Erscheinungs- & Themenplanzurück

(GZ-10-2016)
Neues von Sabrina
 
Medien unter Generalverdacht?

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Was glauben Sie, steht heute in der Zeitung? 44 Prozent der Deutschen glauben nicht, was sie in den Medien lesen oder hören – Stichwort Lügenpresse. Da ist eine Saat aufgegangen.“ Mein Chef, der Bürgermeister, machte ein mehr als besorgtes Gesicht.

Ich muss zugeben, mein allererster Gedanke war kein gesellschaftspolitischer, sondern ein spekulativer: Wie fasst ein Mensch diese Meldung auf, der wie 44 Prozent unserer Mitbürger davon ausgeht, dass die Inhalte in den Zeitungen manipuliert und fremdgesteuert sind? Ist er ausnahmsweise geneigt, diese Analyse für bare Münze zu nehmen? Oder muss er davon ausgehen, dass auch dieses Ergebnis getürkt ist, obwohl es seine Meinung bestärkt? Es ist das klassische Dilemma in dem Gedankenexperiment „Ein Kreter sagt, alle Kreter lügen.“ Lügt er, sagen alle Kreter die Wahrheit. Wenn aber alle Kreter die Wahrheit sagen, wie kann er dann lügen?

Man sieht, das mit der Wahrheit und der Lüge ist eine verteufelt verzwickte Sache und beschäftigt die Menschen schon seit den Zeiten, als der erste Pfiffikus einen Meilenstein der Evolution legte, indem er herausfand, dass der häusliche Frieden zu erhalten war, wenn er seiner Frau erzählt, dass er auf der – leider erfolglosen – Jagd war, anstatt wahrheitsgemäß zu berichten, dass er ein Schäferstündchen mit der Nachbarin hatte. Seitdem hat sich jenseits der Wahrheit ein ganzer Mikrokosmos von – sagen wir – Ungenauigkeiten entwickelt, die von der bloßen Übertreibung über die harmlose Flunkerei, das Verschweigen der Wahrheit bis hin zur handfesten Lüge reicht.

Dabei ist das Phänomen, dass man Teilen der Presse oder der Medien nicht über den Weg traut, eigentlich so alt wie die Mediennutzung selbst. Diejenigen, die sich noch an die Zeiten erinnern können, als man im Fernseher nur drei und nicht dreihundert Programme empfangen konnte, dürften noch wissen, dass ein strammer Anhänger der Unionsparteien jederzeit geneigt war, die Berichterstattung der Magazinsendung „Panorama“ im rot-sozialistischen Märchenland zu verorten, während hingegen ein aufrechter Sozi den Moderator des ZDF-Magazins Gerhard Löwenthal unzweideutig als Lügenbaron ansah.

In eher konservativ eingestellten Familien las man andere Zeitungen als in eher sozialliberal orientierten und unterstellte dem jeweils anderen Blatt, das durchaus in der gleichen Stadt erscheinen konnte, es mit der Wahrheit nicht ganz genau zu nehmen.

Aber jedenfalls der eigenen Lektüre oder der bevorzugten Magazinsendung traute man über den Weg. Warum stellen heute 44 Prozent der Menschen alle Medien unter Generalverdacht? Ein Grund dürfte wohl sein, dass man sich neuerdings ganz leicht seine Wahrheit selber machen kann. Im Internet kann man jede Nachricht und jede Meinung wie ein Lauffeuer verbreiten, rezipieren und teilen. Ohne Rücksicht auf solch spießige Details wie Recherche, Nachfrage oder Abwägung kann man Behauptungen als Tatsachen, Mutmaßungen als Fakten und Spekulationen als Nachrichten unter die Leute bringen.

Die Logik der Sozialen Medien, dass man immer wieder Ähnliches zu dem angeboten bekommt, was man einmal „gelikt“ hat, führt dazu, dass man immer mehr in einer einmal ge-fassten Ansicht bestärkt wird. Sich mit anderen Meinungen vertraut zu machen, Gegenargumente zu wägen oder sich gar eine eigene Überzeugung zu bilden, bedeutet Mühe, Arbeit und Anstrengung. Also genau das, was die seriöse Redaktion einer Zeitung aus der Abteilung „Lügenpresse“ von vorneherein macht, damit wir Leser einen Überblick über das Geschehen in Pro und Contra bekommen.

Mein Chef, der Bürgermeister, ist erst mal skeptisch. Er traut dem 44-Prozent-Ergebnis nicht. Zwar hält er durchaus auch Statistiken, die er nicht selbst gefälscht hat, für seriös, aber dieses Ergebnis spiegelt nicht seine Erfahrung mit den Leuten wider, die er hier in der Stadt trifft. Die Leute sind viel vernünftiger, als der Spuk um Pegida und Co. glauben lässt. Ich bestärke ihn in seiner Meinung durch ein Zitat von Abraham Lincoln: „Demagogie ist die fragwürdige Fähigkeit, die kleinsten Ideen in die größten Worte zu pressen.“

Ihre Sabrina

GemeindeZeitung

Neues von Sabrina

GZ Archiv

Kolumnen & Kommentare aus Bayern

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung