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(GZ-20-2023 - 26. Oktober)
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► Sparkassen-Finanzgruppe:

 

Deutschland muss sich modernisieren

 

Angesichts grundlegender Veränderungen der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), entschlossene Modernisierungen in Deutschland gefordert. Wegen seiner hohen Exportabhängigkeit sowie spezifischer struktureller Schwächen sei Deutschland bei der Wirtschaftsentwicklung Schlusslicht der wichtigsten Industrieländer der Welt. Dies müsse und könne auch geändert werden, erklärte Schleweis bei der DSGV-Pressekonferenz anlässlich der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Marrakesch.

Die vergangenen Jahre waren nach Ansicht des DSGV-Chefs maßgeblich von Globalisierung, jederzeitiger Verfügbarkeit von Waren und ungewöhnlich niedrigen Zinsen bestimmt. Diese Phase sei zu Ende und damit auch das Doping der Wirtschaftsentwicklung durch billiges Geld. Besonders die vier großen D – Deglobalisierung, Demografie, Dekarbonisierung und Digitalisierung – stellten Herausforderungen dar. Sie dämpften das Wachstum und hielten den Inflationsdruck hoch. Diese Herausforderungen könnten mit entschlossener Politik bewältigt werden, zeigte sich Schleweis überzeugt.

Nach Einschätzungen der Sparkassen-Finanzgruppe wird die Zahl der Fachkräfte in Deutschland bis 2040 um fast 9 % zurückgehen. Nur die Hälfte des Bedarfs an Fachkräften mit den wichtigen sog. MINT-Qualifikationen könne in den nächsten Jahren überhaupt noch gedeckt werden. Um die Balance zwischen Menschen im Arbeitsleben und im Ruhestand zu erhalten, benötige Deutschland die Zuwanderung arbeitswilliger und arbeitsfähiger Menschen in einer Größenordnung von bis zu 400.000 jährlich. Das werde nur möglich sein, wenn ein modernes, auf den Bedarf ausgerichtetes Einwanderungssystem geschaffen werde. Darüber hinaus werde es notwendig sein, Menschen für eine längere Lebensarbeitszeit zu gewinnen, erklärte Schleweis.

Energiewende forcieren Zudem plädierte er dafür, die Energiewende zum Erhalt des volkswirtschaftlichen Wohlstands schneller und entschlossener voranzutreiben. Der Schlüssel dafür seien der schnellere Ausbau der Leitungsnetze und der Speichertechnologien. Dazu müssten die heutigen komplizierten und langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren drastisch verkürzt und entschlackt werden. Darüber hinaus biete die Digitalisierung, vor allem der Einsatz künstlicher Intelligenz, die Chance für eine deutlich höhere Produktivität und nennenswerte Wirtschaftsimpulse. Darauf sei gerade Deutschland in Zeiten fehlender Arbeitskräfte dringend angewiesen.

Kein Grund für Trübsal

Auch rief der Verbandschef dazu auf, die von Passivität geprägte mentale Verfassung zu überwinden. „Es gibt keinen Grund Trübsal zu blasen. Wir haben gute Bedingungen, um den notwendigen Wandel kraftvoll zu gestalten“, hob Schleweis hervor und verwies in diesem Zusammenhang erneut auf die Stärke des deutschen Mittelstands. Nach seinen Worten rechnen die deutschen Sparkassen in absehbarer Zeit nicht mit weiteren Zinserhöhungen durch die EZB. „Nach unserer Einschätzung werden die Kapitalmarktzinsen allerdings auf längere Zeit niedriger liegen als die Inflationsraten. Das bedeutet eine negative Realverzinsung. Kaufkrafterhalt funktioniert dann am besten über breit gestreute Wertpapieranlagen.“

Tagesgeld ist keine gute Anlageempfehlung

Schleweis kritisierte die öffentliche Fixierung auf Tagesgelder. „Mit Tagesgeld spart man der Inflation hinterher. Das ist keine gute Anlageempfehlung.“ Anleger sollten sich langfristig orientieren und müssten dazu bereit sein, kurzfristige Wertschwankungen auszuhalten. In nächster Zeit dürften sich die Aktienmärkte zunächst mit hohen Schwankungen seitwärts bewegen. Mittelfristig dürften sie wieder von globalem Wachstum und dem Umbau der Wirtschaft mit Blick auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit profitieren.

