Kommunalverbändezurück

(GZ-10-2019)
gz bayerischer landkreistag

► Jahrestagung des Bayerischen Landkreistags in Veitshöchheim:

 

Standortfaktor Fachkräfte

 

Führende Köpfe aus Wirtschaft und Politik setzten sich bei der zweitägigen Jahresversammlung des Bayerischen Landkreistags in Veitshöchheim (Landkreis Würzburg) mit der Fachkräftegewinnung auseinander. „Die Versorgung mit Breitband, Mobilfunk, Gesundheits- und anderen Dienstleistungen, aber eben auch die Verfügbarkeit von Fachkräften entscheidet über die Gleichwertigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Regionen.

Von links: Landrat Herbert Eckstein, Landrat Thomas Karmasin, Landrat Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistags; Finanzminister Albert Füracker, Landrat Eberhard Nuß und Dr. Johannes Keller, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Verbands. Bild: Bayerischer Landkreistag
Von links: Landrat Herbert Eckstein, Landrat Thomas Karmasin, Landrat Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistags; Finanzminister Albert Füracker, Landrat Eberhard Nuß und Dr. Johannes Keller, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Verbands. Bild: Bayerischer Landkreistag

Voraussetzung für die wirtschaftlichen Wachstumsschübe der zurückliegenden Jahre waren überzeugende Standortbedingungen. Das muss auch in Zukunft so bleiben“, betonte Landkreistagspräsident Landrat Christian Bernreiter (Deggendorf) vor rund 300 Gästen.

„Starke Standortbedingungen sind planbar und eine solide Grundlage für unser aller Zukunft“, betonte Bernreiter. Die Digitalisierung sei die entscheidende Stellschraube einer zukunftsfähigen Daseinsvorsorge und deswegen ein Thema, das der Landkreistag mit aller Kraft vorantreiben werde. „Damit unsere Unternehmen, aber auch die Menschen dort bleiben können, wo sie sind, brauchen wir eine überzeugende Digitalisierungsstrategie“, hob der Präsident hervor.

Digitalisierung auf die Überholspur bringen

Daran arbeite derzeit auch der Bayerische Innovationsring mit Hochdruck. Gemeinsam mit der Staatsregierung wolle man die Digitalisierung der Verwaltung auf die Überholspur bringen. Beispiele sind die „digitale Baugenehmigung“ oder auch das Gemeinschaftsprojekt „digitaler Werkzeugkasten“, mit dem bis März 2020 wichtige Verwaltungsleistungen online gestellt werden sollen.

Förderprogramm

Das hierzu angekündigte Förderprogramm zur digitalen Bereitstellung von Online-Diensten im kommunalen Bereich ist Bernreiter zufolge „eine gute Antwort auf unsere Forderungen“.

Alle Haushalte in Bayern bis 2025 gigabitfähig machen

Schon lange kämpfe der Bayerische Landkreistag für eine leistungsfähige und flächendeckende digitale Infrastruktur und begrüße daher, dass sich der bayerische Koalitionsvertrag dazu bekennt, alle Haushalte in Bayern bis 2025 gigabitfähig zu machen. In der Praxis sehe es freilich nach wie vor etwas anders aus, fuhr der Verbandschef fort.

Die Telekommunikationsunternehmen gäben trotz guter Breitbandförderprogramme des Freistaats Bayern in Orten mit wenigen Haushalten zum Teil gar keine Angebote mehr ab. In verschiedenen bayerischen Landkreisen wie Passau oder Rhön-Grabfeld habe sich beispielsweise die Deutsche Telekom in den zurückliegenden Monaten nicht mehr an Ausschreibungen für den Breitbandausbau beteiligt. „Wir haben damit die absurde Situation, dass der flächendeckende Breitbandausbau im Hochtechnologieland Deutschland nicht am Geld, sondern am mangelnden Ausbauwillen der Unternehmen scheitert“, stellte Bernreiter fest. Mit „Rosinenpickerei“ werde man jedenfalls die Ziele nicht erreichen. Der ländliche Raum dürfe bei der Digitalisierung nicht abgehängt werden.

Auch beim Mobilfunk drohe dem ländlichen Raum das Nachsehen. Die Vergabebedingungen für die erfolgte Versteigerung der 5G-Frequenzen hätten nicht auf die Fläche, sondern auf Haushalte abgestellt. Bis Ende 2022 sollen nur mindestens 98 % der Haushalte je Bundesland mit mindestens 100 Mbit/s versorgt sein. Dabei sei der Ausbau in den kreisfreien Städten für die Betreiber in der Regel wirtschaftlicher als in den Landkreisen.

„Gerade angesichts des Vorschlags der Koalitionspartner, ein Recht auf digitale Teilhabe in die Bayerische Verfassung aufzunehmen, erwarten wir, dass sich die Staatsregierung mit Nachdruck deutliche Nachbesserungen und eine flächendeckende Mobilfunkversorgung einsetzt“, erklärte Bernreiter.

Elementarthema Bildung

Kein Thema sei so elementar für die Zukunft eines Landes wie die Bildung. Dementsprechend wichtig sei es auch, dass deren Digitalisierung gelingt. „Wir brauchen ein zentrales, landesweit verfügbares Angebot für Wartung und Pflege, um Systembetreuer und Schulleitungen von diesen zusätzlichen technischen Aufgaben zu entlasten“, unterstrich Bernreiter und ergänzte: „Schon jetzt muss ich anmelden, dass wir niemals dauerhaft alleine als Sachaufwandsträger die ständige Erneuerung der digitalen Ausstattung stemmen können. Wir hoffen nicht, dass die Förderprogramme von Bund und Land Eintagsfliegen sind und wir dann quasi in Zukunft für die Ausstattung mit sehr kurzen Halbwertszeiten dauerhaft sorgen müssen.“ Zu den starken Standortbedingungen zählt insbesondere auch ein leistungsstarker ÖPNV.

Einig waren sich die Tagungsteilnehmer darin, dass man die Angebote ausbauen und über die Tarife sprechen muss. „Wir müssen erst unsere eigentlichen Probleme im ÖPNV lösen, sonst hilft auch eine Flatrate nichts“, erklärte der Landkreistagschef. Dies betreffe ganz Bayern, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. In vielen Landkreisen werde bereits heute mittels flexibler Angebote wie Rufbussen auf den Wunsch der Bevölkerung nach mehr ÖPNV reagiert. Eine Verstetigung und der weitere Ausbau dieser Angebote seien wichtige Schritte zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land.

Voraussetzung sind laut Bernreiter passgenaue Förderkriterien. Während für Landkreise im ländlichen Raum flexible Bedienformen unerlässlich sind, müssten in Landkreisen rund um die großen Städte die Kapazitäten dringend ausgebaut werden. Die Ausgangsbedingungen seien aufgrund der unterschiedlichen Fahrgastzahlen und Verkehrsbelastungen nicht vergleichbar. Anders als in den großen Städten sei es im ländlichen Raum schwierig, klassische Linienverkehre wie in der Stadt eigenwirtschaftlich zu betreiben. Deswegen müssten im ländlichen Raum alternative Beförderungsmodelle dauerhaft gefördert werden, um flächendeckende attraktive Mobilitätsangebote vorhalten zu können.

Landkreise rund um die großen Städte dürfen nach Bernreiters Meinung aber ebenso wenig übersehen werden. Hier breche der ÖPNV teilweise zusammen, weil die Kapazitäten längst nicht mehr der realen Nachfrage entsprechen. Die Vielzahl an Menschen könne nicht mehr adäquat transportiert werden. Die bayerischen Landrätinnen und Landräte wollen deswegen gemeinsam mit der Bayerischen Staatsregierung Wege für einen flächendeckend überzeugenden ÖPNV finden.

ÖPNV-Angebot

„Am Ende muss ein bayernweit aufeinander abgestimmtes ÖPNV-Angebot stehen, das mit hoher Qualität und Zuverlässigkeit auf die unterschiedlichen Bedarfe Rücksicht nimmt und durch ein bayernweites Tarifsystem geprägt ist. Nicht zuletzt im Interesse unserer natürlichen Lebensgrundlagen muss der ÖPNV zu einer attraktiven Alternative für den Individualverkehr entwickelt werden“, fasste Bernreiter zusammen.

„Der Freistaat und seine Kommunen gehören zusammen - sie sind ein starkes Team für die Menschen. Das ist unsere bayerische Erfolgsformel“, hob Finanz- und Heimatminister Albert Füracker in seiner Festrede hervor. „Die Kreise und Gemeinden setzen Politik vor Ort um und sind oft der erste Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger. Bei ihren wichtigen Aufgaben unterstützen wir sie mit ganzer Kraft, natürlich auch finanziell. Insgesamt gehen 2019 rund 17 Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt an die Kommunen, das ist gut jeder vierte Euro“, so der Finanzminister. „Die Staatsregierung hält ihre Zusagen ein. Sie ist ein starker und verlässlicher Partner für die Kommunen und damit für alle Bürgerinnen und Bürger.“

Freistaat Bayern – Partner der Kommunen

Der Freistaat lasse seine Kommunen auch neben den direkten monetären Leistungen, wie zum Beispiel dem kommunalen Finanzausgleich, den Fördermaßnahmen für Breitbanderschließung und Regionalmaßnahmen, nicht allein. Er engagiere sich zudem beim Personal oder der digitalen Infrastruktur der Gemeinden und Kreise. „Die Digitalisierung ist eine große Chance, aber gleichzeitig eine Herausforderung für alle Ebenen der Verwaltung. Mit neuen Schulungsangeboten schaffen wir ein zusätzliches Angebot für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, diese Entwicklungsmöglichkeiten optimal zu nutzen“, erklärte Füracker und fuhr fort: „Wir unterstützen beim Aufbau einer zukunftsfesten digitalen Infrastruktur mit Breitbandanschlüssen und WLAN – und das gerade im ländlichen Raum. Außerdem fördert der Freistaat neue Online-Dienste, um künftig den Gang zum Rathaus in vielen Fällen virtuell zu ermöglichen.“

„Unsere Kreise und Gemeinden sind nahe an den Menschen und wissen oft am besten, was die Menschen vor Ort tatsächlich brauchen. Nicht alles muss in München entschieden werden. Daher werden wir auch in Zukunft an unserem tatkräftigen Engagement für die Kommunen in ganz Bayern festhalten“, hob Füracker hervor. Was die Bundesregierung tut, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, zeigte Christian Hirte, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie und Beauftragter der Bundesregierung für den Mittelstand, im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf. Er mahnte, sich nicht zu sehr auf die Fachkräftezuwanderung zu verlassen. Auch die europäischen Nachbarn stellten sich aufgrund der wirtschaftlichen Lage mittlerweile gegen ein Abwerben der eigenen Leute.

„Fachkräftesicherung ist zuallererst die Verantwortung der Unternehmen“, machte Thomas Leubner, Leiter Aus- und Weiterbildung bei der Siemens AG, deutlich. Nach seinen Worten investiert Siemens unter anderem jedes Jahr 500 Mio. Euro weltweit in die Aus- und Weiterbildung. Zudem existiere ein zusätzlicher Fonds in Höhe von 100 Mio. Euro für die nächsten vier Jahre für die Umschulung von Mitarbeitern, die von strukturellen Änderungen betroffen sind.

Familienzentrierte Ansätze

Wie Valerie Holsboer, Vorstand Ressourcen, Bundesagentur für Arbeit, berichtete, wurde sie bei der Übernahme ihrer Aufgabe im Jahr 2017 mit einer schockierenden Zahl konfrontiert: Rund 50.000 Jugendliche brechen jedes Jahr ihre Ausbildung ab. Vor diesem Hintergrund warb Holsboer für familienzentrierte Ansätze beim Werdegang der Kinder. Zudem forderte sie weitere Anstrengungen beim Bürokratieabbau.

Bayerns Staatsminister des Innern, für Sport und Integration, Joachim Herrmann, MdL, schwor die Landrätinnen und Landräte beim Festabend darauf ein, dass die Herausforderungen der Zukunft nur im guten Miteinander aller Beteiligten bewältigt werden können. Das sei auch in der Vergangenheit eine der großen Stärken des Freistaates gewesen.

Welche Strategien im Landkreis Cham erfolgreich waren und sind, um Fachkräfte zu halten und zu gewinnen, zeigte der Präsident des Bayerischen Bezirketags, Landrat Franz Löffler, auf. Nach seiner Überzeugung „muss Innovation ein Gradmesser für den ländlichen Raum sein“. Deshalb sei es wichtig, vielfältige Qualifikationen in der Region anzubieten, um die Fachkräfte von morgen in der Region zu sichern. Der kommunale Einsatz bei der Fachkräftegewinnung lohne sich – „es muss nicht jeder Landkreis dasselbe tun, aber er muss für seine Region das Richtige tun“. 

