Einschätzung dem Klima immens.

Im Einklang mit der Natur

Wie schwer es ist, nachhaltig, klimafreundlich und im Einklang mit der Natur zu leben, zeigt sich für ihn auch am Beispiel des Gra- fenaschauer Dorfladens. So ist es nicht möglich, die Milch von den nur wenige hundert Meter ent- fernten Bauern zu beziehen. „Un- sere Bauern liefern ihre Milch nach Berchtesgaden in die Molke- rei, wo sie verarbeitet wird“, berichtet Mangold. Dabei legt die Milch rund 200 Kilometer zurück. Von Berchtesgaden werde sie nach Baden-Württemberg ins Zen- trallager des Dorfladenlieferanten gefahren: „Insgesamt ist sie also 800 Kilometer unterwegs.“

Dahinter stecken Hygieneregeln der EU. Umgangen werden könnten die Touren nur dann, wenn die Gemeinde im Dorfladen ein Gerät zur Erhitzung der Milch einbaut: „Das müsste dann immer wieder amtlich kontrolliert werden.“ Unterm Strich würde dadurch die Milch so teu- er, dass niemand sie kaufen würde. Mangold: „Aus Hygienegründen dürfen wir auch kein Bauernbrot direkt vom Bauern abnehmen und im Dorfladen verkaufen.“

Mit Absurditäten wartet auch die Energieversorgung auf. So wollte die Gemeinde ein BHKW im Dorfladen installieren. Der erzeugte Strom sollte über die Straße ins Rathaus geschickt werden. Doch das geht nicht, so Mangold: „Wir werden von der Regierung gezwungen, dass wir den Strom für 12 Cent verkaufen, um ihn an anderer Stelle für 24 Cent zu kaufen“, da die Konzession zur Stromkabelverlegung für gewidmete Straßen dem Energieversorger obliegt. Und das, obwohl die Straße sowie die beiden Grundstücke von Dorfladen und Rathaus der Gemeinde gehören.

Beitrag zum Umweltschutz

Immerhin: Der Dorfladen funktioniert gut und leistet seit einem knappen Jahr einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz. Sogar von Murnau-Westried kommen die Menschen am Samstag angeradelt, um hier einzukaufen. Die große Akzeptanz macht Mangold zuversichtlich, dass der Dorfladen in zwei Jahren schwarze Zahlen schreiben wird. Andere Dorfläden, die ähnlich euphorisch starteten, mussten nach einiger Zeit wieder schließen.

Zu den ambitioniertesten Initiativen der kommenden Monate gehört ein aktuell beantragtes Euregio-Projekt mit der Tiroler Gemeinde Reith bei Seefeld. Es trägt den Titel „Kleine Kommunen-gemeinsam-eigenständig“. Gleichzeitig soll darauf hingewiesen werden, was sich gesetzlich ändern müsste, um kommunale Eigenständigkeit zurückzugewinnen. „In Osttirol sind wir außerdem mit einer Arbeitsgruppe aus Innervillgraten in Kontakt“, berichtet Mangold. Hier geht es um regionale landwirtschaftliche Erzeugung und Vermarktung der Produkte in Dorf- und Hofläden.

 Pat Christ

GemeindeZeitung

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