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(GZ-24-2022)
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Neue Realität oder entspannte Normalität?

Zwar müssen Pinos menschliche Kolleginnen und Kollegen im Rathaus 8 Stunden täglich bei 19 Grad Celsius frieren; aber ansonsten herrscht doch überall im Freistaat große vorweihnachtliche Freude über die entspannte maskenfreie neue Normalität – vorausgesetzt man muss nicht in Fernzügen reisen. Der Rathauskater mutmaßt über die demokratische Reife der zuständigen Minister.

Weihnachten ist nahe und alles fühlt sich gut an. Also jedenfalls dann, wenn ein Mensch sich die Fähigkeit bewahrt hat, Probleme, Katastrophen oder Leid für eine kleine Weile auszublenden, in der er es sich gut gehen lässt und sein persönliches Leben genießt.

Ich freue mich für jeden, der das kann. Geht man etwa über den Weihnachtsmarkt in unserer Stadt spürt man, wie stark das Bedürfnis nach einer emotionalen Rüstzeit angesichts all dessen ist, was in den vergangenen Jahren, Monaten, ja Tagen auf die Leute einstürmt. Man genießt Glühwein, der deutlich weniger kostet, als die 5 Euro, die aus Metropolen-Christkindlmärken berichtet werden. Mit Appetit werden Würstchen, Flamkuchen und Crêpes verspeist. Kinder fahren mit Bimmelbahnen und Karussells, auf denen teilweise schon ihre Eltern seinerzeit ihren Spaß hatten.

Zum Weihnachtsmarkt fährt man im Bus wieder ohne Maske. Auch so ein Stück entspannte Normalität, die sich die Leute nach so vielen Monaten Ausnahmezustand wirklich verdient haben. Warum diese Angleichung an den Flugverkehr in Fernzügen noch nicht vorgenommen wurde, lässt sich wohl kaum mit logischen Gründen darlegen, sondern nur mit Blick auf die Rationalität und die demokratische Reife der handelnden Minister bzw. Regierungen erklären.

Kleine Fluchten wie den Besuch auf dem Christkindlmarkt oder die Weihnachtsfeier der Firma oder des Amtes sind dieses Jahr meines Erachten besonders wichtig. Denn kommt man aufgeheizt vom Glühwein in sein Büro zurück, darf man gleich wieder auf 19 Grad Celsius herunterkommen. So sieht die Realität in den Amtsstuben des Rathauses und sicher in vielen Behörden und Unternehmen aus. Man sitzt mit Pullover und Daunenweste, die Damen vorzugsweise auch noch mit einem breiten Schal über den Schultern, am Schreibtisch, an den Füßen Winterstiefel. Kein Wunder, dass bei den Frauen, insbesondere den jüngeren, UGG-Boots absolute Konjunktur haben. Potthässlich, aber warm.

Mal ehrlich, 19 Grad sind keine Temperatur, die man acht Stunden im Sitzen aushalten kann. Als Mann schon nicht und erst Recht nicht als Frau. Aber Energiesparen gehört halt jetzt zur neuen Realität. Und jede und jeder macht doch mit, schon allein mit Blick auf das Portemonnaie – Gaspreisbremse hin, Energiezuschuss her. Oder vielleicht doch nicht?

Ja, die Preise werden voraussichtlich hoch bleiben, wozu die Bundesregierung ihren Teil beiträgt, indem sie europäische Solidarität beim Energieeinkauf verweigert und in Zukunft zwei verstaatlichte Gaseinkäufer mit Uniper und SEFE in Konkurrenz zueinander betreiben will. Einer gehört dem Finanz-, der andere dem Wirtschaftsminister und sie werden gegenseitig die Preise hochschaukeln. Aber egal, es gibt ja die Gas- und die Strompreisbremse, den Härtefallfonds und die Energiezuschüsse für so gut wie jeden (für machen auch doppelt und dreifach). Die Versorger freuts, die bekommen Zuschüsse für ihre teuren Einkäufe, den Verbraucher freuts, der kann subventioniert die heimische Heizung doch ein bisschen höher drehen als empfohlen – und der Steuerzahler des Jahre 2050 sitzt ahnungslos und freudig auf dem Weihnachtsmarktkarussell, denn die Kinder werden mal all die Schulden bezahlen müssen, die jetzt verpulvert werden.

Aber das alles soll uns nicht vergessen machen, dass es andernorts um Menschen wirklich schlimm steht. In Odessa, das drei Monate ohne Strom sein wird, in den Schützengräben des Donbas, in denen die Soldaten Kälte, Feuchtigkeit und Granaten ausgesetzt sind, in Familien, die Gefallene zu beklagen haben. Denken wir bei aller Vorfreude auf Weihnachten an sie und den Satz des Schweizer Pfarrers und Schriftstellers Kurt Marti: „Die Ware Weihnacht ist nicht die wahre Weihnacht“.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in ein paar Tagen feiern wir die Geburt des Kindes, das der Welt Liebe und Hoffnung brachte, Vergebung und Trost. Ich wünsche Ihnen von Herzen, Sie können das Fest in Frieden, Harmonie und in der Zuversicht feiern, dass des Menschen größte Fähigkeit immer noch darin besteht, nach dem Guten zu streben.

Ihr Pino

Pino

 

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