Gestern hat mein Chef gesagt...
„So etwas. Da schreibt eine Stilberaterin jetzt einen ellenlangen Artikel zum Thema veränderte Dresscodes im Büro. Und wirft ausgerechnet unserem Bundesinnenminister ein schweres Modeverbrechen vor.“ Mein Chef, der Bürgermeister, zeigte mir das Bild zum Artikel, auf dem Thomas de Maizière beim Pokalfinale zu sehen ist – korrektes Hemd, Krawatte, blauer Blazer, rote Hosen.
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Also ich finde die Kombi aus blauem Ein- oder Zweireiher mit roter oder gelber Chino absolut todschick. Insoweit Freispruch für den Angeklagten, wenngleich Punktabzug in der B-Note, da man heutzutage wohl ein Fußballspiel als Sportminister ohne Schlips besuchen sollte.
Aber das Thema Dresscode bei der Arbeit wurde nicht von diesem Bild in das öffentliche Interesse gerückt. Auslöser war die Onlinepetition einer Britin, die als Empfangsdame bei einer großen amerikanischen Firma in London arbeitete und sich über ihre Kündigung beschwerte. Diese wurde ausgesprochen, weil sie mit flachen Ballerinas zur Arbeit erschien, anstatt mit Tretern, die den vorgeschriebenen fünf bis zehn Zentimeter hohen Absatz haben. Daraus wurde schnell ein High-Heel-Gate mit 100.000 empörten Petenten, die der Firma Sexismus vorwerfen. Also ehrlich – geht’s noch? Keiner wird einem Unternehmen verübeln, wenn es darauf besteht, dass die Dame oder der Herr am Empfang in vorzeigbarer Kleidung agiert: gedeckte Farben, weißes Hemd oder Bluse, Krawatte oder Tuch, schwarze Schuhe. Aber ob man sich mit hohen Schuhen abplagen will oder nicht, ist ja wohl die Sache der Einzelnen. Schließlich hieß es schon bei den Urmüttern der Lila-Latzhosen-Emanzen, dass die wahre Freiheit der Frau im Recht besteht, flache Schuhe zu tragen.
Aber vielleicht soll ja auch die Absatzvorschrift den jungen Damen einen dezenten Hinweis auf ihre Stellung im Unternehmen geben. Stichwort: Das Mäuschen vom Empfang. Schließlich zeigt Kleidung noch heute in vielen Situationen, wer wohin gehört, wo oben und wo unten ist. Da sind etwa die erbitterten Kämpfe zwischen Richtern und vergesslichen Anwälten, ob ein Advocatus einen Prozess führen dürfe, wenn er keine Robe angezogen habe. Schließlich hält sich bis heute hartnäckig das Gerücht, die Robenpflicht vor Gericht gehe auf Friedrich den Großen zurück, der wollte, „dass man dero Spitzbuben schon von weitem erkenne“. Oder die wütende Intervention der Ärztekammer Hamburg wegen der Anordnung eines Klinikkonzerns, dass die Ärzte in deren Krankenhäusern keine langen Arztkittel, sondern nur noch ärmellose Shirts tragen sollen. Zwar ist seit langem bekannt, dass an den langen weiten Ärmeln des Kittels notorisch Bakterien anhaften, weshalb nicht nur mein Hausarzt, sondern auch die Mediziner in den Niederlanden oder Großbritannien seit langem schon Shirtträger sind. Aber in einem deutschen Krankenhaus könne man vielleicht nicht mehr erkennen, wer was ist und ein unbedarfter Zeitgenosse könne vielleicht die junge Assistenzärztin mit „Schwes-ter“ oder den Ergotherapeuten mit „Herr Doktor“ anreden. Nicht auszudenken.
Vorausschauend war man bei der großen Hamburger Schwester unserer Kreis- und Stadtsparkasse. Nachdem man dort kühl analysiert hatte, dass der klassische Bankbeamtenstil – blau, schwarz, grau – nicht mehr hip ist und auch in so genannten seriösen Branchen ein etwas lässigerer Kleidungsstil Einzug hält, hat man dort gleich eine betriebseigene Casual-Uniform entwickelt – weißes Oberhemd oder Bluse, Blazer in dezenten Farben, Jeans oder Stoffhosen, Sneaker für den Herrn. Komisch nur: Die Damenschuhe haben mittelhohe bis hohe Absätze. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Mein Chef, der Bürgermeister, sieht es wie immer pragmatisch: Erlaubt ist, was gefällt und was zur Situation bzw. zur Aufgabe passt. Die Zeiten eines Vorgängers in den 70ern, der auch im Hochsommer darauf bestand, dass die Beamten aus Gründen der Disziplin im Jackett und mit fest geknotetem Schlips am Schreibtisch saßen, sind vorbei. Er hält es mit dem schwäbischen Dichter August Lämmle: „Titel, Name, Geld, Befrackung/sind zum Zwecke der Verpackung./Schale gilt nicht, sondern Perle/wichtig ist allein der Kerle.“
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