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(GZ-7-2021)
Neues von Sabrina
 

Stil ist unvergänglich

Der Bürgermeister nimmt einen Termin beim Herrenausstatter wahr. Dabei geht es letztlich auch darum, die mittelständische Wirtschaft am Ort zu unterstützen. Ob das derzeit kultivierte modische Laissez-faire in der Nach-Corona-Zeit Bestand behält, wird sich zeigen.

„Eigentlich brauche ich keinen neuen Anzug.“ Mein Chef, der Bürgermeister, reagierte etwas verwundert auf meine Erinnerung an seinen jährlichen Besuch des besten Herrenausstatters in der Stadt.

In normalen Zeiten bündelt er den Klamottenkauf auf ein, maximal zwei Termine im Jahr, weil er einkaufen hasst. Aber andererseits ist er eitel genug, um immer auch ein Auge auf Modetrends zu haben. Zudem sind Anzüge, weiße oder blaue Hemden sowie passende Krawatten, Socken und Schuhe ja quasi die Berufskleidung eines Kommunalpolitikers in seiner Stellung. OK, gut, waren mal die Berufskleidung.

Angefangen hat alles damit, dass mehr und mehr Entscheider aus Politik, Wirtschaft und Kultur darauf verzichtet haben, sich eine Krawatte umzubinden. Was früher einmal zum unhinterfragten Morgenritual gehörte, nämlich sich den Schlips zu binden oder – extravagant – eine Fliege anzulegen, wurde zunächst ins Büro verlagert, weil man die Krawatte nur noch umband, wenn Besuch kam oder ein wichtiger Termin bevorstand. Nach und nach aber wurden selbst bei den wichtigsten Terminen immer mehr Männer ohne Krawatte gesehen:

Vorstandsvorsitzende von Automobilunternehmen präsentierten ohne Schlips und in Sneakers neue Modelle oder Geschäftszahlen, Spitzenpolitiker traten nach Wahlen oben ohne vor die Kameras – und das nicht nur bei Wahldesastern. Mittlerweile sind Krawatten jenseits englischer Privatschulen eine aussterbende Spezies.

Der nächste Schlag traf den Schuh. Früher war es nicht unüblich, bei einer ersten Begegnung mit einem Menschen auf die Schuhe zu schauen. Sie gaben Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse (handgenäht oder industriell, neu oder abgetragen), vor allem aber über Sekundärtugenden wie Umsicht, Fleiß, Sauberkeit oder Akribie. Denn auch ein alter, nicht teurer Schuh konnte was hermachen, wenn er gut gepflegt, gewienert und blitzblank war. Alles vorbei.

Heute ist an Fußkleidung wirklich alles üblich geworden. Nicht nur die klassischen Budapester oder Derby, nein auch Monks, Boots, Norweger-Style (grauenvoll) und die unvermeidlichen Sneakers gibt es jetzt an Politiker- und Geschäftsmännerfüßen. Auch andere eherne Regeln wie cognacfarbene Schuhe nur dann, wenn auch der Gürtel cognacfarben ist, sind auf dem Rückzug. Schade.

Und jetzt auch noch Corona und der Trend zum Arbeiten zuhause. Wer macht sich denn da schon die Mühe, sich wenigstens einigermaßen businessstyle anzuziehen? Bei Videokonferenzen sieht man Pullis, T-Shirts, Polos und nur ab und zu macht sich der Partner die Mühe, ein Hemd überzuwerfen. Aber Vorsicht: Gestreifte Hemden gehen bei etwas schlechterer Bildqualität gar nicht! Wirkt absolut unruhig.

Welche Langzeitfolgen das haben wird, darüber wird aktuell gerätselt. Sicherlich wird die im Kollegenkreis mittlerweile sprichwörtliche Aussage eines 15jährigen, der auf die Mahnung des Vaters, sich mal aus dem Schlafanzug herauszuschälen, mit den Worten „Den Schlafi zieh ich nach dem Unterricht aus“ konterte, Geschichte sein, wenn mal wieder Präsenz- statt Distanzunterricht von zuhause aus angeboten wird.

Aber sonst? Frühere Weisheiten wie die von Karl Lagerfeld, wonach jemand, der im Jogginganzug auf die Straße geht, die Kontrolle über sein Leben verloren habe, sind ja obsolet, wenn das Leben eben nicht mehr auf der Straße, sondern vor dem Laptop stattfindet. Werden wir alle im Büro künftig rumlaufen wie Studienräte in Jeans, Holzfällerhemd und Sandalen? Wollen wir das wirklich?

Mein Chef, der Bürgermeister, wird dennoch seinen Termin beim Herrenausstatter wahrnehmen, auch wenn er seine Anzüge nicht abgenutzt hat. Schon allein, um dieses mittelständische Geschäft in den schweren Zeiten zu unterstützen. Und wer weiß, vielleicht wird es nach einer Phase des modischen Laissez-faire einen Pendelschlag in die andere Richtung geben, hin zum gut gekleideten Mann.

Dazu passt eine Sentenz von Coco Chanel: „Mode ist vergänglich. Stil niemals“.

Ihre Sabrina

 

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