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(GZ-21-2020)
Neues von Sabrina
 

Mythos Wald

Gestern hat mein Chef gesagt...

In Zeiten von Borkenkäfer, Dürre und Sturm verweist der Bürgermeister darauf, dass „Wald“ mehr ist als ein Wirtschaftsfaktor. Gerade in Deutschland hat man sich früh um Nachhaltigkeit in der Waldbewirtschaftung verdient gemacht.

„Welch herrliche Zeit – jetzt wenn das Laub sich in alle Schattierungen von Gelb und Rot verfärbt, die Blätter langsam zur Erde schweben und man wie in Kindertagen in die Laubhaufen treten und die ganze Pracht hochwirbeln lassen kann.“ Mein Chef, der Bürgermeister, hatte sich am Wochenende auf in den Wald gemacht.

Der Wald hat ja für uns Deutsche eine ganz besondere, fast mythologische Bedeutung. Kaum ein anderes Volk kennt so viele Gedichte rund um den Wald, so viele Geschichten, Märchen und Erzählungen, die in einem Wald spielen oder in denen der Wald eine tragende Rolle inne hat. Begonnen haben dürfte alles mit Tacitus, der eigentlich nichts anderes als ein römischer Propagandist war, allerdings gesegnet mit literarischer Extraklasse. Er schrieb von den düsteren, undurchdringlichen, lebensfeindlichen Wäldern der Germanen, in denen sich nichts findet, was einer Zivilisation wie der mediterranen würdig wäre.

Dabei dürfte er weniger eine volkskundliche Abhandlung im Sinn gehabt haben, sondern mehr eine Rechtfertigungsschrift, warum das Imperium die Rheingrenze nur für Strafexpeditionen überschritt, nicht aber zum Zwecke der Kolonisierung der dahinter liegenden Landschaften.

Germanen und Wälder, das ist seither ein Zwillingspaar, das sich in vieler Kulturen Bewusstsein eingenistet hat. Man hat ja auch bestimmte Vorstellungen von Landschaften im Kopf – die Mittelmeerländer oder England, wo weite Teile des Landes karst und unbewaldet sind, weil die Wälder als Lieferant für Bauholz von Schiffen für den Krieg, den Handel und die Kolonisation gerodet wurden, während man bei Deutschland eben an ausgedehnte Wälder denkt.

Richtig ist, dass die Ambitionen auf die Verwaltung eines schönen Stückes Südamerika durch die Augsburger Welser ebenso einen unrühmlichen Pleitetod starben, wie die preußischen Pläne, durch die Gründung von Großfriedrichsburg an der Goldküste (heute Ghana) in den transatlantischen Sklavenhandel einsteigen und damit die Staatsfinanzen sanieren zu können. Die große Zeit des Baus von Holzschiffen fand also ohne die Deutschen statt, die sich in der Zeit lieber in endlosen Konfessions- oder Erbfolgekriegen verstrickten.

Dennoch ist es auch uns und unseren Vorfahren gelungen, einen großen Teil der ursprünglichen Wälder abzuholzen oder zu roden. Was wir heute noch haben, ist nur ein Bruchteil dessen, was zur Zeit Tacitus unsere Heimat bedeckte.

Aber ein Alleinstellungsmerkmal haben wir noch: Das sehr frühe Bewusstsein um den wirtschaftlichen Wert des Waldes und der Notwendigkeit, ihn nachhaltig zu bewirtschaften, will man kontinuierlich Ertrag aus ihm ziehen. Nicht umsonst wurde die erste Forstordnung in einem deutschen Bistum, in Speyer anno 1442 erlassen. Und schon 1713 verwendete der kursächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz den Begriff der Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit der Waldbewirtschaftung. Durch sich häufende Sturmschäden, breitflächigen Käferbefall und günstige Importpreise aus Mittel- und Osteuropa ist Holz heute freilich nur mehr sehr bedingt ein Geschäft, jedenfalls für die privaten Waldeigentümer. Hier sind neue Konzepte und ein neuer Mix im Baumbestand gefragt.

Eine ganz andere Idee zum Thema Wald hatte der Freistaat Bayern vor 50 Jahren. Mit dem Nationalpark Bayerischer Wald wurde ein riesiges Waldareal unter strengen Schutz gestellt und sich bzw. der Natur selbst überlassen. Ein gigantischer Erfolg im Hinblick auf die Vielfalt der Flora und Fauna dort und ein schönes Zeichen, dass Wald halt doch mehr ist, als ein Wirtschaftsfaktor. Wenn man sich den Wald der Germania des Tacitus vorstellen will, ist man im Nationalpark Bayerwald eher richtig am Platz, als in einem Fichtenstangerlwald, wie es ihn noch häufig gibt.

Mein Chef, der Bürgermeister, erholt sich gerne im Stadtwald und will ihn als Naherholungsgebiet stärken. Ganz im Sinne des Literaturnobelpreisträgers Elias Canetti: „Die Deutschen suchen den Wald, in dem ihre Vorfahren gelebt haben, noch heute gerne auf und fühlen sich eins mit den Bäumen“.

Ihre Sabrina

 

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