Fachthemazurück

(GZ-18-2023 - 28. September)
gz fachthema
GZ-Plus-Mitgliedschaft

► Großhesseloher Isarwehr:

 

Forellen und Äschen bekommen freie Bahn

 

Nach jahrelangen Diskussionen und Planungen entsteht im Zuge der Wehrsanierung auch eine moderne Fischwanderhilfe

Baggerarbeiten befördern NS-Verbrechen aus dem Flussbett

 

Bei hochsommerlichen Temperaturen war es soweit: Mit einem symbolischen 1. Spatenstich läuteten Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer, Dr. Christoph Rapp, Leiter Wasserkraft, und Projektleiter Lukas Mas-Zehetbauer (alle drei Stadtwerke München) die seit Mai 2023 laufenden Neu- und Umbauarbeiten am 115 Jahre alten Großhesseloher Isarwehr ein. Nach intensiven Vor- und Umplanungen wird die zum Teil unter Denkmalschutz stehende Anlage nun bis Herbst 2024 entsprechend den gestiegenen Anforderungen an Ökologie und Hochwasserschutz umfassend saniert bzw. neu gebaut und ökologisch aufgewertet. Denn parallel zur neuen Wehranlage entsteht eine nach heutigen Erkenntnissen wirksame Fischwanderhilfe. Sie ermöglicht den im Oberlauf der Isar heimischen Lachsfischen (Salmoniden) wie Forelle, Renke und Äsche, ihren Lebensraum in der Isar und dem dazugehörigem Isarkanal zu erweitern.

Das bisherige Großhesseloher Wehr und die Anlage nach dem Umbau mit der Fischtreppe (am Ufer rechts). Bild: cam.p-solutions
Das bisherige Großhesseloher Wehr und die Anlage nach dem Umbau mit der Fischtreppe (am Ufer rechts). Bild: cam.p-solutions

Geschäftsführer Helge-Uve Braun betonte, dass die bereits 2008 mit dem ‚Isarplan‘ zwischen der Stadt und den Stadtwerken München vereinbarte ökologische Aufwertung der Anlage in einem Flora-Fauna-Habitat und Landschaftsschutzgebiet nun bestmöglich umgesetzt werde. Künftig wird die vereinbarte Mindestwasserabgabe in die Isar vollautomatisch erfolgen. Die anspruchsvolle ökologische Vernetzung von Isar und Werkkanal soll mit der neuen Wehranlage noch besser funktionieren. Wenn sich die Wassertemperatur der Isar in den künftig zu erwartenden Hitzeperioden stärker erwärmt, findet die vielfältige Wasserfauna im fast zehn Meter tiefen Werkkanal die überlebenswichtige Kühle. Ein echter ökologischer Mehrwert ist der Neubau der hochwirksamen technischen Fischaufstiegsanlage. Ihre versetzten Schlitzkammern, deren Wasserstände um jeweils etwa zehn Zentimeter übereinander liegen, ermöglichen den Wasserlebewesen ein energiesparendes Durchschwimmen. Die alte Fischtreppe am rechten (östlichen) Isarufer war mit Abstufungen von rund 50 Zentimetern und aus strömungstechnischer Sicht eine weitgehend funktionsunfähige Fehlkonstruktion. Helge-Uve Braun ist sich sicher, dass mit der Sanierungsmaßnahme die Anlage für die nächsten hundert Jahre fit für aktuelle und zukünftige Anforderungen sein wird.

Denkmal-, Hochwasserschutz und Flussökologie

Wasserkraftchef Dr. Christoph Rapp zeigte sich zufrieden, dass die Planungen, zu denen zahlreiche Beteiligte wie Flößer, Kanusportler, Fischereisachverständige und Denkmalschutzexperten gehört wurden, nun zur Baugenehmigung und Umsetzung geführt haben. Galt es doch, Denkmalschutz, Flussökologie mit Flora und Fauna sowie das Bauen in einem ökologisch hochsensiblen Raum unter einen Hut zu bringen.

