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(GZ-7-2023)
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Mehr Diskurs wagen

OB Christian Schuchardt plädiert für größere gegenseitige Verständnisbereitschaft

Es ist noch gar nicht so lange her, als es jede Menge Sachen gab, die das Gros verband. „Man saß zum Beispiel um 20 Uhr vor der Tagesschau“, führt Oberbürgermeister Christian Schuchardt als Beispiel an. Am Sonntagabend sah man „Tatort“. Und sprach darüber am nächsten Tag im Betrieb. Solcherart Gemeinsamkeiten werden rarer. Die Menschen leben in immer mehr „Teilwelten“. Diskursräume zwischen diesen Welten zu eröffnen, ist Schuchardt ein großes Anliegen.

Ein Oberbürgermeister hat, wenn er sich nicht bewusst abschottet, hautnahe Beziehungen zu allen Teilen der Stadtbevölkerung. Schuchardt schottet sich nicht ab. Er geht zu Veranstaltungen, Empfängen und Versammlungen. Nicht zuletzt in seine Bürgersprechstunde sind alle Stadtbewohner willkommen. Schuchardt scheute sich nicht einmal, auf einer Montagsdemo mit einem, wie er sagt, „Corona-Leugner“ zu sprechen. Im Rathaus unterhält er sich mit Beschäftigten, die russisches Staatsfernsehen empfangen und eine dem hiesigen Mainstream diametral entgegengesetzte Auffassung von den Hintergründen des Ukraine-Kriegs haben.

Nun ist es tatsächlich eine interessante Frage, ob in dem Krieg, dessen Ausbruch nach wie vor unfassbar bleibt, einzig und allein das Machtstreben eines Imperialisten zum Ausdruck kommt. Oder ob es noch andere Aspekte gibt, die zu wissen und zu verstehen wichtig wären. Gerade Kriege sind komplex. So könnten der Erste und der Zweite Weltkrieg jeweils ganze Bibliotheken füllen. Immer dann, wenn etwas komplex ist, wäre es wichtig, Erkenntnisse, Einsichten und Erfahrungen zusammenzutragen. Schuchardt plädiert dafür, die beklemmend eng gewordenen Debattenräume zumindest in der Würzburger Stadtgesellschaft wieder zu öffnen.

Vergleicht man das Einst und das Jetzt, wird klar, warum gesellschaftlich inzwischen alles so schwierig erscheint. Nicht nur die „Tagesschau“ und der „Tatort“ verbanden in früheren Zeiten. Die allermeisten Menschen gehörten auch einer der christlichen Religionen an. „Inzwischen ist nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung christlich“, so Schuchardt. Auch Familienverbände lösen sich immer weiter auf. Statt einer „Hauptlebenswirklichkeit“, wie es sie vielleicht noch in den Achtzigerjahren gab, stehen heute viele verschiedene Lebenswirklichkeiten einander gegenüber – nicht selten sogar in unversöhnlichem Gegensatz zueinander.

Aus- und Abgrenzung

Dieser Tage wird schon in kindlichem Alter gelernt, mit Unterschieden umzugehen. Etliche Erzieherinnen bemühen sich darum in Krippen und Kindergärten. In der Erwachsenenwelt schaut das anders aus. Es wird diffamiert statt zugehört. Man grenzt sich ab und andere aus, wenn sie anderer Auffassung sind. Die Corona-Krise verschlimmerte diesen Trend. „Das Virus droht zum Spaltpilz zu mutieren“, konstatierte Schuchardt bereits Anfang 2022 beim städtischen Neujahrsempfang. Schon vor mehr als einem Jahr plädierte er dafür, politische Minderheiten nicht länger zu marginalisieren. Auch Menschen, die „abstruse Ansichten“ hätten, müssten sich ernstgenommen fühlen.

Bis heute predigen die christlichen Kirchen, dass man seinen Nächsten lieben soll. Dabei wird nicht unterschieden zwischen Menschen mit konformen Einstellungen und solchen, die zu abweichenden Meinungen gekommen sind. Schuchardt ist nicht nur ein Pro forma-Christdemokrat. Man sieht ihn immer wieder mal im Gottesdienst. Was er vor einem Jahr in seiner Neujahrsansprache sagte, deckt sich voll mit dem Gebot der Nächstenliebe, aber auch mit urdemokratischen Gepflogenheiten, die aktuell dramatisch ins Hintertreffen zu geraten drohen. „Ein totaler Ausschluss missliebiger Ansichten ist per se mit einer demokratischen Streitkultur inkompatibel“, so der OB.

Schuchardt ist damit schon vor mehr als einem Jahr als Mahner aufgetreten. Der „Spaltpilz“ Corona-Virus hat seitdem an Brisanz verloren. Etliche andere Themen sorgen derweil für Zündstoff. Dazu gehört der Krieg in der Ukraine. Dazu gehört das zum Teil als „Sprachzwang“ gewertete Gendern. Dazu gehört die Klimadiskussion. Dazu gehören Fragen die Migrationspolitik betreffend. Als Oberbürgermeister ist es Schuchardt wichtig, bei allen kontroversen Themen, um Verständnis zu werben und zu appellieren, Maß zu halten. „Wenn man das nicht tut, verliert man das eine oder das andere gesellschaftliche Ende“, sagt er. Damit wäre die Spaltung endgültig vollzogen.

Vielerorts ist inzwischen zu erleben, wie massiv negativ sich konsequente Diskursverweigerung auswirken kann. „Man darf Menschen, die den Mainstream nicht teilen, nicht der sozialen Verdammnis aussetzen“, warnt Schuchardt. Streit und Diskurs seien keine Schwächen, sondern sie seien die Stärken der Demokratie. Er selbst, verspricht er, wird sich weiter bemühen, den Dialog mit möglichst allen Menschen zu führen. Gerade auch mit solchen, die abweichende Ansichten vertreten. Wer weiß, vielleicht haben sie ja irgendwo sogar recht.

Pat Christ

 

 

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