Die neue Inflations- und Zinswelt, die Schwankungen an den Kapitalmärkten und das Phänomen des negativen Realzinses machten für die Breite der Bevölkerung eine gute Beratung zwingend. Die Sparkassen kämpften deshalb dafür, dass für Kleinanleger keine neuen Hürden auf dem Weg zur Beratung aufgebaut werden. „Die Beratung muss auch dann kostenlos bleiben, wenn es gar nicht zum Abschluss kommt.“ Überdies sei es auch ein Vorteil, wenn über volumenbezogene Provisionen die Beratung von Kleinanlegern solidarisch mitfinanziert wird. Angesichts ihrer Verantwortung für die Vermögensbildung der breiten Bevölkerung wollten die Sparkassen auch künftig an diesem System festhalten.

Die Sparkassen-Finanzgruppe unterstützt den Weg hin zum nachhaltigen Wirtschaften und konsequenten Klimaschutz, fordert aber in der Umsetzung mehr Markt und mehr globale Standards. „Eine detaillierte politische Steuerung der Marktakteure schränkt die unternehmerische Kreativität ein, die zu schnelleren und besseren Lösungen führen würde“, machte Karolin Schriever, Geschäftsführendes Vorstandmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) deutlich. Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, müssten allein in der deutschen Wirtschaft bis 2045 jährlich rund 6 Prozent des deutschen BIP investiert werden. Möglich sei die Mobilisierung derartiger großer Summen nur, wenn dies wirtschaftlich attraktiv und nicht mit zu viel bürokratischem Aufwand verbunden sei.

Wirtschaftliche Anreize setzen

Die EU verpflichte Kreditinstitute, Investoren, Versicherungen und Unternehmen sukzessive, die Nachhaltigkeit messbar zu machen und die Ergebnisse zu berichten. „Wir halten das Ziel der politischen Maßnahmen für richtig, den gewählten Weg über Bürokratie aber für nicht effizient genug“, so Schriever. Künftig müsse es mehr darum gehen, wirtschaftliche Anreize für Klima-Verbesserungen zu setzen, statt neue Bürokratielasten zu schaffen.

Schriever schlug konkret vor, statt neuer Regulierungen einen CO2-Preis einzuführen. Derzeit müssten Klimafolgen in aller Regel von der Gesellschaft insgesamt und nicht von den eigentlichen Verursachern getragen werden, weil sie nicht Teil des Marktpreises seien. In einer Marktwirtschaft sei aber der Preis das wirksamste Mittel, um Verhalten zu beeinflussen. Statt durch staatliche Regulierung Kapital in politisch gewünschte Zwecke lenken zu wollen, sei es besser, den Ressourcenverbrauch mit einem Preis zu belegen und damit zum festen Bestandteil einer jeden wirtschaftlichen Kalkulation zu machen. Eine CO2-Bepreisung schaffe Anreize für Unternehmen und Einzelpersonen, ihre Emissionen zu reduzieren und überlasse es dem Markt, die effizientesten Wege zur Emissionsreduktion zu finden. Mit den so erzielten Einnahmen könne der Staat einen sozialen Ausgleich für übermäßige Belastungen Einzelner sicherstellen.

Zugleich plädierte Schriever für mehr globale Nachhaltigkeitsstandards und einen ungehinderten Welthandel. Die europäischen Standards zu Taxonomie und Nachhaltigkeitsberichterstattung seien angesichts international ausgerichteter Kapitalmärkte nicht ausreichend. Unterschiedliche Verständnisse von Nachhaltigkeit führten dazu, dass Kunden nicht nachvollziehen können, was in nachhaltigen Finanzprodukten wirklich drin ist.

Die Geschäftsführerin warnte vor De-Globalisierung und Handelsbeschränkungen. Die deutsche Wirtschaft sei exportorientiert und auf internationale Arbeitsteilung aufgebaut. Eine Re-Nationalisierung oder auch nur Re-Europäisierung wären mit erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. Deutschland habe deshalb ein originäres wirtschaftliches Interesse, für gute internationale Beziehungen und für möglichst ungehinderten globalen Handel einzutreten.

DK

 

 

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