Das alte viertorige vertikale Wehr wird durch zwei optisch ansprechendere Wehrklappen ersetzt. Die Wehranlage ist für den Hochwasserschutz der Stadt von großer Bedeutung. Sie reguliert die Wasserführung zwischen dem Werkkanal und der Isar. Zugleich regelt sie den Wasserzulauf für vier Wasserkraftwerke mit ihrer regenerativen Stromerzeugung und den unverzichtbaren Kühlwasserzufluss für das Heizkraftwerk Süd mit seiner Strom-, Fernwärme- und Kälteerzeugung. Darüber hinaus speist der Werkkanal die Floßlände und die Münchner Stadtbäche. Die beiden neuen Wehrklappen arbeiten vollautomatisch. Sie regulieren einerseits den Wasserstand und erlauben andererseits durch das Absenken der Wehrklappen den Abfluss des Treibguts in der Isar, so dass die Wehrfelder bei Hochwasser nicht blockiert werden. Die hydraulisch gesteuerte Wehrklappe, die direkt an die Fischaufstiegsanlage grenzt, wird im Normalbetrieb kontinuierlich überströmt werden und den ständigen Wasserabfluss in die Isar regulieren. Die sich anschließende zweite Wehrklappe wird über Luftkissen gesteuert und nur bei Hochwasser abgesenkt, um einen erhöhten Abfluss zu ermöglichen. Mit der Luftkissentechnik ist die Betriebssicherheit auch bei einem Stromausfall oder einem 100-jährigen Hochwasser gewährleistet. Sie hat sich bereits in den USA und Japan bewährt und soll den Austritt von fetthaltigen Schmiermitteln in das Flusswasser verhindern.

Floßrutsche bleibt erhalten

Durch die überarbeiteten Planungen kann die alte Floßrutsche als Technik-Denkmal ebenso erhalten bleiben wie die Rückstauschleuse im Kanal und das weithin sichtbare historische Schleusenwärterhäuschen. Schließlich muss zwischen dem neuen Wehr und dem bestehenden Betriebsgebäude bzw. dem Schleusenwärterhäuschen die neue, nach dem Stand von Wissen und Technik konzipierte
Fischwanderhilfe untergebracht werden.

Gesprengt, versenkt, wieder aufgetaucht

Weltweites Aufsehen erregte der Fund der Trümmer der ehemaligen Münchner Hauptsynagoge. Bei Baggerarbeiten im Rahmen des Sanierungsprojekts Großhesseloher Wehr wurden seit dem 28. Juni 2023 rund 350 Tonnen Abbruchmaterial der Synagoge aus einer Tiefe von zwei bis acht Metern aus der Isar geborgen. Der Fund aus der unrühmlichen NS-Vergangenheit der Hauptstadt der Bewegung war dahingehend eine Sensation, als man bisher davon ausging, dass die Abbruch- und Sprengarbeiten einer regimetreuen, renommierten Münchner Baufirma so gründlich gewesen sind, dass keine Reste der Hauptsynagoge mehr vorhanden waren. Der Fund im Isarbett ist daher von unschätzbarem Wert für die weitere Aufarbeitung dieser dunklen Zeit. An dieser Aufarbeitung will die heutige Geschäftsführung der Nachfolgefirma mitwirken.

Eindeutig identifiziert

Denn was haben Geschichte und Internet gemeinsam? Beide vergessen nie, selbst wenn sie im WorldWideWeb bzw. in den Tiefen eines reißenden Flusses verschwinden sollen. Das zufällige Wiederauftauchen rührt an vernarbte Wunden, die dann wieder schmerzen. Auf Befehl Hitlers wurde das jüdische Gotteshaus bereits am 9. Juni 1938 in einem Akt der Barbarei und noch vor der Reichsprogromnacht (9. November 1938) als erste Synagoge im Dritten Reich überhaupt dem Erdboden gleichgemacht. Das durch hebräische Inschriften eindeutig identifizierbare Abbruchmaterial (z.B. eine weitgehend unbeschädigte Gesetzestafel aus Marmor mit den Zehn Geboten) wurde auf firmeneigenen Flächen gelagert. Als Mitte der 1950-er Jahre Sanierungsarbeiten beim Großhesseloher Wehr an eben diese Baufirma vergeben wurden, boten sich die historisch belastenden Trümmer der Synagoge als Schüttmaterial perfekt an, um sie endgültig verschwinden zu lassen. Sie wurden zur Auffüllung einer Ausspülung (eines Kolks) am Wehr Großhesselohe in die Isar nach dem Motto „Aus den Augen aus dem Sinn“ entsorgt. Die so von belastendem Material freigeräumten Lagerflächen wurden in den 1970-er Jahren von der Stadt München für die Bundesgartenschau erworben und bilden heute großteils den Münchner Westpark. Ob sich unter dem Westparkgelände noch weitere Synagogen-
trümmer befinden, ist unklar.

Die aus der Isar geborgenen Relikte der Synagoge lagern derzeit bei den Stadtwerken München und sollen in den nächsten zwei Jahren unter der Leitung des Landesamtes für Denkmalpflege unter anderem von Experten des Jüdischen Museums München wissenschaftlich untersucht und katalogisiert werden.

JK

 

 

Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?

Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!

 

GemeindeZeitung

Fachthema

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung