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(GZ-8-2016)
Neues von Sabrina
 
Anreize und Verbote

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Es ist ein Elend – ich bin schon wieder so dick geworden. Ich muss mir dringend ein Nudge geben, um abzunehmen.“ Mein Chef, der Bürgermeister, hat sich die letzten Tage so sehr mit Nudging-Strategien im öffentlichen Raum befasst, dass er das schöne deutsche Wort Anreiz scheinbar vergessen hat.

Lassen wir mal die linguistische Frage beiseite, ob man sich einen Nudge geben kann oder ob man eher einen Nugde braucht, denn eigentlich geht Nudging ja davon aus, dass auf das Individuum von außen druck- und sanktionsfrei eingewirkt wird, damit es sich in einem definierten Rahmen verhält, der von denen, die das Nudging anwenden, für vernünftig gehalten wird. In diesem Sinne gibt es bei uns in der Stadtverwaltung Nudging seit langem (auch wenn wir erst seit Kurzem wissen, dass man es so nennt). So wurde in der Kantine das Süßzeug von der Kasse verbannt und so platziert, dass man den Plunder (natürlich ist das Teilchen gemeint), den Schokoriegel und den Fruchtgummi gezielt suchen muss, da er nicht mehr ins Auge fällt. Bückware nannte man das früher. Gut sicht- und erreichbar sind Obst und Knabbereien aus Nüssen, die sich wohl deshalb besser verkaufen.

Damit nicht genug sind unsere Drucker standardmäßig so eingestellt, dass sie doppelseitig einfarbig drucken und nicht heften. Ab 25 Seiten Druckauftrag wird auch automatisch die Seite verkleinert und zwei Seiten auf ein Blatt gedruckt. Das soll Papier und farbigen Toner sparen, denn wenn man schöne lesbare Ausdrucke, einseitig und farbig will, darf man nicht einfach auf das Start-Knöpfen des Druckers tippen, sondern muss umständlich mordsmäßig in den Druckeinstellungen rumfuhrwerken. Macht man nur im Notfall. Die männlichen Leser werden zudem sicher das Urinal kennen, auf dem eine Fliege aufgemalt ist. Auch das ist Nudging pur, denn der Benutzer wird damit unterbewusst animiert, das Blasengut gezielt auf die Fliege zu richten und damit mittiger zu zielen. Denn den Sponti-Spruch „Geh näher ran, er ist kürzer als Du denkst“, kann man in einer Szenekneipe, aber nicht auf einer Amtstoilette aufhängen.

Damit ist Nudging so etwas wie das freundlich-anspornende Gesicht des paternalistischen Staates, der meint, alles besser zu wissen als seine unvernünftigen Bürgerinnen und Bürger.

Die hässliche Fratze zeigt dagegen die Verbiete-Kultur, die wir Deutschen so lieben. Veggie-Day in der Kantine, damit wir gesund essen. Die blaue Plakette für Dieselfahrzeuge, damit wir mehr Benzinfresser mit Ottomotoren kaufen. Gebot von Schockfotos auf Zigarettenpackungen, damit wir weniger rauchen. Verbot von nackter Haut in der Werbung, damit wir …, ja warum eigentlich? Ich persönlich bin auch nicht von der Verbindung zwischen der lasziven Darstellung von Frauen und Produkten überzeugt. Wenngleich der Pirelli-Kalender jedes Jahr wieder Kult ist und das Grundkonzept viele Nachahmer gefunden hat, die ein bisschen Haut zum Beispiel für einen guten Zweck zeigen. Aber warum soll man das alles jetzt gleich verbieten?

Sollte es tatsächlich so sein, wie es in seriösen Medien hieß, dass damit in Reaktion auf die Übergriffe in Köln in der Silvesternacht ein „modernes Geschlechterbild“ gezeigt werden soll? Doch eher viktorianisch, denn die Reglementierung der Länge der Röcke der Frauen durch Polizeiverordnung (keine Knöchel, keine Waden zeigen!) gehört in die Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende. Gut, Zuwanderer aus archaisch geprägten Gesellschaften mögen sich über Dessous-Werbung wundern, aber man sollte ihnen dann halt vermitteln, dass man nur den BH und nicht die Frau kaufen kann. Und am Allerwichtigsten: Man muss gar nichts kaufen, wenn einem diese Art der Werbung nicht gefällt. Ebenso wenig wie man die photogeshopten Zombies auf den Plakaten der Partnervermittler heiraten muss. Stichwort: Freie Marktwirtschaft.

Mein Chef, der Bürgermeister, hat andere Sorgen – sein Gewicht. Vielleicht kommt mir deshalb beim Thema Moral in der Werbung ein Satz des gewichtigen Wiener Denkers Helmut Qualtinger in den Sinn: „Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.“

Ihre Sabrina

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