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(GZ-19-2021)
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Von der Botschaft der Bilder

Vom Wahlplakat bis zum Selfie, Politikbetrieb ohne Fotos ist längst nicht mehr vorstellbar. Aber kann unsere moderne Bilderflut mehr Inhalt vermitteln, als ein eitles „Ich-war-auch-dabei“? Unser Kater meint eher nein, nur leider geht es nicht mehr ohne.

Uns Katzen zeichnet neben unbestreitbarer Intelligenz und sprichwörtlichem Einfühlungsvermögen vor allem Neugier und die Lust an Geschichten aus. Deshalb lauschen wir auch immer auf die Erzählungen der alten Kater und merken uns ihre Anekdoten, um sie unsererseits weiterzugeben.

Eine dieser Geschichten handelt davon, wie eines Tages im Jahr 1994 die Menschen von einem Großplakat überrascht wurden, das einen verschmitzt dreinblickenden Bundeskanzler Helmut Kohl zeigte, das Kinn in die Faust gestützt, und mit dem Slogan „Politik ohne Bart“ versehen. Denn sein damaliger Gegenkandidat nannte eine entsprechende Manneszier sein eigen, die ihm zwar nicht den Weg in die Mainzer Staatskanzlei, aber den ins Bundeskanzleramt verwehrte. Bald nach der Wahl vertraute er sich einem Barbier an.

Im heurigen Wahlkampf fiel eine Anzeigenkampagne auf, die einen leeren Bürostuhl zeigte und das Wahlvolk dazu aufforderte, diesen Sessel mit Herrn Scholz zu füllen. Politik mit leerem Stuhl sozusagen. Für Kulturpessimisten war der leere Stuhl nur eine konsequente Fortsetzung des inhaltsleeren Wahlkampfes. Oder wollte man einfach nur den Zeitungslesern nicht das brutale Frontfoto des Kandidaten zumuten, das an jeder Straßenecke hing?

Ehrlich gesagt haben diese knallroten Plakate mit dem streng dreinblickenden schwarz-weißen Mann von meiner Katzen-perspektive schräg von unten nach oben bedrohlich gewirkt. Vor allem, wenn er den Wahlzettel wie ein Schiedsrichter die rote Karte in die Höhe gereckt hielt. Da waren doch die blauen Plakate mit dem freundlichen älteren Herrn, der aussah wie ein trauriger Kreditsachbearbeiter der Sparkasse Aachen beruhigender.

Auch seltsam waren die Plakate mit der jungen Dame und dem unrasierten Herren, die so grünstichtig waren, als ob die beiden gerade verdorbene Muscheln gegessen hätten. Oder um es mit dem Bierdeckelspruch einer Wahlkreisdirektkandidatin dieser Partei zu sagen: B(e)reit, weil ihr es seid.

Ikonisch in diesem Wahlkampf waren aber die schwarz-weißen Bilder der vierten relevanten Partei. Gut fotografiert, top inszeniert, klare Ästhetik – wenngleich man ins Grübeln kam, warum eine Partei, die sich für die Digitalisierung der Verwaltung einsetzt, ihren Spitzenkandidaten nächstens über Unterschriftenmappen statt einem PC gebeugt ablichtet.

Aber das ist ja Schnee von gestern. Der neuste Knaller auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten ist das Selfie. Ja, dieser Inbegriff des Egotripps, den man von jungen Leuten und Touristen kennt, die sich vornehmlich allein oder mit dem Partner vor Sehenswürdigkeiten, Traumkulissen oder schlicht vor irgendetwas selbst ablichten, um zu dokumentieren: Ich war hier.

In Asien wurde sogar der Selfie-Stick erfunden, mittlerweile auch in verlängerter Version erhältlich, an den man sein Smartphone anbringen kann, um dann noch spektakulärere oder raumgreifendere Bilder machen zu können. Damit wurde das Selfie, was früher mal die Postkarte war, nämlich das Mittel, um zu beweisen, dass man einen Ort besucht und sich dort aufgehalten hat. Unterschied zur Karte: Das Selfie kommt in Echtzeit beim Empfänger an.

Das neu erfundene politische Selfie verschweigt diskret, wo es aufgenommen wurde. Es soll nur Nähe zeigen: Vier Leute, ungefähr im gleichen (gefühlten) Alter, alle vier gleich lässig, alle vier konzentriert, wollen dem Betrachter sagen: Mit uns kann es was werden. Und dieses Selfie ging viral, wird im politischen Berlin als absolut hot angesehen, weil… – ja, warum eigentlich: Weil wir uns alle miteinander abgewöhnt haben, nach Inhalten zu fragen und stattdessen nach Bildern lechzen.

Der Bürgermeister ist kein Fan von solchen Oberflächlichkeiten. Aber auch er wird seine Lehren für die politische Kommunikation daraus ziehen müssen. Er sollte aber immer an die Worte des ersten Nobelpreisträgers für Literatur, Sully Prudhomme, denken: „Nur der Ehrgeiz, durch den keine Eitelkeit schimmert, hat Zukunft.“

Ihr Pino

Pino

 

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