Immerhin machen Menschen unserer Alterskohorte 70 Prozent der Erwerbstätigen aus und erwirtschaften 82 Prozent des Steueraufkommens. Da ist die Forderung nach ein bisschen Aufmerksamkeit wohl nicht zu viel verlangt. Sonst geht es ja in den Diskussionen meist um Interessen der Jüngeren, um Schule, Ausbildung und Hochschulen. Bis zum Erbrechen wird auch über die ältere Generation geredet, vor allem darüber, wie noch mehr Geld von unserer mittleren Generation zu den Alten geschaufelt werden kann. Obwohl es den Rentnerinnen und Rentnern nie in der Geschichte so gut ging wie heute, reicht das Schreckgespenst Altersarmut, das vielleicht drei Prozent der Bevölkerung in Zukunft betrifft, aus, um einen Überbietungswettbewerb an Rentenvorschlägen loszutreten. Die Rentner sind halt viele und sie haben Zeit, sich zu artikulieren. Wir von der Generation Mitte sind zwar noch mehr, aber wir laufen viel zu sehr im eigenen Hamsterrad, um alle an uns gestellten Anforderungen zu erfüllen, um noch groß für unsere Interessen einzutreten.
Wen wundern da noch ernsthaft die Ergebnisse der jüngsten Allensbach-Studie? In meinen Worten unwissenschaftlich zusammengefasst: Uns geht es richtig gut, aber viele von uns haben große Ängste. Wir haben genau so viel Angst wie unsere Altvorderen in der Korea-Krise, beim Ölpreisschock oder erst vor ein paar Jahren bei der Finanzkrise. Und wir haben praktisch vor allem Angst: Vor den Flüchtlingen, vor der Globalisierung, vor Terror, vor Einbrechern, vor Russland, vor Donald Trump, wir haben sogar gleichzeitig vor den niedrigen Zinsen und vor der Inflation Angst, obwohl die Zinsen ja bekanntlich deshalb niedrig sind, weil wir eben keine Inflation haben.
Sind wir also eigentlich die Generation Hasenfuß? Nein, wir sind die Sandwich-Generation, eingezwängt zwischen den Kindern, die einen fordern und der älteren Generation, die immer mehr Ansprüche stellt. Wir werden gefordert und sind halt vielfach überfordert. So kenne ich eine Reihe von – meist Frauen – die mit zunehmender Selbstständigkeit der Kinder wieder mehr ihr eigenes Leben und ihre Interessen in den Vordergrund stellen möchten. Was passiert? Kaum stehen die Kinder auf den eigenen Beinen, werden die Eltern pflegebedürftig und ermuntern mit einem vorwurfsvollen „aber wir haben doch auch immer alles für Dich getan“ zur häuslichen Pflege.
Außerdem muss sich meine Generation ständig rechtfertigen. Ich glaube, nie in der Geschichte gab es so viele Wellen und Moden wie zur Zeit. Warum lebt man nicht vegan oder wenigstens vegetarisch? Warum benutzt man nicht Biokosmetik? Warum lässt man sich als Mann die Augenbrauen nicht schneiden? Warum joggt man nicht? Warum trinkt man ein Feierabendbier? Jede Woche wird ein neues Thema in den (as)sozialen Netzwerken gehypet. Und was da alles für Blödsinn aufkommt. Etwa Regrettingmotherhood. Eine wahre Welle auf allen Kanälen, auf der Mütter ritten, die es bedauerten, ein Kind bekommen zu haben. So what, es ist halt da.
Die mittlere Generation plagen also nicht nur wirtschaftliche oder politische Ängste, sondern sie ist immer auch Zweifeln ausgesetzt, ob ihr selbstgewählter way of life den Ansprüchen der Selbstoptimierung standhält.
Mein Chef, der Bürgermeister, sieht es so: An die Generation Mitte werden zu viele Ansprüche gestellt und sie stellt auch an sich selbst viel zu hohe Ansprüche. Sie hat viel zu verlieren und fürchtet den Verlust. Aber wo sind die Antworten, die Sicherheit geben? Wer kann die Zuversicht verkörpern, dass die Zukunft immer besser wird, als die Vergangenheit, also die Urerfahrung der jetzigen mittleren Generation? Vielleicht liegt die Antwort in einem Gedanken des Franz von Sales: „Begegne dem, was auf dich zukommt, nicht mit Angst, sondern mit Hoffnung“.
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