Gestern hat mein Chef gesagt...
„Jetzt haben die Schweizer Stimmbürger doch glatt das bedingungslose Grundeinkommen abgelehnt. Im Land von Zwingli und Calvin ist man also auch noch der Meinung, dass man für seinen Lebensunterhalt arbeiten sollte.“ Mein Chef, der Bürgermeister, zwinkerte mir verschwörerisch zu, denn im Zimmer stand ein Stadtrat, der sich auf lokaler Ebene in einer Initiative engagiert, die das bedingungslose Grundeinkommen propagiert.
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Die Idee dahinter ist einfach: Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind bekommt vom Staat eine monatliche Zahlung, die in der Höhe in etwa dem Existenzminimum oder etwas darüber entspricht. Diesen Betrag erhalten unterschiedslos alle, ob sie arbeiten oder dem dolce far niente anhängen, ob sie zu alt oder zu krank zum Arbeiten sind, ob sie sich zu Hause um die Kinder kümmern oder einer ehrenamtlichen Beschäftigung nachgehen. Im Gegenzug hat niemand mehr Anspruch auf reine soziale Transferleistungen wie Kindergeld, Sozialhilfe oder Hartz IV. Auch Unterhaltsansprüche der Kinder gegen die Eltern oder von Eltern gegen ihre Kinder wären damit quasi obsolet. Wer mehr vom Leben erwartet, der muss natürlich arbeiten, sich eine Rente oder ein Vermögen aufbauen, damit er im Alter mehr als das Minimum hat.
Der erste Gedanke bei solchen Vorstellungen ist natürlich: Geht ja gar nicht. Da soll jemand fürs faule Nichtstun ebenso viel bekommen wie derjenige, der jeden Tag um halb sechs aus dem Haus geht, um den Bus zur Arbeit zu bekommen. Verrückt. Welche Argumente hat man noch, wenn die Tochter oder der Sohn statt Medizin, Jura oder BWL partout Kunstgeschichte und Byzantinistik studieren will? Davon kannst Du später nicht leben zieht vielleicht nicht mehr, weil das Grundeinkommen ist ja sicher. Und warum bitteschön soll ich Steuern zahlen, wenn ich damit dafür sorge, dass der Philosophie-Student im dreiundzwanzigsten Semester statt Taxi fahren zu müssen Zeit hat, im Gras zu liegen und immer wieder aufs Neue die Denkansätze Kants und Hegels zu vergleichen.
Aber eigentlich sind es andere Fragen, deren Beantwortung uns die Diskussion um das Grundeinkommen auferlegt. Wie schätzen wir etwa den Wert der Familienarbeit ein? Abhängig vom Einkommen, wie beim Ehegattensplitting oder erkennen wir gar nur Erwerbsarbeit an? Sind wir bereit, kreative, nicht unmittelbar auf verkaufsfähige Produkte gerichtete Arbeit zu honorieren – das experimentelle Theater, den Underground-Schriftsteller, die Performance-Künstlerin? Sind wir als Gesellschaft bereit, wichtige ehrenamtliche Arbeit verschie-denster Art zu honorieren? Könnte das Grundeinkommen eine Brücke für diejenigen in die Rente sein, die nicht bis zu einem künftigen Renteneintrittsalter von 70 oder 71 Jahren in ihrem Beruf arbeiten wollen oder können und eine unproduktivere und damit schlechter bezahlte Tätigkeit suchen oder sich gar auf ein Ehrenamt verlegen?
Natürlich steht auch die Frage im Raum, ob wir die Finanzierung unseres Gemeinwesens weiter in Form von Steuern und Sozialbeiträgen hauptsächlich von der menschlichen Arbeit abhängig machen oder ob Produktivität Maßstab der Steuer-/Abgaben-/Beitragslast sein soll. Noch steht ja nicht fest, ob der nächste Innovationsschritt der Wirtschaft, die so genannte Industrie 4.0, nicht der erste Innovationsschritt seit Langem ist, der nicht nur andere, sondern in der Summe weniger Arbeitsplätze bedeutet.
Mein Chef, der Bürgermeister, gesteht mir zu, dass er die Frage bisher zu einseitig traditionell durchdacht hat. Allerdings wäre eine solche radikale Änderung der Grundlagen des Zusammenlebens keine Angelegenheit für eine Volksabstimmung ohne vorherige intensive gesellschaftliche Debatte und einen weit über eine einfache Mehrheit greifenden Konsens pro oder kontra. Jedenfalls twittere ich ihm erst mal einen Satz des amerikanischen Schriftstellers James Grover Thurber: „Es ist besser, einige der Fragen zu kennen, als alle Antworten.“
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