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(GZ-11-2020)
Neues von Sabrina
 

Normal ist anders

Gestern hat mein Chef gesagt...

„Neue Normalität“ ist für den Bürgermeister das Unwort des Jahres. Seine Vorzimmerperle will sich nicht einreden lassen, die jetzige Situation wäre in irgendeiner Weise normal. Erst zeitlicher Abstand kann zeigen, was sinnvoll und was überflüssig, nützlich oder sogar schädlich war.

„Also eines kann ich euch sagen. Für mich steht das Unwort des Jahres bereits fest. Es heißt ‚neue Normalität‘.“ Mein Chef, der Bürgermeister, hatte sich, nicht ganz untypisch für ihn, auf Worthülsenjagd gemacht.

Fündig wurde er im neuen Coronasprech, das uns derzeit überall begegnet und mittlerweile fast furchterregender vorkommt als das Virus selbst. Genauso schleichend, wie das Virus sich von Mensch zu Mensch ausbreitet, dringen Wörter und Begrifflichkeiten in unseren alltäglichen Sprachgebrauch, die uns vor Kurzem noch völlig unbekannt waren. Shutdown, Lockdown oder Pseudo-Anglizismen wie Homeoffice und Homeschooling, die so urdeutsch sind wie Handy und Shitstorm.

Aber auch Abstandsregeln, Maskenpflicht, Herdenimmunität oder Hygieneplan kommen uns so flüssig von den Lippen, als hätten wir diese Worte schon in der Wiege gehört. Wie der berühmte große schwarze Vogel Ludwig Hirschs legen sich die Worte Reproduktionszahl, Übersterblichkeit oder Superspreader über unser Ohr und auf unser Gemüt.

Und das Ganze soll dann unsere „neue Normalität“ werden? Leute auf zwei Meter Abstand halten, ihnen nur noch mit einem Fetzen Stoff vor Mund und Nase begegnen, ihnen nicht mehr die Hand geben? Kein Ratsch mit einem Unbekannten im Biergarten, weil man sich nicht mehr zu ihm setzen kann? Kein spontaner Kaffee oder ein schnelles Eis, weil man sich überall anmelden und dann umfangreiche Papiere ausfüllen muss? Kein Fußball im Verein, keine Konzerte, keine Partys? Alle diese Beschränkungen mögen zur Zeit wichtig und richtig sein, aber wir sollten uns niemals und von niemandem einreden lassen, das wäre in irgendeiner Weise normal.

Normal ist anders und wir sollten uns weder das Stückchen Optimismus noch das Stückchen Freiheitswillen ausreden lassen, das in die alte, die wirkliche Normalität zurück will. Es ist doch paradox. Aus allen Teilen der Welt hört man ermutigende Nachrichten zu Medikamententests, um Covid-19 zu heilen (ich meine jetzt nicht die Voodoo-Medizin von Donald Trump) oder zur Entwicklung von Impfstoffen, um vorzubeugen. Aber wie im Falle des Klimawandels, von dem wir auch nicht glauben, dass er sich durch technologische Innovation beherrschen lässt, setzen wir bei Corona nicht auf die Pharma- und Biotech-Industrie, sondern philosophieren darüber, wie die Ausnahmeregeln unser Leben langfristig ändern werden.

Ich sage: Ich will mich gar nicht dauerhaft ändern! Überhaupt werden wir erst mit einigem zeitlichen Abstand beurteilen können, was in Zeiten der Pandemie sinnvoll, was überflüssig war, was mehr genutzt, was mehr geschadet hat. So ist es immer bei erstmaligen tiefgreifenden Umwälzungen. Eine Pandemie hatten wir eben noch nicht. Schiedsrichter sind am gerechtesten in der Zukunft.

Genauso werden wir erst in der Zukunft sehen, was diese Zeit vielleicht auch Bewahrenswertes gebracht hat. Die neuen Möglichkeiten, flexibel zuhause zu arbeiten? Das deutliche  Signal, dass wir mit der Digitalisierung vorankommen müssen? Neue Lern- und Arbeitsformen an den Schulen und Universitäten? Mehr europäische Unabhängigkeit von China? Eine Renaissance der Wertschätzung von Politikern, die mit Maß, Vernunft, Abgewogenheit und Rationalität Entscheidungen treffen und weniger Raum für irrlichternde Populisten? Seien wir gespannt.

Mein Chef, der Bürgermeister, setzt wie ich darauf, dass der menschliche Erfindergeist gepaart mit kühler Rationalität der Entscheidungsträger auch diese Krise überwinden kann. Wann? Wer weiß. Laut Umfragen gehen die Menschen von einem Zeitraum bis zu neun Monaten aus, in dem sie die gegenwärtigen Beschränkungen ertragen. Mal sehen.

Unser aller Zuversicht könnte ein Satz des spanischen Dichters Miguel de Cervantes stärken: „Vertrau auf die Zeit, sie bringt normalerweise süße Auswege aus bitteren Schwierigkeiten“.

Ihre Sabrina

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