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(GZ-17-2021)
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Die Krux mit den Vorbildern

Ein Kanzlerkandidat sieht Helmut Schmidt als Rollenvorbild? Ernsthaft? Unser Rathauskater versteht die Menschheit nicht mehr und verweist in dieser Beziehung auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung – auch auf die Gefahr hin selbst als Schwadroneur abgestempelt zu werden.

Ich muss freimütig zugeben, dass ich in den vergangenen Wochen doch etwas in meiner Überzeugung schwankend geworden bin, die Menschen wirklich verstehen zu können. Vor allem fasziniert mich die Frage der Rollenvorbilder.

Nachdenklich bin ich geworden, als ich den Wahlwerbespott einer Partei gesehen habe. Zu den gemessenen Schritten des Kandidaten werden die Worte des Amtseides des Bundeskanzlers eingespielt, gesprochen von Helmut Schmidt. Danach die sinngemäße Aussage, als Schmidt Deutschland aus der Krise geführt habe, hätte sich der damals als junger Mann noch fröhlich dreinblickende Kandidat für die Politik engagiert. What? Helmut Schmidt als Vorbild?

Zunächst: Der korrekte Text wäre gewesen „Als Helmut Schmidt versucht hat, das Land aus der Krise zu führen, in die Willy Brandt es gebracht hat“. Aber so viel Kenntnis der Zeitgeschichte kann man nicht unterstellen, wenn man Schmidt ernsthaft als politisches Vorbild heranziehen will. Obwohl, einige Parallelen zu heute sind sicherlich sichtbar. So durfte Schmidt nie das wichtige Amt des Parteivorsitzenden bekleiden, sondern musste mit dem Bundeskanzleramt Vorlieb nehmen. Auch konnte er in Sicherheits- und Verteidigungsfragen sich nie wirklich und entscheidend gegen seine mit der Finnlandisierung Deutschlands liebäugelnde Partei durchsetzen. Nachdem sich seine Wirtschafts- und Finanzpolitik zum Desaster entwickelte, konnte er gegen seine staatskapitalistische Partei nicht ankommen, was schließlich sogar zum Bruch der ihn damals tragenden Koalition führte.

Denn Inflationsraten von sechs oder gar sieben Prozent waren in der Amtszeit Schmidts bittere Realität. Hat die Regierung Brandt beherzt die Schuldenaufnahme, die in der jungen Bundesrepublik ein Novum war, zum Laufen gebracht, wurden unter Schmidt nie gekannte Schuldenberge aufgehäuft – wohlgemerkt ohne große wirtschaftspolitische und weltpolitische Herausforderungen wie die deutsche Wiedervereinigung.
Aber neben meiner Verwunderung über die Berufung auf solche Vorbilder wundere ich mich auch, dass ernsthaft darüber diskutiert wird, die Partei an einer künftigen Bundesregierung zu beteiligen, die von den 50er bis in die 80er Jahre – wenngleich unter anderem Namen – die DDR regiert hat. Die Parteinamen haben schon mehrfach gewechselt, aber der Markenkern ist doch irgendwie stabil.

Wie in der DDR sollen Wohnungen in Volks…, pardon, Staatseigentum übergeführt und die Mieten reguliert werden. Die Bilder maroder und heruntergekommener Mietshäuser mit spartanischer Ausstattung von Rostock über Leipzig bis Erfurt sind wohl weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Einheitsrente ist ebenso wie die Einheitskrankenversicherung auch wieder auf dem Wunschzettel, gepaart mit staatlicher Lohnfindung, wahlweise als Mindestlohn oder Grundeinkommen verpackt. Hauptsache keine wirtschaftliche Differenzierung nach Leistungskriterien. Eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich soll wohl dafür sorgen, dass die unvermeidbaren wirtschaftlichen Einbrüche durch Aktivitäten der Selbstversorgung ausgeglichen werden können. Russland wird wieder unser bester Freund und aus unserer Mittellage auf dem europäischen Kontinent zieht man die Folgerung, dass man kein Geld fürs Militär ausgeben sollte, wenn man sich ohnehin nicht verteidigen kann.

Ich bitte mich nicht falsch zu verstehen: Das kann man sicherlich alles in einer Demokratie vertreten und fordern. Keine Frage. Aber ist man damit ein ernsthafter potentieller Koalitionspartner?

Nun gibt es jetzt sicherlich einige, die diese Zeilen als Zumutung eines schwadronierenden Katers empfinden. Nun, auch als Katze reklamiere ich das Recht auf das freie Wort für mich und auf eine Meinungsbildung, statt Umfragetrends hinterherzulaufen. Im Übrigen gibt mir ein Wort der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann zu denken: „Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.“

Ihr Pino

Pino

 

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