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(GZ-23-2019)
Neues von Sabrina
 

Klimadebatte als Glaubensfrage

Gestern hat mein Chef gesagt...

Klimanotstand: „Ist das Ökohysterie oder programmatischer Selbstzweck?“ fragt der Bürgermeister seine Vorzimmerperle. „Bei extremen Diskussionen sollte man nicht auf absoluten Wahrheitsanspruch pochen, sondern realisierbare Modelle erarbeiten“ ist seine Meinung.

„So so so so, jetzt sollen wir also auch den Klimanotstand für unsere Stadt ausrufen. Noch so ein weiteres Stück sinnloser Symbolpolitik, um sich ein gutes Gewissen mit wenig Aufwand zu verschaffen.“ Mein Chef, der Bürgermeister, sah in dem Antrag an den Stadtrat, die Stadt möge den Klimanotstand wie 65 andere deutsche Städte auch ausrufen, ein eher durchsichtiges Wahlkampfmanöver.

Nun liegt es dem Bürgermeister fern, den Klimawandel zu leugnen oder den Anteil, den der Mensch daran hat. Zwar sucht er mit Blick auf frühere Wärmeperioden in der Zeit, in der die Geschichte der Menschheit gut dokumentiert ist, noch Argumente, warum eine Erwärmung der Erde wirklich eine Katastrophe sein muss. Andererseits ist er ein überzeugter Anhänger erneuerbarer Energien und möchte so schnell wie möglich auf fossile Brennstoffe verzichten, weil er nicht glaubt, dass wir endliche Ressourcen weiter nutzen sollten, wenn bessere Alternativen zur Verfügung stehen.

Diese differenzierte Haltung zwischen den Stühlen bringt ihm natürlich Feuer von allen Seiten ein. Die einen nennen ihn einen Klimahysteriker, weil er sich für Windkraft, Biogas, Photovoltaik einsetzt und den Stromtrassenbau via Südlink ausdrücklich begrüßt. Die anderen halten ihn für einen Klimadinosaurier, der verantwortungsloses Nichtstun hinter dem Bekenntnis zum Vertrauen in Forschung und Fortschritt versteckt, die dem Menschen noch immer geholfen hätten, Probleme zu lösen. Gerade letztere benutzen übrigens gerne das Totschlagargument, man müsse auf „die Wissenschaft“ hören, die den Weltuntergang praktisch bereits beschlossen habe.

Eigentlich ist es ja ein ganz hoffnungsvolles Zeichen, wenn gefordert wird, dass Politik und schwerwiegende politische Entscheidungen auf der Basis von Wissenschaftlichkeit und Rationalität stehen sollen. Aber darf Wissenschaft nicht hinterfragt werden? Ist Wissenschaft mit absolutem Wahrheitsanspruch versehen, der keinem Widerspruch zugänglich ist?

Ein schönes Beispiel war vor ein paar Tagen die Wortmeldung eines Wirtschaftswissenschaftlers, der als Hochschullehrer für eine Postwachstumsökonomie eintritt, uns also etwas vereinfacht ausgedrückt auffordert, uns vom Wohlstand zu verabschieden und auf ein einfaches Leben zu besinnen, das uns nur die Grundbedürfnisse in bescheidenem Umfang sichert. So erklärte er uns Normalbürger, die nach einem guten, komfortablen Leben streben, nicht nur zu „ökologischen Vandalen“, sondern auch jeden Quadratmeter neugebauter Wohnfläche zu einer Katastrophe. Wir ziehen rathausintern noch Hälmchen, wer den jungen Paaren und Familien, die bauen wollen oder eine Wohnung suchen, erklärt, dass sie klimapolitische Pottsäue sind. Dass SUVs und Kreuzfahrten der Teufel erfunden hat, ist eh klar, ebenso, dass man kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit anderen Kontinenten, der mit Flugverkehr verbunden und nicht per Segelschiff leistbar ist, vermeiden sollte.

Viel spannender war aber die Aussage, dass die klimaneutrale schöne neue Welt der Neo-Schnurkeramiker wohl nicht durch demokratisch und repräsentativ gewählte Politiker zu schaffen wäre. Die reden den zukunftsvergessenen Massen nur nach dem Mund. Man bräuchte entsprechende Modelle der sozialen Kontrolle in der Nachbarschaft, auf der Arbeit und in der Freizeit, um die Menschen zum richtigen, klimaneutralen Verhalten zu bewegen. 1984? Der Ökoblockwart als Alternative zur parlamentarischen Demokratie?

Mein Chef, der Bürgermeister, schauderte ein wenig, als er die Berichte über diese Wortmeldung las. OK, jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Extreme Diskussionsbeiträge inklusive. Aber nicht mit dem absolutistischen Wahrheitsanspruch, hier habe die Wissenschaft gesprochen, die damit Handlungsanleitungen gibt, die dem Diskurs entzogen sind. Die Klimadebatte wird immer mehr als Glaubensfrage geführt, die Widerspruch als Häresie ansieht. Gefährlich. Wie sagte Victor Hugo einmal: „Die Wissenschaft sucht das Perpetuum mobile. Sie hat es gefunden, es ist sie selbst.“

Ihre Sabrina

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