Mittlerweile verfügt der Landkreis Cham mit seinen 127.000 Einwohnern über 70.000 Beschäftigungsverhältnisse und 53.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. „Diese Situation stimmt uns positiv“, betonte Löffler. „In den vergangenen zehn Jahren haben wir es trotz Fachkräftemangels geschafft, jedes Jahr zwischen 600 und 800 zusätzliche Fachkräfte im Landkreis zu akquirieren. Das ist phänomenal.“

Um die ansässigen Bürger von der Qualität des Standorts zu überzeugen, sollte Regionalmarketing als zentrales Thema „nicht nur nach außen, sondern weitaus mehr nach innen gerichtet sein“, bekräftigte der Landrat. Zu diesem Zweck habe er beispielsweise die Innovationsgala initiiert, die dazu dienen soll, Leuchttürme nach vorne zu stellen und den Austausch zwischen den Wirtschaftsakteuren im Landkreis Cham zum Thema Innovation zu fördern. Alle zwei Jahre – heuer bereits zum siebten Mal – wird in diesem Rahmen der Innovationspreis „Beste Aussichten“ vergeben, ausgelobt durch den Verein „Aktionskreis Lebens- und Wirtschaftsraum Landkreis Cham e.V.“.

Das Landratsamt Cham biete zudem eine Vielzahl an Messen, Berufswahlaktionen und Infoveranstaltungen an, damit die Unternehmen für sich werben können. Auch unterstützt das Amt mit gezielten Projekten bei der Personalakquisition.

Pflege hat erst Priorität

Im Rahmen einer weiteren Podiumsdiskussion arbeitete Moderator Uwe Ritzer (Süddeutsche Zeitung) gemeinsam mit dem Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, MdL Roland Weigert, der Vorsitzenden des Bayerischen Landespflegerats, Generaloberin Edith Dürr, dem Präsidenten des Bayerischen Handwerkskammertags, Franz Xaver Peteranderl, dem Präsidenten des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags, Dr. Eberhard Sasse, und Landrat Franz Löffler heraus, mit welchen Problemen sich die verschiedenen Branchen beim Thema Fachkräftemangel konfrontiert sehen. Die Podiumsteilnehmer waren sich darin einig, dass die Pflege künftig an die erste Stelle der Prioritätenliste gesetzt werden muss, weil das Thema nahezu jede Familie betrifft. Auch werde die Digitalisierung in allen Berufssparten neue Rahmenbedingungen erfordern.

Über die jüngsten Entwicklungen zum Fachkräftezuwanderungsgesetz informierte schließlich tagesaktuell MdB Stephan Mayer, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat anstelle von Bundesminister Horst Seehofer, der der 1. Lesung des Gesetzes im Bundestag beiwohnte. Hierzulande werden derzeit rund 1,2 Millionen Fachkräfte gesucht, etwa in der Pflege oder auf dem Bau. Für die Bundesregierung ist dieser Mangel an Personal ein Risiko für die Wirtschaft. Hinzu kommt die immer älter werdende Gesellschaft. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll Ausländern, die eine berufliche Ausbildung haben, daher die Möglichkeit gegeben werden, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Bislang ist das bis auf wenige Ausnahmen für ausgewählte Branchen nur Akademikern möglich.

Vereinfachte Bedingungen für Fachkräftezuwanderung

Das Vorhaben zielt vor allem auf Fachkräfte aus Staaten außerhalb der Europäischen Union. Für sie sollen die Bedingungen vereinfacht werden, unter denen sie nach Deutschland kommen können.

Zum Gesetzespaket gehört außerdem die sogenannte Beschäftigungsduldung. Ausländer ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland, die nur geduldet sind – etwa weil sie nicht abgeschoben werden können – sollen für 30 Monate eine Beschäftigungserlaubnis bekommen. Voraussetzung dafür ist vor allem ein Ausbildungs- oder Arbeitsplatz in einem bestimmten Umfang, der den Lebensunterhalt sichert.

Das Gesetz werde auch einen Beitrag dazu leisten, illegale Migration zurückzudrängen, so Mayer, gebe es nun doch einen legalen Weg, Arbeit aufzunehmen und nicht den Umweg über einen Asylantrag zu nehmen.

DK

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